Bürgergeld: Gericht stoppt voreilige Kürzungen – Guthaben zählt erst, wenn es auf dem Konto ist

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Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat am 30. April 2025 (Az. L 18 AS 147/24) entschieden, dass Jobcenter ein Betriebskostenguthaben erst dann von den Unterkunftskosten abziehen dürfen, wenn das Geld tatsächlich auf dem Girokonto des Leistungsberechtigten eingeht. Eine bloße Verbuchung auf dem internen Mietkonto des Vermieters reicht nicht aus.

Warum dieses Urteil tausende Haushalte betrifft

Deutschlandweit leben knapp 2,9 Millionen Bedarfsgemeinschaften von Bürgergeld; über 55 Prozent davon sind Ein-Person-Haushalte, die besonders sensibel auf Miet- und Heizkosten reagieren. Nebenkosten­abrechnungen können hier über Wohl und Wehe des Monatsbudgets entscheiden. Gleichzeitig versuchen viele Jobcenter, Guthaben sofort anzurechnen, um Ausgaben zu kürzen – oft schon dann, wenn das Geld noch gar nicht verfügbar ist. Das neue Urteil setzt dieser Praxis eine klare Grenze.

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Der Streitfall in Kurzform

  • Ein Berliner erhielt im Juli 2022 eine Nebenkosten­abrechnung mit 377,17 Euro Überschuss.
  • Die Vermieterin verbuchte das Guthaben am 13. Juli auf einem Mietkonto; die tatsächliche Überweisung erfolgte jedoch erst am 17. August auf sein Girokonto.
  • Das Jobcenter berücksichtigte die Hälfte des Guthabens (188,58 Euro) bereits für September 2022, setzte die Leistungen auf null und forderte rückwirkend 803,48 Euro zurück.
  • Der Kläger klagte – und verlor schließlich auch vor dem LSG, weil die Kürzung zwar hart, aber korrekt für den Monat nach der Gutschrift war.

Juristisches Fundament: modifizierte Zuflusstheorie

Der Senat stützt sich auf die dauerhaft gefestigte Linie des Bundessozialgerichts (BSG). Danach gilt Einkommen erst dann als „zugeflossen“, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  1. Wertzuwachs – das Vermögen wächst nachweisbar, etwa durch eine Überweisung.
  2. Verfügbarkeit – das Geld steht als „bereites Mittel“ zur Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung.

Eine interne Haben-Buchung beim Vermieter erfüllt Bedingung 1 nicht, weil kein reales Geld fließt. Das Gericht verweist ausdrücklich auf BSG-Urteile aus 2015 und 2020, die denselben Maßstab anlegten.

Beispielrechnung zeigt den Unterschied

Angenommen, eine alleinstehende Bürgergeld-Bezieherin erhält im Juli ein Guthaben von 300 Euro, das jedoch erst am 15. August auf ihrem Konto eingeht.

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  • Ohne Urteilspraxis: Das Jobcenter könnte bereits ab August 150 Euro weniger zahlen (Hälfte des Guthabens).
  • Mit Urteilspraxis: Die volle Miete wird bis Ende August übernommen; ab September kürzt das Jobcenter 150 Euro.
    Ergebnis: Die Betroffene hat im August exakt das Geld, das ihre reale Miete kostet, und gerät nicht in Liquiditätsprobleme.

Rechte clever nutzen – drei Schritte

Erstens: Kontoauszüge sammeln. Wer den exakten Buchungstag nachweist, zwingt das Jobcenter, den richtigen Monat zugrunde zu legen.
Zweitens: Bescheid prüfen. Weicht der Anrechnungsmonat ab, binnen 30 Tagen Widerspruch einlegen und das LSG-Aktenzeichen nennen.
Drittens: Fristen im Auge behalten. Nach bestandskräftigem Bescheid ist eine Berichtigung nur noch über Überprüfungsantrag möglich.

Was tun, wenn der Vermieter trödelt?

Zahlt der Vermieter das Guthaben verspätet aus, sollten Leistungs­berechtigte schriftlich mahnen und den Ausgang dem Jobcenter melden. So bleibt die Beweiskette sauber. Kommt die Auszahlung gar nicht, zählt das Guthaben bis auf Weiteres nicht als Einkommen; Sanktionen drohen erst bei vorsätzlicher Verzögerung aufseiten des Mieters.

Pflichten der Jobcenter

Die Behörde muss laut § 22 Abs. 3 SGB II aktiv „auf den Zufluss hinwirken“. Das bedeutet: Sie darf nicht pauschal kürzen, sondern muss zunächst Nachweise anfordern und den tatsächlichen Eingang kontrollieren. Unterbleibt diese Sorgfalt, können Betroffene sich auf Amtshaftung oder Schadenersatz berufen.

Politischer Ausblick

Die Bundesregierung plant ab 2026 einen digitalen Standard für Neben­kosten­abrechnungen. Ziel ist, die Abrechnungsprozesse zu beschleunigen und Streit um Guthaben zu reduzieren. Solange der Gesetzgeber jedoch am Zuflussprinzip festhält, bleibt die heute bestätigte Rechtslage bestehen: Kein Geld auf dem Konto – keine Kürzung.

Zusammenfassung des Urteils

Für Bürgergeld-Haushalte bringt das Urteil finanzielle Planungssicherheit. Erst wenn das Guthaben wirklich eingegangen ist, darf das Jobcenter die Miete senken. Wer seine Unterlagen lückenlos führt und Bescheide prüft, kann nun mit gefestigter Rechtsprechung im Rücken Einspruch erheben – und so unnötige Rückforderungen verhindern.