Hartz IV Urteil: Enttäuschung und Überraschung

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Rechtsanwalt Klinder: Das Hartz IV – Urteil des Bundesverfassungsgericht: Enttäuschung und Überraschung

Das Hartz IV – Urteil des Bundesverfassungsgericht: Enttäuschung und Überraschung. Nein, ein Triumph war das für die Kläger sicherlich nicht. Die Entscheidung stellte sich eher zunächst wie ein riesiges Geschenkpaket dar, welches sich nach dem Auspacken als Miniatur entpuppte

Das Bundesverfassungsgericht hat die SGB II – Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Das bedeutet aber nicht automatisch höhere Regelsätze, wie die Kläger schmerzlich später erfahren mussten. Die Verfassungswidrigkeit beruhe vielmehr auf der widersprüchlichen, teilweise willkürlichen und ohne empirische Grundlage vorgenommen Handhabung eines verfassungsrechtlich durchaus zulässigen Statistikmodells. Die Höhe der Regelsätze könne nicht als evident unvertretbar angesehen werden. Die gelte insbesondere auch für die damaligen 207 Euro Regelsatz für Kinder bis 14 Jahre.

Dieser Satz dürfte für die Betroffenen sicherlich schwer zu verarbeiten gewesen sein, hoffte man doch zumindest für diesen Personenkreis auf eine eindeutige Intervention des Bundesverfassungsgerichts. Zur Begründung verwies es auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Selbst bei dieser Gruppe lehnte das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung ab. Wer geglaubt hatte, es würde, gestützt auf statistische Berechnungen explizite Mindestbeträge festlegen, musste sich eines besseren belehren lassen. Vielmehr lesen sich viele Ausführungen in den Entscheidungsgründen wie eine Aufzählung von den vielen Wohltaten des Gesetzgebers

Es sollte jedoch noch schlimmer kommen. Das Gericht ordnete sogar eine Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen über die Urteilsverkündung bis 31 Dezember 2010 an und verlangte erst ab diesem Zeitpunkt eine schlüssige und nachvollziehbare Neuberechnung des Regelsatzes. Damit wurden unzählige Überprüfungsanträge gem. § 44 SGX, die auf eine Nachzahlung für die Vergangenheit spekuliert hatten, blosse Makulatur.

Hier müßte ein deutliches Aufatmen in den Abteilungen der Bundesagentur für Arbeit zu hören gewesen sein. Das Gericht begründete dies in den Gründen mit unabsehbaren fiskalischen Folgen und der Tatsache, dass es sich um eine ungeklärte verfassungsrechtliche Frage gehandelt habe, so dass eine Rückwirkung nicht in Betracht komme. An letzterem Kriterium könnte man durchaus zweifeln, bedenkt man, dass bei der Anhörung zutage trat, dass manche Entscheidungen in den Fachreferaten eher eine Nähe zu einem Würfelspiel hatten, so dass sich die Verfassungswidrigkeit unter Berücksichtigung der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts sich förmlich hätte aufdrängen müssen.

Geblieben ist eine Neuberechung zum ersten Januar 2011, wobei schon jetzt denkbar ist, dass mit einer schlüssigen Begründung ein Wert errechnet werden könnte, der nicht sehr gravierend von der heutigen Höhe der Regelsätze abweicht. Es wird für Kinder sicherlich etwas mehr geben, wobei das Schulbedarfspaket, welches vom Gericht als „freihändige“ systemwidrige ad-hoc Wohltat kritisiert wurde, wohl darin integriert wird. Manche Experten befürchten sogar eine geringfügige Absenkung der Regelsätze für Erwachsene.

Es wurde streckenweise dann doch noch peinlich für den Gesetzgeber. Vor allem der Hinweis des Gerichts am Ende der Entscheidung, der Gesetzgeber könne nun mal gleich die in diesem Jahr verfügbare aktuelle EVS nehmen, verbirgt elegant den Vorwurf, er habe in der Vergangenheit immer mit zu alten Sachen „hantiert“. Insgesamt jedoch, stellte diese Kritik an der Berechnung für die Betroffenen nicht die erhoffte Hilfe dar.

Die Sensation liegt vielmehr woanders. Mir der Verkündung verpflichtete das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung, den Bund, d.h. die ARGE, die Kosten für einen unabweisbaren, laufenden Bedarf, der zum Existenzminimum gehört, zu übernehmen. Damit können die vielfach seitens der Sozialgerichtsbarkeit durchgeführten Interpretationskunststücke des § 23 SGB II aufhören.

Dies wirkt faktisch bis zur Neuregelung wie eine ab heute in Kraft getretene SGB II – Norm. Davon betroffen sind vor allem privat versicherte Hartz IV-Bezieher, die unter der bekannten Deckungslücke leiden, für die sich niemand zuständig hält oder z.B. chronisch Kranke mit hohen, laufenden Aufwendungen. Auch die Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts, die bisher nach der Rspr. des Bundessozialgerichts gem. § 73 SGB XII vom Sozialhilfeträger zu tragen waren, wurden durch diese Regelung auf die ARGEN umgeroutet, was die Städte und Gemeinden freuen wird.

Hier kommen nicht unerhebliche Lasten auf die ARGEN zu. Ein Schritt mehr hin zum sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz im SGB II, wenn auch unter strengen Einschränkungen. Insoweit hat das Verfahren doch noch etwas sehr Positives hervorgebracht, wenn auch nicht so wie eigentlich vorgesehen. (Rechtsanwalt Markus Klinder, 10.02.2010)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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