Wenn Sie sich nach einer erfolgten Kündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses krankschreiben lassen, dann unterstellen Arbeitgeber sehr schnell, dass Sie nicht wirklich arbeitsunfähig sind.
Das Bundesarbeitsgericht sorgte für Klarheit, nach welchen Kriterien sich beurteilen lässt, ob die Beweise für die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erschüttert werden. (Az: 5 AZR 137/23)
Ärztliche Atteste haben einen hohen Beweiswert
Wenn Arbeitnehmer sich im Zeitraum des Prozesses einer Kündigung krankmelden, halten Arbeitgeber die Krankmeldung oft für vorgetäuscht. Bisweilen ist ein schlechtes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Ursache der Kündigung, und in anderen Fällen verschlimmert sich dieses Verhältnis wegen der Kündigung.
Gerade dann verdächtigen Arbeitgeber krankgeschriebene Arbeitnehmer besonders einer Täuschung.
So leicht Arbeitgeber also vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit unterschieben wollen, so schwer ist es, vor Gericht mit dieser Anschuldigung durchzukommen.
Krankschreibungen durch Ärzte und Ärztinnen haben vor Gericht einen hohen Stellenwert und eine starke Beweiskraft. Ob also ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht leiden kann und deshalb subjektiv das Attest eines Arztes anzweifelt, ist erst einmal herzlich gleichgültig.
Arbeitnehmer muss Arbeitsunfähigkeit beweisen
Das Bundesarbeitsgericht sieht allerdings den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bröckeln, wenn der Arbeitnehmer erstens ab Zeitpunkt der Kündigung arbeitsunfähig geschrieben ist, und diese Krankschreibung zweitens exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dauert.
Dann muss der Arbeitnehmer die durch Krankheit verursachte Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen. Diese ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber besteht.
Das Bundesarbeitsgericht stellte zudem fest, dass immer im Einzelfall die Gesamtumstände berücksichtigt werden müssten.
Bundesarbeitsgericht prüft den Fall
Im konkreten Fall sah das Bundesarbeitsgericht die Beweiskraft von zwei Folgebescheinigungen erschüttert. Diese waren exakt zur Kündigungsfrist verlängert worden, und unmittelbar nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses fing der Betroffene mit der Arbeit in einem neuen Job an.
In diesem Fall ging es um einen juristischen Streit zwischen einer Zeitarbeitsfirma und einem ehemaligen Mitarbeiter. Dieser hatte seit März 2021 als Helfer gearbeitet und wurde ab Mitte April 2021 nicht mehr eingesetzt.
Am 2. Mai 2021 meldete er sich mit ärztlichem Attest für vier Tage krank. Der Arbeitgeber kündigte am selben Tag zum Ende des Monats. Am 3. Mai erhielt der Beschäftigte die Kündigung. Er reichte jetzt zwei weitere Krankschreibungen ein – bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses.
Der Gekündigte klagt wegen Entgeltfortzahlung
Die Zeitarbeitsfirma weigerte sich, dem Gekündigten das Entgelt fortzuzahlen, wie es im Krankheitsfall vorgeschrieben ist. Die Begründung lautete, der Arbeitnehmer habe sich zeitgleich mit der Kündigung krankgemeldet – und exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Anfang Juni hätte er sofort einen neuen Job angenommen.
Der Arbeitnehmer forderte hingegen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Er begründete dies damit, dass er nicht zum Zeitpunkt seiner Kündigung krank geworden sei, sondern einen Tag zuvor.
Landesarbeitsgericht stimmt Gekündigtem zu
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen stimmte dem Kläger zu. Der Arbeitgeber müsse den ausstehenden Lohn zahlen. Denn der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht erschüttert, da die Krankmeldung nicht durch die Kündigung motiviert gewesen sei. Vielmehr habe der Arbeitnehmer sich zuerst krankgemeldet, und der Arbeitgeber später gekündigt.
Das Bundesarbeitsgericht sieht es anders
Der Fall ging bis vor das Bundesarbeitsgericht. Dieses bewertete das Gesamtgeschehen anders. Richtig sei zwar, dass die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung gestanden hätte.
Der Arbeitnehmer hätte insofern keine Kenntnis von der beabsichtigten Kündigung gehabt.
Doch bei den beiden folgenden Bescheinigungen sei der Beweiswert erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hätte nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist eine zeitliche Übereinstimmung bestanden hätte.
Zudem hätte der Arbeitnehmer unmittelbar nach Auslaufen des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen.
Der Arbeitnehmer hätte die volle Beweis- und Darlegungslast, um das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu belegen und so Anspruch auf Fortzahlung eines Entgelts zu haben.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Sache zur neuen Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.