Menschen mit Schwerbehinderung haben einen Anspruch auf Entschรคdigung, wenn sie im Bewerbungsverfahren wegen ihrer Einschrรคnkung diskriminiert wurden.
Es liegt jedoch keine Diskriminierung vor, wenn die Bewerbung des Menschen mit Schwerbehinderung einging, nachdem die Stelle bereits besetzt war. So urteilte das Landesarbeitsgericht Dรผsseldorf. (Az. 3 Sa 556/22)
Der Arbeitgeber muss die Vermutung widerlegen
Bei Bewerbungsverfahren gelten Fรถrderpflichten zugunsten von Menschen mit Schwerbehinderungen. Es handelt sich dabei nicht um reine Empfehlungen, sondern diese Regelungen sind juristisch wichtig.
Vermuten Betroffene eine Diskriminierung wegen ihrer Einschrรคnkung, weil die vorgeschriebenen Verfahrensweisen nicht eingehalten wurden, liegt es am Arbeitgeber, dies zu widerlegen.
Der Betroffene erhielt eine Absage
Der betroffene Mensch mit Schwerbehinderung bewarb sich auf eine Stelle als Scrum Master / Agile Coach. Er erhielt eine Absage und klagte, weil er sich wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren als diskriminiert ansah.
Konkret, so der Klรคger, hรคtte der Arbeitgeber gegen Paragraf 164 Absatz 1 Satz 2 im neunten Sozialgesetzbuch verstoรen. Er hรคtte zwar die Stellenausschreibung der Agentur fรผr Arbeit vermittelt, diese auch auf der Jobbรถrse verรถffentlicht, jedoch keinen Vermittlungsauftrag getรคtigt bei der besonderen Stelle der Agentur fรผr Arbeit.
Die Klage sollte eine Entschรคdigung nach Paragraf 15 Absatz 2 im AGG erreichen.
Entscheidung war schon getroffen
Der Arbeitgeber hielt dem entgegen, dass er sich bereits fรผr einen anderen Bewerber entschieden gehabt hรคtte, als er die Bewerbung des Menschen mit Schwerbehinderung bekommen hรคtte. Dieser andere Bewerber hรคtte bereits per E-Mail eine Zusage abgegeben gehabt.
Deswegen sei eine Diskriminierung wegen Schwerbehinderung ausgeschlossen.
Entschรคdigung ist nicht gerechtfertigt
Das LAG Dรผsseldorf entschied, dass es in diesem Fall keinen Anspruch auf Entschรคdigung gebe. Der Arbeitgeber hรคtte glaubwรผrdig dargelegt, dass keine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung erfolgt sei.
Es stimme zwar, dass der Bewerber mit Schwerbehinderung benachteiligt worden sei, weil der Arbeitgeber einen anderen Bewerber vorgezogen habe. Doch sei diese Benachteiligung nicht wegen der Schwerbehinderung erfolgt, und somit bestรผnde auch kein Anspruch auf eine Entschรคdigung.
Allerdings sei es richtig, dass der Arbeitgeber einen Vermittlungsauftrag an eine qualifizierte Stelle hรคtte geben mรผssen. Hier liege tatsรคchlich ein Verstoร gegen eine Verpflichtung nach Paragraf 164 Absatz 1, Satz 2 SGB IX vor.
Die fehlende Diskriminierung ist bewiesen
Wenn ein Arbeitgeber wie in diesem Fall gegen Verfahrensvorschriften zuungunsten von Menschen mit Behinderung verstoรe, dann wรผrde eine Diskriminierung wegen der Behinderung vermutet, so das Gericht.
Diese Vermutung fรผhre dann dazu, dass der Arbeitgeber beweisen mรผsse, dass es diese Diskriminierung nicht gab. Zeugenaussagen und die Vorlage von E-Mails hรคtten gezeigt, dass das Bewerbungsverfahren bereits vor Eingang der Bewerbung des Menschen mit Behinderung abgeschlossen gewesen sei.
Bewerbungsverfahren war bereits beendet
Laut Gericht zeigten die Beweisdokumente, dass am 24. August 2021 um 11.09 die Entscheidung gefallen sei, die Stelle mit jemand anders zu besetzen. Damit sei das Auswahlverfahren beendet gewesen.
Die Bewerbung des Menschen mit Schwerbehinderung sei eine Stunde spรคter eingegangen. Der Grund fรผr die Absage sei also das beendete Verfahren gewesen, und die Behinderung habe dabei keine Rolle gespielt.
- รber den Autor
- Letzte Beitrรคge des Autors
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universitรคt Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen fรผr ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.