Kindererziehungszeiten erhöhen die Entgeltpunkte und können fehlende Wartezeitmonate schließen. Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg zeigt jedoch: Ob diese Zeiten angerechnet werden, hängt nicht nur davon ab, dass Kinder tatsächlich erzogen wurden, sondern auch davon, unter welchem aufenthaltsrechtlichen Status die Erziehung im Inland stattfand.
Eine Duldung reicht in der Regel nicht aus, um Kindererziehungszeiten (KEZ) rentenrechtlich zu berücksichtigen.
Der Fall: Ein Leben zwischen Aufenthalt auf Zeit und späterer Einbürgerung
Die Klägerin wurde 1952 im Libanon geboren und reiste 1974 mit Ehemann und zwei Kindern nach Deutschland ein. Ihr Asylantrag wurde 1976 rechtskräftig abgelehnt; in den folgenden Jahren lebte sie mehrfach nur mit befristeten Duldungen hier, kehrte zwischenzeitlich in den Libanon zurück, reiste 1983 erneut ein und erhielt 1991 die deutsche Staatsangehörigkeit.
Als sie 2017 die Regelaltersrente beantragte, verlangte sie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten für die Jahre 1974 bis 1980. Die Rentenversicherung lehnte ab – maßgeblich mit der Begründung, es habe in diesem Zeitraum kein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet bestanden.
Das LSG wies die Berufung der Klägerin zurück; die Revision ließ es nicht zu.
Kindererziehungszeiten, Berücksichtigungszeiten und der „gewöhnliche Aufenthalt“
Rentnerinnen und Rentner erhalten Kindererziehungszeiten für die ersten Lebensjahre eines Kindes; bei vor 1992 geborenen Kindern werden nach den Reformen („Mütterrente I und II“) bis zu 30 Kalendermonate bzw. 2,5 Entgeltpunkte gutgeschrieben, bei ab 1992 geborenen Kindern 36 Monate bzw. 3 Entgeltpunkte. Diese Zeiten erhöhen die Rente unmittelbar.
Zwingende Voraussetzung ist, dass die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen Erziehung gleichsteht. Das ist im Gesetz über die gesetzliche Rentenversicherung ausdrücklich geregelt.
Die Erziehung gilt als im Inland erfolgt, wenn sich der erziehende Elternteil zusammen mit dem Kind gewöhnlich in Deutschland aufgehalten hat. Was als gewöhnlicher Aufenthalt gilt, definiert das Sozialgesetzbuch I: Es handelt sich um einen Aufenthalt unter Umständen, die erkennen lassen, dass man nicht nur vorübergehend verweilt – es braucht also einen zukunftsoffenen, rechtlich gesicherten Verbleib.
Die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (bis zum vollendeten 10. Lebensjahr des Kindes) setzen die gleichen Grundvoraussetzungen voraus wie die KEZ; sie ergänzen die rentenrechtliche Bewertung, ändern aber nichts am Erfordernis eines gewöhnlichen Aufenthalts während der Erziehung.
Warum das Gericht die Anrechnung verneinte
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht das Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts. Das LSG betont, dass bei ausländischen Elternteilen deren aufenthaltsrechtliche Position in die notwendige Prognose einzubeziehen ist: Ein Aufenthalt gilt nur dann als gewöhnlich, wenn er rechtlich zukunftsoffen ist.
Eine Duldung ist demgegenüber lediglich die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung – kein Aufenthaltstitel und keine belastbare Grundlage für einen dauerhaften Verbleib. Wer lediglich geduldet ist, muss jederzeit mit der Beendigung des Aufenthalts rechnen; damit fehlt es regelmäßig an der erforderlichen rechtlichen Beständigkeit. Genau daran scheiterte die Klägerin.
Das Gericht setzte sich zudem mit dem Einwand auseinander, Schwangerschaften und die tatsächliche Betreuung kleiner Kinder hätten eine Abschiebung ohnehin verhindert.
Auch diese Umstände begründen nach der Rechtsprechung für sich genommen keinen gewöhnlichen Aufenthalt; entscheidend bleibt die rechtliche Aufenthaltsposition. In der Sache sah das LSG schließlich weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass die maßgebliche Erziehung im Sinne des Gesetzes in Deutschland erfolgt ist.
Was heißt „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Rentenrecht?
