Der SPD-Kanzlerkandidat zur Kritik an seinem Kollegen Norbert Lammert / von Holdger Platta
08.08.2013
Wer von einem Fettnäpfchen ins andere tritt, hinterlässt zumeist eine glänzende Fußspur. – Mit dieser Erkenntnis haben wir in der letzten Woche ein weiteres Mal Bekanntschaft machen dürfen. Und wieder ist, wo vom blendenden Glanz einer Fettnäpfchenspur gesprochen werden muß, von Steinbrück zu reden, vom Kanzleramtskandidaten der SPD.
Neinnein, ich will die Serie seiner Glanztaten nicht erneut präsentieren. Außerdem ist anzuerkennen, daß es in puncto Fehltritte eher still um den „beinfreien“ Politiker Steinbrück geworden war. Und seit dem unfreiwilligen Tränenkampf am 16. Juni in Berlin schien sich Steinbrück ja außerdem mit weißer Kreide versorgt zu haben. Wir erinnern uns: der Wolf und die sieben Geißlein…
Doch am Dienstag, den 30. Juli, trat Steinbrück mal wieder in gewohnter Weise auf, ergo als Graf Koks von der Gasanstalt (obwohl inzwischen fast jeder weiß, daß dieser Energiebetrieb – die SPD – nur noch ein Saftladen ist). Steinbrück, diese Mannhaftigkeits-Antiquität der SPD, ist also auf markigste zurückgekehrt zu seinen Allüren von anno dunnemals und trat kantig einem CDU-Kollegen zur Seite, dem Parlamentspräsidenten Lammert mit dessen Doktorarbeit. Steinbrück, der Ehrenretter, wörtlich:
„Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich warne davor, wieder in eine Kommentarlage zu verfallen, die die Reputation und Integrität des Bundespräsidenten beschädigen kann.“
Na, das ist doch mal was! Ein Mann der SPD stellt sich vor einen Mann der CDU. Wenn dieser Standpunkt nicht Anstand ist, dieses Parteinehmen über Parteigrenzen hinweg nicht hochmoralische Überparteilichkeit!? Da kann man doch nur dankbar sein. Und wenn dieser Steinbrück seine ritterlichen Schutzimpulse nun auch noch den Ärmsten der Armen zuteil werden läßt, seinen Opfern, den Hartz-IV-Betroffenen dieser Republik, und nicht nur dem zweithöchsten Mann in unserem Staat: fast könnte man von Steinbrücks Statur endlich mal überzeugt sein. Aber stört da trotzdem nicht zweierlei?
Nun, das eine liegt wohl deutlichst auf der Hand: da gebärdet sich ein Biedermann vor allem als Anbiedermann. Die SPD weiß, daß sie bei den kommenden Bundestagswahlen keinen Blumentopf gewinnen wird. Also wirft sie inzwischen mit Blumentöpfen nach der CDU, nach jener Partei mithin, an deren Seite sie nach dem 22. September wieder zurückkehren will – mit Blumentöpfen an die Töpfe der Macht. Heißt: so konsequent man der Linkspartei wieder und wieder einen Korb gibt – wer wollte an der SPD-Spitze ernsthaft das Menschenverelendungswerk Hartz-IV auf den Müllberg der Geschichte werfen? -, an den Brotkorb der Macht kehrte diese SPD doch allzu gerne zurück. Deshalb lobt ein Steinbrück seinen Lammert so emphatisch in die Anstandsregionen zurück: „Integrität“ besäße dieser und „Reputation“. Nun, wird sich zeigen, sage ich. Jedenfalls ist auch Steinbrücks „Kommentarlage“ Vorwegbeurteilung, sonst nichts. Dieses das eine.
Doch erst das andere mutet im Grunde merkwürdig an. Und man könnte an Sigmund Freud denken, an dessen Interpretation bestimmter „Fehlleistungen“, hier: der sogenannten „Versprecher“. Wie lautet also nochmal Freuds Analyse dazu, vorgetragen in seiner Studie „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ (1904): bei einem „Versprecher“ plaudert einer versehentlich, gegen bewusste Absicht, trotz aller Selbstkontrolle, eine Wahrheit aus. Und: diese Fehlleistung kann auf einer anderen Ebene sogar als etwas Geglücktes betrachtet werden. Ich meine, in der Tat ist Herrn Steinbrück mit seiner fatalen Aussage zu Lammert eigentlich etwas Fantastisches geglückt. Ich erläutere:
In den Kommentar des SPD-Spitzenmannes hat sich ein merkwürdiges Wort hineingedrängt. Ich spreche von dem Wörtchen „wieder“ in seiner kleinen Verteidigungsrede: „Ich warne davor, wieder in eine Kommentarlage zu verfallen, die…“ „Wieder“? Ein bedenkenswertes Wort! Wann wäre Lammert bereits vorher solcher „Kommentarlage“ ausgesetzt gewesen? Natürlich niemals! Doch wenn dieses nicht stimmt, was bedeutet dieses Wörtchen dann?
