Rente mit 63 ohne Abschlag ist einfacher als oft gedacht

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In Deutschland gibt es eine besondere Mรถglichkeit, vorzeitig und ohne Abschlรคge in die Rente zu gehen: die Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte. Um die Frรผhrente nutzen zu kรถnnen, mรผssen jedoch 45 Jahre Versicherungszeit nachgewiesen werden.

Das mag auf den ersten Blick wie eine unรผberwindbare Hรผrde erscheinen, doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass weit mehr als nur Arbeitsjahre dazu zรคhlen. Dieser Beitrag erklรคrt ausfรผhrlich, welche Zeiten angerechnet werden, welche Besonderheiten zu beachten sind und wie sich Lรผcken ausgleichen lassen.

Wie funktioniert die abschlagsfreie Rente?

Die abschlagsfreie Rente ermรถglicht es, zwei Jahre vor dem regulรคren Rentenbeginn in den Ruhestand zu gehen, ohne finanzielle EinbuรŸen hinnehmen zu mรผssen.

Wรคhrend eine regulรคre vorgezogene Rente mit Abschlรคgen von 0,3 % pro Monat einhergeht, bleibt bei der Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte die volle Rentenhรถhe erhalten. Voraussetzung dafรผr ist jedoch eine Versicherungszeit von 45 Jahren, die sorgfรคltig nachgewiesen werden muss.

Was zรคhlt zu den 45 Jahren Versicherungszeit?

“Die Versicherungszeit umfasst nicht nur klassische Arbeitsjahre, sondern auch viele andere Lebensphasen, die rentenrechtlich relevant sind”, sagt der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.

Eine rein sozialversicherungspflichtige Erwerbstรคtigkeit รผber 45 Jahre hinweg ist in der heutigen Arbeitswelt kaum noch realistisch. Deshalb werden verschiedene andere Zeitrรคume anerkannt, um dieser Marke nรคherzukommen.

Ein wichtiger Faktor sind Kindererziehungszeiten, die sowohl die Rente erhรถhen als auch zur Wartezeit beitragen. Eltern, die Kinder groรŸziehen, kรถnnen fรผr jedes Kind wertvolle Jahre angerechnet bekommen.

“Ebenso spielen aber auch Zeiten der Pflege von Angehรถrigen eine Rolle, wenn diese mindestens 10 Stunden pro Woche umfasst und von der Pflegeversicherung berรผcksichtigt wird”, so Anhalt. Das wird von der Rentenversicherung oft nicht mit hinzugerechnet.

“Auch die berufliche Ausbildung kann, je nach Art, in die Wartezeit einflieรŸen. Wรคhrend schulische Ausbildungen wie das Abitur nicht angerechnet werden, zรคhlen betriebliche Ausbildungen, bei denen ein Gehalt gezahlt und Rentenbeitrรคge abgefรผhrt werden, vollstรคndig mit”, rรคt der Experte.

“Selbst Nebenjobs wรคhrend des Studiums kรถnnen berรผcksichtigt werden, sofern Rentenbeitrรคge entrichtet wurden!”

Darรผber hinaus werden Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes sowie Phasen anerkannt, in denen Arbeitslosengeld I bezogen wurde. Allerdings gibt es Einschrรคnkungen: Arbeitslosengeld II (heute Bรผrgergeld) trรคgt nicht zur 45-jรคhrigen Versicherungszeit bei.

Besonders kritisch ist die Phase unmittelbar vor dem geplanten Rentenbeginn, da Arbeitslosenzeiten in den letzten zwei Jahren vor der Rente nicht angerechnet werden, sofern keine zusรคtzliche rentenrelevante Tรคtigkeit ausgeรผbt wird.

Hier noch einmal eine รœbersicht, was alles dazu gerechnet werden kann:

Die 45 Jahre setzen sich aus unterschiedlichen rentenrechtlich relevanten Zeiten zusammen. Dazu gehรถren unter anderem:

1. Sozialversicherungspflichtige Tรคtigkeiten

Dies umfasst alle Beschรคftigungen, bei denen Rentenbeitrรคge abgefรผhrt wurden. Allerdings ist eine durchgehende Vollzeitbeschรคftigung รผber 45 Jahre hinweg in der heutigen Arbeitswelt selten geworden.

2. Kindererziehungszeiten

Kindererziehungszeiten sind ein wichtiger Faktor. Mรผtter oder Vรคter, die Kinder betreuen, erhalten:

  • Kindererziehungszeit: Diese wird direkt auf die Rente angerechnet.
  • Kinderberรผcksichtigungszeit: Diese zรคhlt fรผr die Wartezeit von 45 Jahren.

Mit nur einem Kind kรถnnen bereits bis zu zehn Jahre angerechnet werden, wenn keine anderen rentenrelevanten Tรคtigkeiten in dieser Zeit vorliegen.

