Angela Merkel hat von ihrem Vorgänger gelernt. Zwar erklärt auch sie, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oberste Priorität im Regierungshandeln einräumen zu wollen – doch Fristen oder Zahlenkorridore, an denen sie dereinst vom Wähler zu messen sein wird, erspart sie sich.
Die 100-Tage-Schonfrist ist noch nicht verstrichen. Doch die Zeiten, da die große Koalition bei allen Schatten der Gegenwart auf die Versäumnisse der Vergangenheit hinweise könnte, dürften bald vorüber sein. Zumal es – das zeigte sich bereits bei der Debatte um die Wirksamkeit oder Wirkungslosigkeit der Hartz-Gesetze – ohnehin schwierig werden dürfte, immer nur mit dem Finger auf die anderen zu weisen. Derlei Rufschädigung werden die Sozialdemokraten zu verhindern wissen. Und die Union kann schlecht vergessen machen, dass sie auch als Opposition die wesentlichen Schröderschen Sozialkürzungen, die am Arbeitsmarkt mitnichten etwas veränderten, mit Verve unterstützte oder verschlimmbessern wollte.
Insofern dürfte die Kanzlerin in längst nicht so glücklicher Lage wie ihre Vorgänger sein. Helmut Kohl immerhin konnte in den 80ern scharf die Fehlentscheidungen der Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Helmut Schmidt geißeln. Gerhard Schröder wiederum wurde nach erneuter SPD-Machtübernahme nicht müde, auf die 16 Jahre Unions-Herrschaft unter Kohl zu verweisen.
Der Sündenbock waren immer die Anderen
Der Sündenbock waren immer die Anderen, wenn Monat für Monat die Daten nicht ergaben, was die Politiker den Wählern beim Sturm auf die Macht versprochen hatten: den Abbau der Arbeitslosigkeit in vorzeigbaren Dimensionen.
Kanzler Kohl begann seine Regierungstätigkeit am 1. Oktober 1982, Ende jenes Jahres waren 2,2 Millionen Arbeitslose registriert worden. In seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 bezeichnete der CDU-Politiker den Abbau der Arbeitslosigkeit, die Wiedergewinnung wirtschaftlichen Wachstums und die Sanierung der Bundesfinanzen als Schwerpunkte seiner Regierungstätigkeit. Seither hat das nicht nur Kohl in seinen diversen Amtsperioden bis zum Erbrechen wiederholt – und die Arbeitslosenzahlen stiegen.
Als Gerhard Schröder am 27. Oktober 1998 im Kanzleramt einzog, prägte er das berühmte Wort, seinen politischen Erfolg am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen zu wollen. Der SPD-Kanzler – ohnehin von keinem Zweifel getrübt, dass mit ihm alles besser wird – wagte sich sogar so weit vor, seine Wiederwahl für unverdient zu erklären, wenn er in Sachen Arbeitslosigkeit nichts hinbekommt. 4,2 Millionen Arbeitslose hatte er zu Beginn seiner ersten Amtszeit, 2002 waren es fast genauso viel – und im Sommer 2005 wurden 4,7 Millionen Arbeitslose offiziell registriert. Die Wähler machten wahr, was Schröder von ihnen gefordert hatte – und bestätigten ihn nicht noch einmal im Amt. Ohne allerdings den politischen Kontrahenten von der Union wesentlich mehr zuzutrauen. So kam die große Koalition über uns, Angela Merkel zu Kanzlerinnen-Ehren – und mit der gestrigen Nürnberger Offenbarung zu einer schwierigen Eröffnungsbilanz von 4,6 Millionen Betroffenen, an der sie fortan gemessen werden wird.
Jobs bei der Ernte und als Dienstmädchen
Monat für Monat wird ablesbar sein, ob und wie die Regierung ihr Versprechen einlöst, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. Ob Union und SPD dabei mehr als die berühmt-berüchtigten Billigjobs, die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und die bis zum Abwinken bekannten Appelle an die Wirtschaft einfallen, die bislang bei allen Bündnissen für Arbeit und in jedweder Regierungsoffenbarung von Kohl bis Schröder gehandelt wurden – man darf gespannt sein.
Bislang hat Arbeitsminister Franz Müntefering Millionen Betroffenen lediglich eine zwangsweise übergeholfene Beschäftigung zur Ernte in Aussicht gestellt. Und die Union will erneut mehr Dienstleistungen in den Familien ermöglichen – sprich: Dienstmädchenjobs schaffen. Große Hoffnungen lässt all das kaum aufkommen. (ND)
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