Nun, die Antwort liegt auf der Hand. Das „wieder“ kann sich nur beziehen auf all die anderen Betrugsfälle, die es vorher gab: auf Schavan und Koch-Mehrin, auf Chatzimarkakis und den Freiherrn von und zu Guttenberg! Und das bedeutet: dem Sozialdemokraten Steinbrück haben bereits diese Entlarvungen nicht gepasst. Bereits diese Enttarnungen empfand das zutiefst mitfühlende Herz des SPD-Kandidaten als „Beschädigungen“ und „Verfall“, als ungerechtfertigte Angriffe auf „Reputation“ und „Integrität“ von KollegInnen. Uralt-Frust hat sich also den Weg gebahnt in diese Formulierung vom vorvergangenen Dienstag. Was aufs klarste signalisiert: da drängte mit Macht nach außen, worüber sich Steinbrück schon seit langem nach innen geärgert hat. Mit diesem Satz, mit dieser Fehlleistung, hat also kein Anstands-Recke seinen Edelmut gezeigt, nein, da hat eine Krähe gekrächzt, die der anderen kein Auge aushackt, da hat ein Kollege gesprochen, der sich, stärker noch als im manifesten Text, den anderen Parteien als Parteigänger andient, ein Politiker, den dieses Aufdecken von Schandtaten seiner Mit-Politiker ganz oben durch Menschen ganz unten schon lange genervt hat. Und äußerst fraglich bleibt, ob sich ein Steinbrück mit entsprechender Verve für die „Integrität“ von Menschen ganz unten einsetzen würde oder jemals eingesetzt hat. Die „Reputation“, um die es hier geht, fängt jedenfalls erst bei 9.000,- Euro Monatsgehalt an. Na toll!
Und was lernt uns das? – Daß Steinbrück, der seit kurzem so beharrlich auf Basis macht – schließlich ist Wahlkampf -, bis tief ins eigene Unbewußte hinein ein Mann der Kaste ganz oben ist, mit gehorsamem, mit devotem Unterbewusstsein gegenüber FDP und CDU. An dieser Kommentarstelle – dort, wo das „wieder“ fiel – ist der Kasten dieser Kaste ganz kurz aufgesprungen und hat uns den wahren Inhalt dieses SPD-Bewußtseins gezeigt. Und das „Geglückte“ an dieser Fehlleistung ist – siehe oben! -, daß hier einer aufs deutlichste signalisiert: liebe Legen und Leginnen von FDP und CDU, ich bin einer von Euch! Sozialdemokratie im 150. Jahr ihres Bestehens!
Tja, und deswegen zu diesem Jubiläum auch keine Gratulation! Denn was hier glänzt, das ist nicht gute sozialdemokratische Vergangenheit – sagen wir: Wiederkehr der ersten fünfzig Jahre in ihrer Geschichte -, das ist auch nicht ein Fairness-Appell, der Hochachtung abnötigt, sondern lediglich ein weiterer Fettnapf mit sozialdemokratischer Fußspur.
Kleines Postskriptum:
Amüsieren in diesem Zusammenhang kann auch noch die Bemerkung des CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Fuchs, der dem „Plagiatsjäger“ vorwarf, ein „selbsternannter“ zu sein. „Selbsternannt“? Dieser Begriff wertet Grunddemokratisches ab, das Recht eines jeden von uns, Bedenken und Kritik äußern zu dürfen, und suggeriert, daß man Kritik und Bedenken nur äußern darf, wenn man über ein Amt verfügt, über ein Amt, das man verliehen bekommen hat, von oben natürlich. – Wahrlich, das nenne ich demokratisches Denken, dieses Delegitimieren aller Kritik, sofern sie von „Selbsternannten“, also von ganz unten her, kommt: Kritik wäre nur erlaubt, wenn sie von Amtsträgern stammt. Denn sonst könne ja jeder… Wir zum Beispiel! (hp)
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