LSG Essen: Aus elterlichem Bestattungsrecht wird keine Pflicht
Hartz-IV- oder Sozialhilfebezieher kรถnnen sich die Kosten fรผr die Bestattung ihres fehlgeborenen Kindes nicht vom Sozialamt erstatten lassen. Damit eine Kostenรผbernahme infrage kommt, muss ein Landesgesetz die Bestattungspflicht der Eltern festschreiben, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am Donnerstag, 12. Dezember 2019, bekanntgegebenen Urteil (Az.: L 20 SO 219/16). Bei Fehl- und in Nordrhein-Westfalen auch bei Totgeburten seien aber die Kliniken zur Kostenรผbernahme der Bestattung verpflichtet, so die Essener Richter.
Die einzelnen Bundeslรคnder haben den Umgang mit Fehl- und Totgeburten unterschiedlich geregelt. Danach liegt eine โTotgeburt” vor, wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt und im Mutterleib oder wรคhrend der Geburt gestorben ist. Die Frau kann bei einer Totgeburt ihre Mutterschutzrechte beanspruchen.
Bei einer Fehlgeburt wiegt das Kind unter 500 Gramm und ist vor der 24. Schwangerschaftswoche geboren. Mutterschutz gibt es fรผr die betroffenen Frauen nicht. Die einzelnen Bundeslรคnder haben fรผr Fehl- und Totgeburten unterschiedliche Bestattungsvorschriften vorgesehen.
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Nur bei Totgeburten Bestattungspflicht
Nur bei Totgeburten gibt es nach Angaben von Aeternitas, Verbraucherinitiative Bestattungskultur, in mehreren Lรคndern wie etwa Bayern, Hessen oder Niedersachsen fรผr Eltern eine Bestattungspflicht. In Berlin besteht eine Bestattungspflicht, wenn das Kind mindestens 1.000 Gramm wog.
In jedem Fall haben die Eltern sowohl bei Tot- als auch bei Fehlgeburten zumindest ab der zwรถlften Schwangerschaftswoche ein Bestattungsrecht. Nehmen sie dieses nicht in Anspruch, ist โ wie in Nordrhein-Westfalen โ hรคufig die Klinik, in der das Kind geboren wurde, zur Bestattung verpflichtet.
Im entschiedenen Rechtsstreit nahm ein muslimisches Paar aus Nordrhein-Westfalen ihr Bestattungsrecht in Anspruch. Die Frau hatte in der 21. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten. Die Tochter wurde in einem Reihengrab fรผr muslimische Verstorbene bestattet.
Eltern beantragten Bestattungskosten
Da das Paar mittellos und auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen war, beantragte es beim zustรคndigen Sozialamt die รbernahme der Bestattungskosten, insgesamt 1.567 Euro.
Die Behรถrde lehnte die Kostenรผbernahme ab. Nach den geltenden Vorschriften kรถnnten die โerforderlichen Bestattungskosten” nur รผbernommen werden, โsoweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen”.
In NRW hรคtten Eltern bei einer Fehl- oder Totgeburt zwar ein Bestattungsrecht, nicht aber eine Bestattungspflicht. Vielmehr habe die Klinik die Pflicht, โunter wรผrdigen Bedingungen” Tot- und Fehlgeburten zu sammeln und diese zu bestatten.
Dies bestรคtigte nun auch das LSG mit Urteil vom 14. Oktober 2019. Weder ergebe sich aus erb- und unterhaltsrechtlichen noch aus รถffentlich-rechtlichen Bestattungspflichten ein Anspruch auf รbernahme der Bestattungskosten. So sei die Tochter als Fehlgeburt nie rechtsfรคhig geworden. Es gebe damit keine Erben, die zur รbernahme der Bestattungskosten verpflichtet gewesen wรคren. Dies sei nur bei einer Lebendgeburt der Fall.
Auch die landesrechtlichen Bestattungsregelungen wรผrden den Eltern lediglich ein Bestattungsrecht, aber keine Bestattungspflicht zuweisen. Eine Pflicht bestehe nur fรผr die Klinikeinrichtung, in der das Kind geboren wurde. Nur weil die Eltern ihr Bestattungsrecht in Anspruch nehmen, gehe damit nicht auch die Bestattungspflicht auf sie รผber. NRW habe zudem durch die Bestattungs- und Kostentragungspflicht durch den Einrichtungstrรคger โeine Bestattung unter wรผrdigen Bedingungen ohne Kostenlast fรผr die Eltern ermรถglicht”.
85 bis 90 Prozent der betroffenen โ auch muslimischen โ Eltern wรผrden die Sammelbestattung in Anspruch nehmen. Bei der Sammelbestattung der Fehl- und Totgeburten in der maรgeblichen Klinik hรคtte auch ein muslimischer Geistlicher anwesend sein und muslimische Riten berรผcksichtigt werden kรถnnen, betonte das LSG.
Gegen das Urteil wurde die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zugelassen. Normalerweise sei das BSG als Bundesgericht zwar zur Prรผfung einzelner landesrechtlicher Bestattungsregelungen nicht zustรคndig, so das LSG. Da sich aber in allen Bundeslรคndern die Frage eines Anspruchs auf รbernahme der Bestattungskosten bei Fehlgeburten stellt, sei hier die Revision mรถglich. fle/mwo