Eingliederungsmanagement: Der Chef darf die Diagnose nicht wissen

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Regt ein Arbeitgeber bei einem Mitarbeiter wegen hรคufiger Kurzerkrankungen ein betriebliches Eingliederungsmanagement an, dรผrfen dem Arbeitgeber keine konkreten Krankheitsdiagnosen preisgegeben werden.

Wird dem Beschรคftigten unzureichend mitgeteilt, welche Daten im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) erhoben und verwendet werden sollen, liegt zudem kein ordnungsgemรครŸ eingeleitetes Verfahren zur mรถglichen Rรผckkehr an den Arbeitsplatz vor, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Wรผrttemberg in einem kรผrzlich verรถffentlichten Urteil vom 20. Oktober 2021 (Az.: 4 Sa 70/20). Dies kann zur Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kรผndigung fรผhren, so die Stuttgarter Richter.

Im konkreten Fall ging es um einen seit August 2014 beschรคftigten Produktionssachbearbeiter. Zwischen 2016 und 2019 war er hรคufig kurz erkrankt. Die Krankheitszeiten beliefen sich auf jรคhrlich zwischen 32 und 51 Arbeitstage.

Betriebliches Eingliederungsmanagement braucht Datenschutz

Der Arbeitgeber hatte bei einer erneuten Erkrankung im Januar 2020 den Mitarbeiter zu einem bEM eingeladen. Dabei soll geklรคrt werden, wie eine lange oder hรคufige Arbeitsunfรคhigkeit รผberwunden und ein Arbeitsplatz fรผr den erkrankten Arbeitnehmer erhalten werden kann. Das bEM ist vorgeschrieben, wenn Arbeitnehmer innerhalb von zwรถlf Monaten mehr als sechs Wochen krank sind.

Doch hier hatte der Mitarbeiter auf das vorgeschlagene bEM, ebenso wie schon auf vergangene Einladungen, nicht reagiert. Der Arbeitgeber kรผndigte daraufhin dem Mann ordentlich.

Doch die ordentliche Kรผndigung ist nicht sozial gerechtfertigt und damit unwirksam, urteilte das LAG. Ob die Kรผndigung wegen hรคufiger Kurzerkrankungen rechtmรครŸig ist, mรผsse in drei Stufen geprรผft werden. Danach mรผsse zunรคchst eine negative Gesundheitsprognose vorliegen. Hรคufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit kรถnnten ein Indiz sein, dass der Mitarbeiter auch kรผnftig oft krank ist. Diese negative Gesundheitsprognose liege bei dem Klรคger vor.

In der zweiten Stufe mรผsse der Arbeitgeber belegen, dass die Fehlzeiten zu โ€žerheblichen Beeintrรคchtigungen betrieblicher Interessen” fรผhren. Dies sei hier ebenfalls der Fall gewesen, da der Arbeitgeber weiterhin mit deutlichen Entgeltfortzahlungsbelastungen rechnen mรผsse.

In der dritten Stufe mรผsse der Arbeitgeber ein ordnungsgemรครŸes bEM-Verfahren einleiten, um den Arbeitsplatz des Beschรคftigten mรถglichst erhalten zu kรถnnen. Nur wenn das bEM โ€žobjektiv nutzlos” ist, kรถnne darauf verzichtet werden. Dies mรผsse der Arbeitgeber aber beweisen. Sei dagegen denkbar, dass ein bEM zum Abbau der Fehlzeiten fรผhren kann, wรคre eine zuvor ausgesprochene Kรผndigung โ€žvorschnell”.

Hier sei das bEM nicht korrekt eingeleitet worden, urteilte das LAG. Denn der Arbeitnehmer mรผsse nicht nur รผber die Ziele, sondern auch รผber Art und Umfang der dabei erhobenen Daten informiert werden. Dazu gehรถrten insbesondere auch Angaben รผber Krankheitsdaten, deren Speicherung und inwieweit diese fรผr welche Zwecke dem Arbeitgeber zugรคnglich gemacht werden. Der Arbeitgeber dรผrfe nur solche Daten ohne Zustimmung des Beschรคftigten erhalten, die er zur Genehmigung des bEM benรถtigt. Ein Anspruch auf Einsicht in Diagnosen und รคhnlich sensible Daten bestehe nicht.

LAG Stuttgart: Arbeitnehmer muss Chef Diagnosen nicht offenlegen

Im Streitfall habe der Arbeitgeber jedoch in der vorgelegten Datenschutzerklรคrung die Preisgabe aller Gesundheitsdaten verlangt, und zwar gegenรผber der Standortleitung als Vertreter des Arbeitgebers. Ein Hinweis, dass Angaben gegenรผber dem Arbeitgeber zu Diagnosen oder รคhnlich sensiblen Daten freiwillig sind, habe gefehlt.

Wegen der fehlerhaften Angaben zur Datenverwendung sei das bEM nicht ordnungsgemรครŸ eingeleitet worden. Bei Einhaltung des Datenschutzes wรคre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass der Klรคger sich doch noch zu einem bEM entschlieรŸt. Die ordentliche Kรผndigung sei damit unwirksam. fle/mwo