3. Betriebliche Ausbildungszeiten

Im Gegensatz zu schulischen Ausbildungen (z. B. Abitur oder Fachschule) werden betriebliche Ausbildungen angerechnet, sofern auf das Gehalt Rentenbeitrรคge gezahlt wurden.

4. Minijobs mit Rentenversicherungspflicht

Arbeiten Studierende beispielsweise neben dem Studium in einem Minijob und verzichten nicht auf die Rentenversicherungspflicht, zรคhlen diese Zeiten ebenfalls mit.

5. Wehr- und Ersatzdienst

Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes werden vollstรคndig angerechnet.

6. Pflege von Angehรถrigen

Pflegen Sie einen Angehรถrigen mindestens 10 Stunden wรถchentlich, so werden diese Zeiten ebenfalls berรผcksichtigt, wenn die Pflegeversicherung Rentenbeitrรคge fรผr Sie zahlt.

7. Arbeitslosengeld (unter bestimmten Bedingungen)

Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs kรถnnen angerechnet werden โ€“ jedoch mit Einschrรคnkungen:

  • Arbeitslosengeld I: Zรคhlt grundsรคtzlich mit.
  • Arbeitslosengeld II (Bรผrgergeld): Wird nicht anerkannt.
  • Besonderheit der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn: Hier werden Arbeitslosenzeiten nicht angerechnet, es sei denn, ein Minijob mit Rentenversicherungspflicht wird ausgeรผbt.

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Wie lassen sich Lรผcken ausgleichen?

Trotz vielfรคltiger Anrechnungsmรถglichkeiten ist es nicht ungewรถhnlich, dass Versicherte am Ende ihrer Erwerbsbiografie noch Lรผcken in der Wartezeit aufweisen. Hier bietet das System die Mรถglichkeit, diese durch freiwillige Beitrรคge zu schlieรŸen.

Wer beispielsweise ein Jahr im Ausland verbracht hat oder aus anderen Grรผnden nicht in der Rentenversicherung prรคsent war, kann fรผr diese Zeit Beitrรคge nachzahlen. Dies ist bis zum 31. Mรคrz des Folgejahres mรถglich.

Die Hรถhe der freiwilligen Beitrรคge lรคsst sich flexibel gestalten und reicht von einem Mindestbeitrag von rund 100 Euro bis zu einem Hรถchstbetrag von etwa 1.400 Euro pro Monat. Eine wichtige Voraussetzung ist jedoch, dass bereits 18 Jahre mit Pflichtbeitrรคgen aus Beschรคftigung oder anderen rentenrelevanten Tรคtigkeiten vorliegen.

Hier noch einmal in der รœbersicht, wie sich die Lรผcken zum Erreichen der Rente mit 63 fรผllen lassen:

1. Mindestzeit von 18 Pflichtbeitragsjahren

Bevor freiwillige Beitrรคge anerkannt werden, mรผssen mindestens 18 Jahre mit Pflichtbeitrรคgen aus Beschรคftigung oder anderen rentenrelevanten Tรคtigkeiten vorliegen.

2. Nachzahlungen fรผr beitragsfreie Zeiten

Freiwillige Beitrรคge kรถnnen fรผr Zeiten geleistet werden, in denen keine andere rentenrechtliche Tรคtigkeit ausgeรผbt wurde โ€“ beispielsweise fรผr Aufenthalte im Ausland. Nachzahlungen sind bis zum 31. Mรคrz des Folgejahres mรถglich.

3. Hรถhe der Beitrรคge

Die Hรถhe der freiwilligen Beitrรคge kann flexibel gewรคhlt werden:

  • Mindestbeitrag: Rund 100 โ‚ฌ pro Monat.
  • Hรถchstbeitrag: Etwa 1.400 โ‚ฌ pro Monat.

Warum ist eine frรผhzeitige Planung so wichtig?

Das Erreichen der 45-jรคhrigen Wartezeit erfordert in vielen Fรคllen eine gezielte Planung. Vor allem in Phasen des Lebens, die nicht automatisch zur Versicherungszeit zรคhlen, ist es entscheidend, frรผhzeitig MaรŸnahmen zu ergreifen. Wer beispielsweise lรคngere Zeit arbeitslos war oder eine schulische Ausbildung absolviert hat, sollte prรผfen, ob ergรคnzende Tรคtigkeiten wie ein rentenversicherungspflichtiger Minijob hilfreich sein kรถnnten.

Eine regelmรครŸige Klรคrung des Rentenkontos ist ebenfalls essenziell. Sie sorgt dafรผr, dass alle relevanten Zeiten korrekt erfasst werden und keine Unstimmigkeiten auftreten, die spรคter mรผhsam nachgewiesen werden mรผssen.

