Hartz IV: Schiere Sanktionswut gegenüber alleinerziehender Mutter

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Rechtswidrige Sanktionen gegen alleierziehende Mutter: Jobcenter ignoriert gerichtlich bestellten Betreuer

Innerhalb kürzester Zeit sanktionierte das Jobcenter Vorpommern-Greifswald Nord eine alleinerziehende Mutter. Daraus folgte eine erhebliche existenzielle Not für die Mutter und ihre Kinder. Dabei waren die Strafen gegen die Hartz IV Leistungsberechtigte vollkommen unverhältnismäßig und unberechtigt. Zwar wurden jedes Mal Widersprüche durch den gesetzlich bestellten Betreuer eingereicht, die aber allesamt abgelehnt wurden. Auch die Arbeit des Betreuers wird ignoriert.

Silke M. ist eine alleinerziehende Mutter und lebt mit ihren zwei minderjährigen Kindern in einem Haushalt. Die Familie ist auf Hartz IV angewiesen. Das bedeutet, im Alltag ist sowieso schon wenig Geld vorhanden, um eine ausreichende Versorgung für die Kinder zu gewährleisten. Dennoch wurde die 40jährige im Feburar und März innerhalb weniger Wochen gleich drei mal sanktioniert und der Regelsatz empfindlich gekürzt. „Drei Monate lang hatte sie jeweils 212 Euro weniger in der Haushaltskasse“, berichtet der gerichtlich bestellte Betreuer Ingo Heger gegenüber der Ostsee Zeitung.

Vollkommen unverhältnismäßig

Die Sanktionen seien „völlig unverhältnismäßig“ gewesen, kritisiert Heger. Deshalb half er beim Verfassen der Widersprüche. Nicht mehr fristgerecht wurden seitens der Behörde jedoch alle Widersprüche abgelehnt. „Ich habe zunehmend das Gefühl, dass man meine Kompetenz als Betreuer komplett ignoriert. Die Handlungsweisen des Jobcenters sind oft deprimierend und lassen die notwendige Sensibilität und soziales Einfühlungsvermögen vermissen“, Kritisiert der Betreuer.

Doch von vorn: Im Dezember letzten Jahres sollte die allerziehende Mutter zu einem Meldetermin ins Jobcenter. Weil die Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet, begleitet sie Heger zum Jobcenter. „Einen Tag zuvor informierte mich meine Betreute, dass sie krankgeschrieben sei, im Bett läge und den Krankenschein beim Jobcenter eingereicht habe“, sagte Heger gegenüber dem Blatt. Damit es zu keiner Sanktion kommt, informierte der Betreuer noch am gleichen Tag das Jobcenter und berichtete über die Bettlägerigkeit seiner Mandantin. Doch das war der Behörde anscheinend egal und belegte die Frau mit der ersten Sanktion. Als Begründung führte das Jobcenter an, dass “eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreiche, sondern zusätzlich eine Bescheinigung über eine Wegeunfähigkeit erforderlich sei”, erzählte Heger.

Doch damit nicht genug. Paralell wurde die Frau wegen “fehlender Nachweise über Bemühungen zur Arbeitsaufnahme” mit einer weiteren Hartz IV Strafe belegt. Darüber ärgerte sich Heger besonders. „Für die Frau wurde ja nicht umsonst eine gerichtlich bestellte Betreuung angeordnet. Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur sind Hemmnisse und Grenzen vorhanden“, so der Berufsbetreuer. Er schlug daher dem Jobcenter vor, die “Kundin” an das Fallmanagement weiterzuleiten. Doch dieser Vorschlag wurde nicht angenommen, obwohl dort nach Ansicht Hegers mit Menschen “in solch schwierigen Lebensumständen” kompetent umgegangen wird.

Und noch eine Sanktion

Obendrein wurde eine dritte Sanktion nach nur zwei Wochen ausgesprochen. Wieder wurde aufgrund eines geplatzten Meldetermins sanktioniert. Doch weder der Betreuer, der immer ein Einladungsschreiben per Kopie bekommt, noch die Leistungsberechtigte selbst, haben jemals eine Einladunge hierfür bekommen. Kurz zuvor war er im Jobcenter zugegen, doch damals war keine Rede von einem weiteren Folgetermin. Zusätzlich habe ein anderer Sachbearbeiter als sonst den Sanktionsbescheid verfasst.

Ein Wechsel des Sachbearbeiters komme häufiger vor, erzählt Heger. Das wird selbst von der Behörde als “kritisch angesehen”, da “dadurch oft wichtige Informationen zu den Fällen zu Ungunsten der Arbeitssuchenden auf der Strecke bleiben“. Später wurde ein korrigierter Meldetermin verschickt. Doch zu dieser Zeit befand sich Heger im Urlaub und konnte nicht reagieren. Das hatte allerdings keine Auswirkung. Auf den eigenen Fehler sei das Jobcenter zudem nicht eingegangen.

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Jobcenter ignoriert Betreuer

Das ist “keine Art” empört sich Heger. Die Behörde ignoriert nämlich alle Anträge des Betreuers. Er hatte beispielsweise beantragt, dass die Sanktion solange ausgesetzt wird, wie über die Widersprüche entschieden wird. Selbst eine Beschwerde beim Geschäftsführer wurde komplett ignoriert. „Letztlich führten die Sanktionen dazu, dass sich die finanzielle Situation der Mutter spürbar verschlechterten“, sagt Heger. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kinder. Silke M. fühlt sich daher immer mehr schikaniert und musste sich bei Freunden Geld leihen, damit sie mit ihren Kindern irgendwie über die Runden kommt.

Das Jobcenter sieht sich dennoch im Recht und verweist auf die Gesetzeslage. „Sanktionen finden ihre rechtliche Grundlage in den §§ 31f SGB II. Hierbei handelt es sich um gebundene Entscheidungen. Mithin sind bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zwingend die Rechtsfolgen einzuhalten“, sagte die Pressesprecherin Kerstin Herms auf Anfrage der “OZ”. So habe der Gesetzgeber auch vorgegeben, dass Sanktionen ohne Aufschub vollzogen werden. Man würde zwar den Betreuer nicht ignorieren, doch teile die Darstellungen des Betreuers nicht.

Wie immer, wenn derlei Fälle der Schikane öffentlich werden, versuchen Jobcenter sich ins bessere Licht zu rücken. Nun würde man Interesse an einer “einvernehmlichen und kundenfreundlichen Zusammenarbeit” unter Einbeziehung des Betreuers haben.

Es fehlt einfach an Menschlichkeit

Heger traut den Aussagen nicht. Die Ablehnung aller drei Widersprüche führen nun dazu, dass eine Anwältin sich dem Fall annimmt. Die Rechtsanwältin Anja Bartsch hat sogleich drei Klagen beim zuständigen Sozialgericht eingereicht. “Zumindest in einigen Fällen sind die Sanktionen definitiv unbegründet”, berichtet sie. Das sei Alltag. “Da fehlt es einfach an Menschlichkeit”, sagt die Anwältin.

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