Behinderung: Inklusion und Integration sind zwei Paar Schuhe

Lesedauer 3 Minuten

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Inklusion und Integration von Menschen mit Behinderungen oft gleichgesetzt.

Das ist ein Fehler, denn es handelt sich um zwei grundverschiedene Herangehensweisen. Leider sind sich auch Verantwortliche oft nicht im Klaren รผber diese Unterschiede. Wir erklรคren, was Integration, also Einbindung, bedeutet, und was Inklusion voraussetzt.

Was bedeutet Integration

Integration bedeutet Einbindung von AuรŸenstehenden in etwas Bestehendes. Fรผr Menschen mit Behinderungen heiรŸt das. Sie werden einbezogen, ohne dass sich an den Rahmenbedingungen etwas รคndert.

Sie kรถnnen zum Beispiel gemeinsam mit Menschen ohne Behinderung am Unterricht in der Schule oder am Studium an einer Universitรคt teilnehmen, doch dabei werden die Bedingungen nicht auf ihre besonderen Bedรผrfnisse eingestellt, sondern sie mรผssen sich an die Rahmenbedingungen anpassen.

Die Betroffenen mรผssen sich anpassen

Dabei bekommen sie zwar unter Umstรคnden ein gewisses AusmaรŸ an Unterstรผtzung, um sich an diese Bedingungen anzupassen wie Fรถrderunterricht oder einen Begleiter, der einen Rollstuhl Treppen hinauf bringt, aber es werden keine Voraussetzungen geschaffen, damit sie selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben kรถnnen.

Einbinden kann ausschlieรŸen

Einen Menschen mit Behinderungen in das Bestehende einzubinden bedeutet in der Praxis oft, diesen Menschen von der Teilhabe auszuschlieรŸen. Ein Mensch mit Hรถrproblemen, der der Lautsprache nicht folgen kann, ist zwar formal im Klassenverband, kann aber ohne Gebรคrdensprache oder technische Hilfen dem gemeinsamen Unterricht nicht folgen.

Was bedeutet Inklusion?

Inklusion geht รผber diese Einbindung in das Bestehende weit hinaus. Ist Inklusion umgesetzt, dann muss sich der Mensch mit Behinderung nicht mehr an seine seine Umwelt anpassen, sondern die Bedingungen sind so gestaltet, dass er รผberall selbstbestimmt teilhaben kann.

Schulen, Arbeitsplรคtze oder Wohnungen sind dann barrierefrei, in der Architektur zum Beispiel durch Rampen oder Fahrstรผhle, die ein Mensch mit Gehbehinderung ohne fremde Hilfe nutzen kann.

In der Schule bedeutet es zum Beispiel, dass Unterricht auรŸer in Lautsprache auch in Gebรคrdensprache stattfindet, oder dass Schรผler im Autismus-Spektrum per Video am Unterricht teilnehmen, damit soziale Kontakte sie nicht รผberfordern sowie Aufgaben mit angepasstem Grad an Schwierigkeit.

Exklusion โ€“ lange der Normalfall

Die gesellschaftliche Praxis behinderte lange systematisch Menschen mit besonderen Bedรผrfnissen. Es bedeutet den Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben. So mussten Menschen mit geistigen, psychischen oder kรถrperlichen Einschrรคnkungen noch vor wenigen Jahrzehnten in der Regel in Einrichtungen auรŸerhalb der stรคdtischen Zentren leben und konnten kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben.

Betreutes Wohnen ermรถglicht vielen Menschen mit Behinderungen heute, in Wohngruppen zusammen zu leben, andere haben eine eigene Wohnung, in denen ihnen ein Assistent zur Seite steht.

Ausschluss und Inklusion im รœbergang

Ausschluss bedeutet, dass Menschen mit Behinderung wegen ihrer Behinderung keine Schule besuchen oder nicht arbeiten dรผrfen. Das ist heute in Deutschland nicht mehr der Fall, doch nach wie vor existieren Formen des Ausschlusses von der gesellschaftlichen Teilhabe, die weniger deutlich ins Auge fallen, da sie zugleich in bestimmten AusmaรŸ Inklusion ermรถglichen beziehungsweise ermรถglichen sollen.

Das gilt zum Beispiel fรผr spezielle Fรถrderschulen. In denen bekommen die Betroffenen zwar grundsรคtzlich die Mรถglichkeit zur Bildung, aber nur in speziellen Einrichtungen, die sie von anderen Menschen der Gesellschaft trennen.

Im Arbeitsleben sind die Werkstรคtten fรผr Menschen mit Behinderung eine solche Mischung aus Inklusion und Ausschluss. Die Betroffenen kรถnnen zwar arbeiten, werden aber vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

Sie erhalten weder Mindestlohn noch haben sie andere Arbeitsrechte, was bei einer echten Inklusion der Fall sein mรผsste. Selbstbestimmung gibt es fรผr sie nicht, und diese Werkstรคtten sind der grรถรŸte Niedrigstlohn-Sektor Europas โ€“ Ausbeutung statt Inklusion.

Soziale Ausgrenzung

Inklusion bedeutet allerdings nicht nur, dass der Rahmen geschaffen ist, damit jeder und jede ohne Barrieren an der Gesellschaft teilhaben kรถnnen, sondern auch das soziale Verhalten spielt eine wesentliche Rolle.

Wenn andere Schรผler einen Menschen mit Behinderung wegen seiner Einschrรคnkung mobben, diesen Menschen diskriminieren oder ihn wie einen Fremdkรถrper behandeln, dann findet keine Inklusion statt, sondern Ausgrenzung. Das gilt auch bei einem weitgehend barrierefreien Rahmen.

Umgekehrt kรถnnen Rรผcksicht, Freundschaft und Kooperation auf Augenhรถhe fehlende Barrierefreiheit teilweise ausgleichen.