“Besonders vor dem geplanten Renteneintritt ist es sinnvoll, sich umfassend beraten zu lassen, um alle Optionen auszuschรถpfen”, sagt Anhalt.

Ein Praxisbeispiel: Wie Sabine die 45-jรคhrige Wartezeit erreicht hat

Sabine, 64 Jahre alt, hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet und Kinder groรŸgezogen. Als sie sich mit dem Gedanken an ihren Ruhestand beschรคftigt, stellt sie fest, dass sie mit 63 Jahren gerne in Rente gehen wรผrde, um mehr Zeit mit ihrer Familie und ihren Hobbys zu verbringen.

Ihr Ziel: ohne Abschlรคge in den Ruhestand zu gehen. Doch beim Blick auf ihr Rentenkonto merkt sie, dass sie die 45-jรคhrige Wartezeit noch nicht ganz erreicht hat. Hier ein Blick auf ihren Lebensweg und die Lรถsung, die sie gefunden hat.

Sabines beruflicher Werdegang und Rentenzeiten

Sabine begann nach der Schule eine dreijรคhrige kaufmรคnnische Ausbildung, die sie erfolgreich abschloss. Danach arbeitete sie in Vollzeit in einem mittelstรคndischen Unternehmen. Insgesamt sammelte sie in dieser Phase 20 Jahre sozialversicherungspflichtige Beschรคftigungszeit.

Mit 35 Jahren entschied sie sich, ihre beiden Kinder groรŸzuziehen. Fรผr die Betreuung ihrer Kinder blieb sie zehn Jahre lang zu Hause, arbeitete nur sporadisch auf 450-Euro-Basis und kรผmmerte sich um den Haushalt. In dieser Zeit wurden ihr auf ihrem Rentenkonto Kindererziehungszeiten angerechnet, was ihr spรคter bei der Wartezeit von 45 Jahren zugutekam.

Im Alter von 45 Jahren kehrte Sabine in den Arbeitsmarkt zurรผck, diesmal jedoch in Teilzeit. Bis zu ihrem 60. Lebensjahr arbeitete sie weiter und sammelte zusรคtzliche Versicherungsjahre. Mit 60 Jahren verlor sie jedoch ihren Arbeitsplatz und bezog ein Jahr lang Arbeitslosengeld I.

Die Rentenkontoanalyse: 44,5 Jahre Versicherungszeit

Sabine lieรŸ kurz vor ihrem 63. Geburtstag eine Rentenkontoanalyse durchfรผhren und stellte fest, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt 44,5 Jahre Versicherungszeit gesammelt hatte.

Es fehlten ihr also noch sechs Monate, um die erforderlichen 45 Jahre zu erreichen. Sie wollte vermeiden, ihre Rente mit Abschlรคgen in Anspruch zu nehmen, und suchte nach einer Lรถsung.

Die Lรถsung: Freiwillige Beitrรคge und ein Minijob

Sabine entschied sich, die fehlenden sechs Monate durch freiwillige Beitrรคge auszugleichen. Da sie in dieser Zeit nicht sozialversicherungspflichtig beschรคftigt war, konnte sie fรผr die Lรผcke Beitrรคge nachzahlen. Sie wรคhlte den Mindestbeitrag von rund 100 Euro pro Monat, was fรผr ihre finanzielle Situation gut machbar war.

Zusรคtzlich nahm sie fรผr die letzten Monate vor ihrem Renteneintritt einen Minijob an. Sie arbeitete zehn Stunden pro Woche in einem kleinen Blumenladen und lieรŸ sich nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien. Die daraus resultierenden Rentenbeitrรคge wurden ebenfalls angerechnet und trugen dazu bei, dass sie die 45 Jahre schlieรŸlich vollmachen konnte.

Das Ergebnis: Abschlagsfreie Rente mit 63

Dank der Kombination aus Kindererziehungszeiten, beruflicher Tรคtigkeit, einem Jahr Arbeitslosengeld und der gezielten Nachzahlung konnte Sabine die Wartezeit von 45 Jahren rechtzeitig erfรผllen.

Mit 63 Jahren trat sie die Altersrente ein โ€“ ohne Abschlรคge und mit einer soliden Rentenhรถhe. Ihre sorgfรคltige Planung zahlte sich aus, und Sabine konnte sich auf einen entspannten und finanziell gesicherten Ruhestand freuen.

Sabines Geschichte zeigt, dass der Weg zur abschlagsfreien Rente oft aus einer klugen Mischung verschiedener MaรŸnahmen besteht. Kindererziehungszeiten, berufliche Phasen, Minijobs und freiwillige Beitrรคge bieten viele Mรถglichkeiten, Lรผcken zu schlieรŸen und die Rentenansprรผche zu optimieren.