Hartz IV: Zersetzung im Jobcenter

Lesedauer 4 Minuten

LEO-Linke Erwerbslosengruppe Köln: Zersetzung mit System. Ein Gesprächsprotokoll mit PAP/IFK (Persönlicher Ansprechpartner/Integrationsfachkraft) N. N.
Zu Beginn spricht N. N. die fünf Stellenangebote an, die er mir mit der Einladung zugesandt hat. Ich teile mit, dass ich mich umgehend beworben und bisher eine Eingangsbestätigung und eine Absage erhalten hätte. I. S. von „Lob und Kritik“ äußere ich, dass ich das Angebot Fachkraft (m/w) ‚Kommunikation und Profil‘“ beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband „sehr passend“ gefunden hätte, mich aber das Angebot „Mitarbeiter für die Stempelproduktion (m/w) / Helfer/in – Druck“ sehr erstaunt habe. Ich frage N. N., warum er mir dieses „Angebot“ (sc.: das ich nicht ablehnen konnte) unterbreitet habe.

N. N. erklärt, ich sei in andere Stellen nicht mehr vermittelbar, er werde mir daher nur noch Helfertätigkeiten vorschlagen bzw. mich „in Maßnahmen stecken“. Als Begründung führt er an, dass heutzutage jeder Arbeitgeber Bewerber googele, und jemanden, der womöglich ein Buch über ihn schreiben werde – ich habe über das von der ARGE großzügig geförderte „Projekt Neue [Prekäre] Arbeit Köln“ bei der Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) ein Buch veröffentlicht: „Die Freiheit des Fahrausweisprüfers, Zwei Jahre im Kölner Kontrolldienst“ (Norderstedt 2011) –, nicht einstelle. Dazu erkläre ich, dass meine Chancen auf Einstellung am größten seien, wo mein Qualifikations- und Persönlichkeitsprofil mit dem Anforderungsprofil übereinstimme, und meine Erfahrungen im Auswahlverfahren für eine Stelle „Restaurierungshelfer“ beim Stadtarchiv – die Fachbereichsleiterin warf mir vor, mir ein eigenes Urteil zum Zustand eines Dokumentes erlaubt zu haben – ja zeigten, dass ich für eine Helfertätigkeit ungeeignet sei.

N. N. erklärt, er habe sich auch gewundert, warum mir die „JobBörse N. N.“ diese Stelle überhaupt vorgeschlagen habe. (Anm.: Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, das Gleiche zu tun.) Ich fahre fort. Ein Arbeitgeber sei „mit dem Klammerbeutel gepudert“, wenn er jemanden einstelle, der nicht auf die Stelle passe, denn mit einer Fehlbesetzung würde niemand glücklich werden. Dann frage ich rhetorisch: „Was glauben Sie, warum der Stempelfirmainhaber prompt eine Absage versandte, als ihm die Bewerbung eines Kunsthistorikers und Buchautors auf eine Helferstelle auf dem Schreibtisch lag?“

Darauf meint N. N., ich hätte meine Qualifikationen verschweigen sollen. (Sehr geehrte Leser, bitte lesen Sie diesen Satz noch einmal, es lohnt sich bestimmt.)

Ich berichte, mir habe jmd. geraten, mich als „Bekloppten“ zu bewerben, der gerne stempele, und erinnere N. N. daran, dass ich Kunsthistoriker mit den Nebenfächern Klass. Archäologie und Ägyptologie sowie dem akad. Grad M. A. und Buchautor (im März d. J. wird mein Historischer Roman „Anno Domini IX.“ über die römisch-germanischen Kriege 12 v. – 16 n. Chr. neu aufgelegt werden) sei, und er mir das nicht absprechen könne.

N. N. erklärt, es zähle nicht, dass ich Kunsthistoriker und Buchautor sei, ich müsse Geld verdienen. Er äußert Zweifel, dass ich das als Kunsthistoriker oder Buchautor könne – er trägt seine ‚Literaturkritik‘ vor –, und ergänzt auf meinen Protest: „Ich würde Sie auch zum Putzen einteilen.“ (Sehr geehrte Leser … na, Sie wissen schon.)