Die Vorgaben kommen aus § 56 SGB VI in Verbindung mit § 30 SGB I. Maßgeblich ist eine vorausschauende Betrachtung der Gesamtumstände: Ist der Aufenthalt rechtlich auf Dauer angelegt? Bei EU-Bürgerinnen und -Bürgern oder in ausdrücklich geregelten Konstellationen kann sich ein Aufenthaltsrecht unmittelbar aus EU-Recht ergeben; für Drittstaatsangehörige verlangt die Verwaltungspraxis für die Anerkennung von KEZ regelmäßig einen Aufenthaltstitel, der den Verbleib nicht nur vorübergehend gestattet.
Genau diese Linie wiederholt die Bundesregierung in einer Antwort an den Deutschen Bundestag: Kindererziehungszeiten werden anerkannt, wenn Erziehende und Kind sich gewöhnlich in Deutschland aufhalten; „gewöhnlich“ setzt rechtlich beständigen Aufenthalt voraus.
Auslandserziehung, EU-Koordinierung und Gleichstellungen
Kindererziehungszeiten im Ausland können anerkannt werden, wenn sie einer Inlandserziehung gleichstehen. Dafür verlangt das Gesetz und die Praxis der Rentenversicherung in der Regel eine Integration in die deutsche Arbeits- und Erwerbswelt während der Erziehung oder unmittelbar zuvor; innerhalb der EU/EWR/Schweiz greifen zudem die Koordinierungsregeln der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 sowie die Rechtsprechung des EuGH (u. a. „Reichel-Albert“). Für Drittstaatsangehörige ohne entsprechenden Integrationssachverhalt – insbesondere bei rein geduldetem Aufenthalt – fehlt diese Gleichstellung.
Konsequenzen für Betroffene: Kontenklärung und Nachweise sind entscheidend
Das Urteil ist keine bloße Einzelfallentscheidung, sondern bestätigt eine klare Linie: Kindererziehungszeiten zählen nur, wenn die Erziehung im Inland unter einem rechtlich gesicherten, zukunftsoffenen Aufenthalt erfolgt.
Wer sich im maßgeblichen Zeitraum lediglich geduldet hier aufgehalten hat, kann entsprechende Zeiten in der Regel nicht anrechnen lassen – selbst wenn die Kinder tatsächlich in Deutschland gelebt haben.
Auch für Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gilt nichts anderes. Frühzeitige Kontenklärung bei der Deutschen Rentenversicherung, das Sichten von Melde-, Aufenthalts- und Familienunterlagen sowie – wo einschlägig – von Schul- oder Kita-Nachweisen erhöht die Chance, anrechenbare Zeiten korrekt zu erfassen.
Was die „Mütterrente“ konkret bringt – und wie viel ein Entgeltpunkt wert ist
Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, werden seit der „Mütterrente II“ bis zu 30 Monate Kindererziehungszeit anerkannt; das entspricht 2,5 Entgeltpunkten. Für Kinder, die ab 1992 geboren sind, bleiben es 36 Monate bzw. 3 Entgeltpunkte.
Ein Entgeltpunkt ist bares Geld: Seit dem 1. Juli 2025 beträgt der aktuelle Rentenwert 40,79 Euro pro Monat. Schon wenige zusätzliche Punkte können daher die Rente deutlich erhöhen – rund 30 bis 50 Euro monatlich entsprechen etwa 0,75 bis 1,25 Entgeltpunkten.
Fazit
Kindererziehungszeiten werden in Deutschland nicht automatisch berücksichtigt. Sie setzen eine Erziehung im Inland oder eine anerkannte Gleichstellung und einen gewöhnlichen, rechtlich gesicherten Aufenthalt voraus. Eine Duldung genügt hierfür regelmäßig nicht.
Das LSG Berlin-Brandenburg hat diese Grundsätze am 03. April 2025 noch einmal deutlich hervorgehoben und damit die Ablehnung zusätzlicher Entgeltpunkte im konkreten Fall bestätigt.
Wer Unsicherheiten in seinem Versicherungskonto hat, sollte die Kontenklärung veranlassen und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten frühzeitig und umfassend belegen.
Quellen (Auswahl):
LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.04.2025 – L 22 R 684/22; § 56 und § 57 SGB VI; § 30 SGB I; § 60a AufenthG; Informationen der Deutschen Rentenversicherung zur „Mütterrente“; BMAS/Verordnung zum aktuellen Rentenwert 2025.




