Behördenwillkür: Jobcenter lehnt Mietkaution für von häuslicher Gewalt bedrohte Mutter und ihre 3 Kinder ab
Eine Hilfebedürftige Mutter mit 3 Kindern muss weiter im Frauenhaus leben, weil das Bürgergeldamt sich trotz der ein deutlichen Vorgaben des § 22 Abs. 6 SGB II weigert, ihr eine Barkaution zu gewähren.
Was war geschehen?
Die Klägerin lebte mit ihren 3 Kindern nach der Trennung von ihrem Ehemann in einem Frauenhaus. Die Mutter suchte sich mit ihren Kids eine eigene Wohnung und beantragte die Zusicherung beim Jobcenter.
Das Jobcenter bescheinigte die Notwendigkeit des Umzuges der Antragstellerin und ihrer Kinder in die neue Wohnung. Die Betroffene unterzeichnete den Mietvertrag für die neue Wohnung.
In § 6 des Mietvertrages ist geregelt, dass der Mieter eine Mietsicherheit in Form einer Barkaution zu leisten habe, die in gesetzlicher Weise, Zug um Zug gegen die Schlüsselübergabe, zu zahlen sei; andernfalls stehe der Vermieterin ein Zurückbehaltungsrecht an der Wohnung zu.
Auf den gestellten Antrag der Mutter bewilligte das Jobcenter der jungen Mutter eine Mietkaution für die Wohnung in Höhe von 960,00 EUR in Form einer Kautionsgarantieerklärung. Die Auszahlung der Kaution an die Vermieterin war unter anderem an die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner geknüpft.
Mit Beschluss vom 07.06.2023 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung seien nicht gegeben. Dies sah das Landessozialgericht NRW anders!
Landessozialgericht NRW kasiert Urteil
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das Sozialgericht hat insoweit die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Unrecht abgelehnt, so der 2. Senat des LSG NRW.
Begründung:
Nach § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB II können Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden.
Die Zusicherung soll gem. § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.
Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden, § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II.
Die Leistungsbezieherin hat gegenüber dem JobCenter nicht nur einen Anspruch auf die erfolgte Ausstellung der Garantieerklärung – als Angebot für den Abschluss eines Garantievertrages – für eine Kaution, sondern auch auf die Auszahlung einer Barkaution.
Eine entsprechende Beschränkung auf die Ausstellung einer Garantieerklärung sieht der Wortlaut des § 22 Abs. 6 SGB II nämlich nicht vor.
Vielmehr sieht die Vorschrift als Regelfall („sollen als Darlehen erbracht werden“) eine Barkaution vor. Eine Ausübung von Ermessen, wie es das Abweichen vom Regelfall bei intendiertem Ermessen erfordert, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.
Im Hinblick darauf, dass die Vermieterin der Antragstellerin das erteilte Angebot auf Abschluss eines Garantievertrages nicht angenommen, sondern entsprechend der mietvertraglichen Regelung auf einer Barkaution bestanden hat, fehlt es auch an Anhaltspunkten für eine Ermessensreduzierung auf Null.
Ist aber eine Barkaution vereinbart worden, so kann der Mieter diese Bestimmung weder durch Übergabe eines Sparbuchs noch durch Stellung einer Bürgschaft oder durch andere Formen der Sicherungsleistung nachkommen (Schur in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 551 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, Rn. 10).
Hinweis des Gerichts: kein Verständnis für das Jobcenter
Es ist für den Senat nicht verständlich, weshalb das Jobcenter die Auszahlung der Kaution entgegen den Vorgaben des § 22 Abs. 6 SGB II verweigert hat, zumal durch die Fortführung der Unterbringung der Antragsteller in einem Frauenhaus weitaus höhere Kosten entstehen als dies durch eine Mietwohnung der Fall wäre – abgesehen von der psychischen Belastung der ohnehin durch die Verfolgungssituation betroffenen Antragsteller.
Zusammenfassend kann man sagen
Jobcenter müssen gem. § 22 Abs. 6 SGB II Leistungsempfängern auch eine – Barkaution – gewähren, wenn die Vermieterin entsprechend der mietvertraglichen Regelung auf einer Barkaution besteht.
1. Eine entsprechende Beschränkung auf die Ausstellung einer Garantieerklärung sieht der Wortlaut des § 22 Abs. 6 SGB II nicht vor. Vielmehr sieht die Vorschrift als Regelfall („sollen als Darlehen erbracht werden“) eine Barkaution vor.
2. Ist eine Barkaution vereinbart worden, so kann der Mieter diese Bestimmung weder durch Übergabe eines Sparbuchs noch durch Stellung einer Bürgschaft oder durch andere Formen der Sicherungsleistung nachkommen.
3. Es ist nicht verständlich, weshalb das Bürgergeldamt die Auszahlung der Kaution entgegen den Vorgaben des § 22 Abs. 6 SGB II verweigert hat, zumal durch die Fortführung der Unterbringung der Antragsteller in einem Frauenhaus weitaus höhere Kosten entstehen als dies durch eine Mietwohnung der Fall wäre – abgesehen von der psychischen Belastung der ohnehin durch die Verfolgungssituation betroffenen Antragsteller. LSG NRW, Beschluss v. 02.11.2023 – L 2 AS 913/23 B –
Anmerkung Redakteur Detlef Brock:
Als ich diesen Beschluss zum 1. mal gelesen habe, war ich so erschrocken, dass ich Gänsehaut bekam, denn diese psychisch belastete Frau mit ihren 3 Kids muss Schreckliches durchgemacht machen, nicht umsonst waren sie im Frauenhaus. Ich kenne einen persönlichen Fall aus meiner Zeit in Berlin, dat ist kein Spass.
Solchen Behördenmitarbeitern kann ich nur empfehlen, mal in sich zu gehen, es gibt nämlich auch Jobcentermitarbeiter mit Herz! Außerdem sieht der Wortlaut des § 22 Abs. 6 SGB Ii auch eine Barkaution vor . Mir ist es immer wieder eine Herzenssache, gerade solchen Menschen zu helfen, dafür gehe ich bis an meine Grenzen!
Dazu passend der aktuelle Artikel: Wieder mehr Opfer häuslicher Gewalt
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.