Menschen mit Schwerbehinderung genießen einen besonderen Kündigungsschutz – doch ein vollständiger Schutz vor Jobverlust besteht nicht. Arbeitgeber benötigen in vielen Fällen die Zustimmung des Integrationsamts, doch auch das ersetzt keine sorgfältige Prüfung.
Ein weitverbreiteter Irrglaube: Wer als schwerbehinderter Mensch arbeitet, sei automatisch unkündbar. Doch das deutsche Arbeitsrecht kennt keine absolute Unkündbarkeit – auch nicht für Menschen mit anerkanntem Grad der Behinderung.
Richtig ist: Ab dem siebten Monat eines bestehenden Arbeitsverhältnisses dürfen Arbeitgeber schwerbehinderten Menschen nur dann kündigen, wenn das Integrationsamt dem ausdrücklich zustimmt. Doch was heißt das genau – und in welchen Fällen ist eine Kündigung überhaupt zulässig?
Inhaltsverzeichnis
Wann greift der besondere Kündigungsschutz?
Der erweiterte Schutz gilt für:
- Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50,
- sowie gleichgestellte Arbeitnehmer ab einem GdB von 30, wenn sie vom Arbeitsamt gleichgestellt wurden.
Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten besteht (§ 173 SGB IX). Vor Ablauf dieser Frist – also in der Probezeit – kann grundsätzlich ohne Beteiligung des Integrationsamts gekündigt werden.
Integrationsamt muss vor Kündigung zustimmen
Ist die sechsmonatige Frist überschritten, benötigt der Arbeitgeber in jedem Fall eine vorherige Zustimmung des Integrationsamts – egal, ob die Kündigung personenbedingt, verhaltensbedingt oder betriebsbedingt erfolgen soll. Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung automatisch unwirksam.
Dabei prüft das Amt nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. Die Behörde bewertet, ob die Kündigung mit Blick auf die Behinderung gerechtfertigt ist oder ob mildere Mittel zur Verfügung stehen. Es gelten je nach Kündigungsart unterschiedliche Maßstäbe:
Fall 1: Personenbedingte Kündigung – wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten dominieren
Hier geht es um Fälle, in denen Arbeitnehmer über längere Zeiträume arbeitsunfähig waren. Das Integrationsamt genehmigt eine Kündigung nur, wenn die Prognose negativ ausfällt – das heißt: Es ist nicht absehbar, dass sich der Gesundheitszustand so weit verbessert, dass die Person ihre Arbeit wieder zuverlässig ausführen kann.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer fehlt über zwei Jahre hinweg insgesamt 200 Arbeitstage. Nach Einschätzung der Betriebsärztin ist auch künftig mit hohen Fehlzeiten zu rechnen. Das Amt kann hier die Zustimmung zur Kündigung erteilen – allerdings nur, wenn auch eine Umsetzung oder Umgestaltung des Arbeitsplatzes nicht möglich ist.
Fall 2: Verhaltensbedingte Kündigung – Schutz bei behinderungsbedingtem Fehlverhalten
Ein besonders sensibler Bereich: Wenn sich das beanstandete Verhalten – etwa häufige Verspätungen, Regelverstöße oder Leistungsverweigerung – aus der Behinderung ableiten lässt, darf das Integrationsamt die Zustimmung nicht erteilen. Denn dann wäre die Kündigung eine mittelbare Diskriminierung.
Praxisbeispiel: Ein Beschäftigter mit einer chronischen psychischen Erkrankung verstößt mehrfach gegen betriebliche Kommunikationsregeln. Die Störungen sind nachweislich Folge der Erkrankung. In einem solchen Fall muss das Amt die Kündigung ablehnen.
Fall 3: Betriebsbedingte Kündigung – Amt prüft nicht die unternehmerische Entscheidung
Fällt ein Arbeitsplatz im Unternehmen weg, weil etwa ein Standort geschlossen wird oder eine Umstrukturierung ansteht, kann auch ein schwerbehinderter Arbeitnehmer betroffen sein. Das Integrationsamt überprüft in diesen Fällen nicht die betriebswirtschaftliche Entscheidung selbst – es prüft nur, ob die Auswahl korrekt getroffen und die soziale Schutzwürdigkeit ausreichend berücksichtigt wurde.
Wichtig: Der Arbeitgeber muss darlegen, warum gerade dieser Arbeitsplatz entfällt und warum keine alternative Beschäftigung im Unternehmen möglich ist.
Betriebsrat und Kündigungsschutzgesetz: Weitere Hürden für Arbeitgeber
In Unternehmen mit mehr als zehn Vollzeitbeschäftigten gilt zusätzlich das allgemeine Kündigungsschutzgesetz. Das bedeutet:
- Eine Kündigung ist nur zulässig, wenn sie personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt ist,
- und wenn der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde (§ 102 BetrVG).
Wird der Betriebsrat nicht beteiligt oder das Anhörungsverfahren fehlerhaft durchgeführt, ist die Kündigung schon aus formellen Gründen unwirksam.
Drei-Wochen-Frist für Klage – sonst wird jede Kündigung wirksam
Ein entscheidender Punkt, den viele Betroffene übersehen: Wer gegen eine Kündigung vorgehen will, muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht einreichen (§ 4 KSchG). Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung „kraft Gesetzes“ als wirksam – und zwar auch dann, wenn sie inhaltlich eigentlich angreifbar wäre.
Das bedeutet: Weder fehlende Zustimmung des Integrationsamts noch eine mangelhafte Begründung helfen weiter, wenn nicht rechtzeitig geklagt wird.
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Kündigungsschutzverfahren: So läuft das Zustimmungsverfahren ab
Ein Antrag auf Zustimmung zur Kündigung wird vom Arbeitgeber beim Integrationsamt gestellt. Das Verfahren ist schriftlich und beinhaltet in der Regel eine Stellungnahme des Arbeitnehmers sowie oft auch eine Anhörung des Betriebsrats und des Inklusionsbeauftragten.
Die Entscheidung des Amts erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Berücksichtigung sowohl der Interessen des Unternehmens als auch der Schutzbedürfnisse des schwerbehinderten Menschen.
Dauer: Im Schnitt 3 bis 6 Wochen. Wird innerhalb eines Monats nach Antragstellung keine Entscheidung getroffen, kann der Arbeitgeber je nach Bundesland einen sogenannten Antrag auf Zustimmungsfiktion stellen – das heißt aber nicht automatisch, dass die Zustimmung als erteilt gilt.