Hartz IV Behörden kontrollieren Zeugnisse von Schülern, die in Bedarfsgemeinschaften leben. Zudem werden Schüler in Ausbildungen gedrängt, obwohl sie sich schulisch fortbilden wollen.
(28.07.2010) Nach Informationen von "Spiegel Online" drängen Hartz IV Behörden verstärkt Schüler in Ausbildungen, obwohl diese weiterhin eine schulische Laufbahn einschlagen wollen. Zudem kontrollieren Arge-Sachbearbeiter in regelmäßigen Abständen die Zeugnisse von Schülern. Das passiert nicht überall, aber immer öfter. Die Bundesagentur für Arbeit weist die Vorwürfe von sich. Solche Weisungen gebe es nicht.
Zurecht fragen die Redakteure vom Spiegel, "wie weit dürfen Jobcenter gehen"? Auch uns sind solche Fälle bekannt. So sollen plötzlich 16 und 17 jährige sog. Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben, in denen sie verpflichtet werden, eine Ausbildung zu beginnen. Fatal für diejenigen, die ihre Zukunft anders planen und viel lieber beispielsweise einen erweiterten Realschulabschluss oder die Hochschulreife erlangen wollen. Immer öfter kontrollieren übereifrige Sachbearbeiter die Zeugnisse der Schüler in Bedarfsgemeinschaften, obwohl eine einfache Schulbescheinigung ausreichen würde, um eine "Überprüfung der derzeitigen Verhältnisse" zu vollziehen.
Im konkreten Fall zwingt die Arbeitsagentur ein 16 jähriges Mädchen ihr Halbjahreszeugnis vorzulegen. Das Mädchen weigert sich. Doch die Arge lässt nicht locker und droht sogar mit Sanktionen. Während eines Gespräches mit dem zuständigen Sachbearbeiter wird dem Mädchen eine Eingliederungsvereinbarung vorgelegt. Mit dem Vertrag soll das Mädchen gezwungen werden, sich eine Ausbildung zu suchen. Doch sie will ihre Zukunft wie jeder andere Jugendliche planen.
Die betroffene Jugendliche sucht sich dennoch einen Berufsschule, wo sie ihre "mittlere Reife" nachholen kann. Im August beginnt der Lehrgang zur technischen Mediengestalterin. Auch das dafür erforderliche Praktikum hat sie schon gefunden. Doch der Sachbearbeiter lässt der jungen Frau keine Ruhe. Nun soll die Jugendliche im Rahmen einer "Datenaktualisierung" erneut Schulzeugnisse vorlegen. Liege ein solches Zeugnis innerhalb von drei Wochen nicht vor, so droht die Behörde mit Leistungskürzungen oder sogar mit Kürzungen auf Null. Zurecht fragt sich die Betroffene, was das soll? Sehe das Amt nicht ihre Bemühungen ihre Zukunft zu gestalten?
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verteidigt diese Maßnahme. Schulzeugnisse werden zur Vorlage verlangt, wenn Schüler etwa Nachhilfestunden beantragt haben oder es berechtigte Zweifel gibt, dass keine Ausbildung oder Schulbesuch vorliege. Doch in dem geschilderten Fall hatte die junge Frau keine Nachhilfe verlangt. Man würde Schüler nicht davon abhalten, eine Weiterbildende Schule zu besuchen, "Im Gegenteil", wie eine Sprecherin der BA behauptet. Auch in vielen anderen Fällen sollen Jugendliche dazu gedrängt werden, eine Ausbildung zu machen, obwohl sie eine völlig andere schulische Planung vollziehen.
Die Vorlage von Zeugnissen bei den zuständigen Argen sind immer auf freiwilliger Basis. Das wissen auch die Ämter. Doch sie drohen dennoch mit Leistungseinstellungen. Rechtlich verpflichtet ist man nur Schulbescheinigungen vorzulegen. Werden dennoch Sanktionen ausgesprochen, so empfiehlt es sich sofort Widerspruch einzulegen und im Notfall zu klagen. Ähnlich argumentiert auch der Sozialrechtler Helge Hildebrandt gegenüber dem "Spiegel": "Es existiert keine gesetzliche Verpflichtung der Eltern, der Arbeitsagentur die Schulzeugnisse ihrer Kinder vorzulegen".
Doch die Bundesagentur für Arbeit weiß wie man gesetzliche Regelungen umgehen kann und gibt folgende Weisung heraus, falls sich Eltern der Schüler weigern, die kopierten Zeugnisse vorzulegen: "Sollte der Jugendliche (…) nicht zu einer freiwilligen Selbstauskunft bereit sein", sei die "Einschaltung des Psychologischen Dienstes" in Betracht zu ziehen. Das bedeutet also im Umkehrschluss, wer seine Zukunft selbst in die Hand nimmt, wird als "Verrückt" erklärt. (sb)
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