Mit dem Bürgergeld wollte die Ampelregierung ursprünglich einen Paradigmenwechsel bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende einläuten. Das System sollte auf individuelle Beratung, passgenaue Qualifikation und die konkrete Lebenssituation der Betroffenen ausgerichtet sein. Doch nun steht eine Abkehr von diesen Plänen bevor.
ie kürzlich veröffentlichten Koalitionspapiere von Union und SPD zur Nachfolgelösung deuten auf eine Rückkehr zu einem strengeren System hin. Dabei sticht vor allem eins ins Auge: Der Vermittlungsvorrang, der bereits in der Vergangenheit für Kontroversen gesorgt hatte, wird erneut zum zentralen Leitmotiv der Arbeitsmarktpolitik.
Wieder Vermittlungsvorrang statt gezielter Förderung
Seitdem die Hartz-IV-Gesetze in den 2000er-Jahren in Kraft traten, galt für viele Arbeitssuchende das Prinzip: Jede noch so unpassende Stelle muss angenommen werden, sonst hagelt es Sanktionen.
Durch das Bürgergeld sollte sich das ändern. Individuelle Stärken, Schwächen und berufliche Perspektiven sollten mehr Beachtung finden, sodass eine sinnvolle und vor allem nachhaltige Arbeitsaufnahme möglich wäre. Doch diese Idee, die erst vor Kurzem Hoffnung auf einen echten Neuanfang geweckt hatte, weicht jetzt offenbar wieder dem Druck, die Arbeitslosigkeit schnellstmöglich zu senken – koste es, was es wolle.
Die Ampelkoalition wollte eigentlich die Zahl an Sanktionen reduzieren und die Betroffenen intensiver unterstützen. Laut den aktuellen Plänen der neuen Koalition aus Union und SPD steht nun jedoch fest, dass jede verfügbare Arbeit angenommen werden muss. Damit schließt sich der Kreis zurück zum alten, oft als repressiv empfundenen System, bei dem der einzelne Mensch hinter Statistiken und Vermittlungsquoten zu verschwinden droht.
Repressive Grundsicherung
Selbst hochqualifizierte Menschen sehen sich in Zukunft womöglich gezwungen, Aushilfstätigkeiten jenseits ihrer Kompetenzen und Karriereziele anzunehmen.
Diese Praxis hat bereits in der Vergangenheit für Frust und eine schnelle Rückkehr ins Jobcenter gesorgt. Wenn das Arbeitsverhältnis nicht zum Profil passt oder die Rahmenbedingungen für die Betroffenen zu stark von ihren tatsächlichen Qualifikationen abweichen, entstehen häufig Konflikte und neue Phasen der Arbeitslosigkeit.
Diesen Kreislauf bezeichnen Experten wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt als “Drehtüreffekt”: “Der rasche Eintritt in irgendeine Erwerbstätigkeit führt nur selten zu einer dauerhaften Integration in den Arbeitsmarkt”, sagt Anhalt.
Ursprünglich hatte die Bundesregierung unter anderem vorgesehen, die Vermittlungspraktiken stärker an der Lebensrealität der Arbeitssuchenden zu orientieren.
Für viele Betroffene wäre eine zusätzliche Qualifizierung zielführender gewesen als eine sofortige Vermittlung in eine beliebige Stelle. Diese Idee der gezielten Förderung steht jedoch konträr zum klassischen Vermittlungsvorrang, der seitens der Union nie infrage gestellt wurde. Zwar war es auch vorher möglich, Weiterbildungen und Umschulungen zu fördern, doch mit dem erneuten Vorrang für jede Beschäftigung gewinnen Sanktionen, Druck und Eile wieder die Oberhand.
Leistungsbezug wird verfestigt
Angekündigt ist, dass die Jobcenter künftig über zusätzliche finanzielle Ressourcen verfügen sollen, um die Eingliederung zu verbessern. Eine Milliarde Euro zusätzlich klingt zunächst nach einem positiven Signal, dass bei entsprechender Beratung und Förderung eine nachhaltige Vermittlung gelingen könnte.
Doch Kritiker bemängeln, dass diese Mittel verpuffen, wenn Arbeitssuchende mit hohem bürokratischen Aufwand in Stellen vermittelt werden, die kaum zu ihnen passen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene frühzeitig ihren Job wieder verlieren oder von sich aus kündigen – und erneut auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Die Rechnung geht am Ende wohl weder für die Betroffenen noch für die öffentlichen Kassen auf.
In der Debatte um den Drehtüreffekt geht es um mehr als bloße Vermittlungszahlen. Er signalisiert eine grundlegende Fehlentwicklung: Wenn Menschen wiederholt in Tätigkeiten gedrängt werden, die weder ihren Fähigkeiten noch ihrem Werdegang entsprechen, erzeugt das zusätzliche Kosten und verfestigt Unsicherheit. Nicht nur verschwinden dadurch finanzielle Ressourcen im Nichts, es droht auch eine Zunahme sozialer Spannungen. Schließlich kann die Motivation der Betroffenen drastisch sinken, wenn ihre Bedürfnisse und Perspektiven kaum Berücksichtigung finden.
Wie verändert sich die Grundsicherung für Arbeitssuchende insgesamt?
Mit der Wiederbelebung des Vermittlungsvorrangs werden wichtige Säulen der Bürgergeld-Reform geschleift. Viele Betroffene hatten gehofft, durch individuelle Förderung und möglichst passgenaue Vermittlung eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Diese Hoffnung droht nun zu schwinden.
Stattdessen betonen die Koalitionspapiere die schnelle und reibungslose Vermittlung in irgendeine Beschäftigung. Dabei stand zu Beginn der Bürgergeld-Debatte das Ziel im Raum, den Wert des Einzelnen zu berücksichtigen, Potenziale zu entfalten und Lebensläufe zu respektieren. All das scheint wieder in den Hintergrund zu rücken.
Im Kreislauf stecken bleiben
Es zeichnet sich ab, dass mit den neuen Regelungen wieder ein starker Druck auf Arbeitssuchende ausgeübt wird. Während die Ampel noch versuchte, eine Brücke zwischen wirtschaftlicher Verwertbarkeit und individueller Lebenssituation zu schlagen, deutet das neue Koalitionspapier von Union und SPD auf eine nüchternere Sicht: Hauptsache, die Menschen kommen schnell in Arbeit – egal ob qualifikationsgerecht oder nicht.
Dass dies zu wiederholten Arbeitslosigkeitsphasen führt und der sogenannte Drehtüreffekt damit seinen Namen alle Ehre macht, ist eine Konsequenz, die zahlreiche Fachleute bereits in vergangenen Jahren beklagt haben.
Inwiefern die zusätzlichen Gelder für die Jobcenter tatsächlich sinnvoll eingesetzt werden, wird sich daran messen lassen müssen, wie nachhaltig die Arbeitsverhältnisse sind, die Arbeitssuchende künftig aufnehmen.