Mit einem Finger auf den Tisch klopfend, insistiere ich, dass Art. 1 GG „Würde des Menschen“ unmittelbar gültiges Bundesrecht sei, und er als Behördenmitarbeiter meine Würde zu achten, und nicht i. Ggt. meine Qualifikationen und meine Persönlichkeit zu missachten habe. Darauf erklärt N. N., er werde mir ein Gespräch mit der Standortleitung vermitteln. Außerdem erzählt er mir von einem gescheiterten Unternehmer und ehem. Millionär, der ihm gesagt habe, jede Tätigkeit sei besser, als Hilfe zu beziehen. (Anm.: Das zu meinen, ist gemäß Art. 5 GG „Meinungs- und Pressefreiheit“ ein Menschenrecht.

Ich erkläre, dass ich mich in den Arbeitsmarkt einbringen wolle und daher auch künftig auf Stellen bewerben würde, die zu meinen Qualifikationen passten. Es gebe auch keinen Grund anzunehmen, dass eine Stempelfirma Bewerber nicht googele, oder ein Enthüllungsbuchautor harmloser wirke, wenn er sich auf eine Helferstelle bewerbe.

Nun wirft mir N. N. vor, ich käme mit keinem Arbeitgeber aus, worauf ich thematisiere, an welche Arbeitgeber mich seine Behörde vermittelt habe. Die KVB habe uns Projektteilnehmer genötigt, eine rechtswidrige Fangquote zu erfüllen, und dazu angestiftet, falsche Fahrgastzahlen zu beurkunden, um Subventionen zu erschwindeln. „Klar, dass die mich nicht gebrauchen konnten [und nach zweijähriger Drangsalierung nicht übernahmen].“

Da fragt mich N. N., ob ich mich einmal als Arbeitsvermittler im Jobcenter beworben hätte. Dies bejahe ich; ich erhielt eine Absage. Dann schlägt mir N. N. unter Bezug auf meine Kontakte zu Römerdarstellern vor, sog. Römertreffen zu organisieren, „mehrmals im Jahr, so, dass Sie davon leben können“, und ich schildere meinen Versuch, eine Kölner Römergruppe an die Römertage in Haltern zu vermitteln. Außerdem berichtet mir N. N. von einem Mann, der Veranstaltungsteilnehmer schweigend ansehe, ihnen eine Hand auf die Schulter lege und dadurch ein Gefühl von Geborgenheit gebe. Die Menschen seien bereit, dafür viel Geld auszugeben. Ich soll auch eine Halle mieten und Veranstaltungen machen. Euphorisch ruft N. N. aus: „Think big!“

Ich erinnere an einen Motivationstrainer, der im Gefängnis gelandet sei und Mithäftlinge dazu gebracht habe, Post-its mit Sprüchen wie „Du schaffst es!“ an ihren Toilettenspiegel zu kleben, erkläre mich aber auch gerne bereit, eine berufliche Zukunft als Sektenguru ernsthaft zu prüfen.

N. N. sieht „keinen Sinn“ darin, eine neue sog. „Eingliederungsvereinbarung“ für mich zu formulieren. (Anm.: Der Text ist noch nie mit mir ausgehandelt, sondern mir immer diktiert worden.)

„Getötet zu werden (auch durch die Atombombe) ist bloß Verletzung eines allerdings elementaren Menschenrechts; manipuliert zu werden in dem, was für unsere Persönlichkeit konstitutiv ist, bedeutet die denkbar schwerste Verletzung, um nicht zu sagen, die völlige Verneinung und Vernichtung unserer Menschenwürde“ (Oswald von Nell-Breuning, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Hauptvertreter der Katholischen Soziallehre, 8. 3. 1890 – 21. 8. 1991, zitiert nach dem Duden, Bd. 12 „Zitate und Aussprüche“, Mannheim 1993, S. 681). Ich versichere, dass ich dieses Protokoll nach bestem Wissen und Gewissen gefertigt habe. Köln am 5. Februar 2015, gez. Enno E. Dreßler, M. A., Kunsthistoriker + Buchautor

Wissenswertes:
Die römische Sklavenfürsorge verbot, dass ein Herr einen philosophisch gebildeten Sklaven eine Treppe fegen ließ, da dies der Würde des Sklaven widersprochen hätte. Ein Sklave, der sich von seinem Herrn misshandelt fühlte, konnte auf seine Würde pochen, sich beim Stadtpräfekten beschweren oder beim Äskulapheiligtum auf der Tiberinsel um Asyl bitten.