Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen können in Deutschland deutlich früher in den Ruhestand wechseln – und dabei oft selbst bestimmen, ob sie Kürzungen hinnehmen oder nicht. Dieser Artikel zeigt Schritt für Schritt, welche Regelungen gelten, warum das Geburtsjahr 1964 eine zentrale Rolle spielt und wie Sie den optimalen Ausstiegstermin berechnen.
Inhaltsverzeichnis
Frührente mit Schwerbehindertenausweis
Rund acht Millionen Bundesbürger besitzen einen Schwerbehindertenausweis. Für sie bietet das Gesetz zwei Jahre Vorsprung auf die reguläre Altersgrenze – und bis zu fünf Jahre, wenn Abschläge akzeptiert werden.
Wer 1964 oder später geboren ist, startet im besten Fall mit 62 Jahren; abschlagsfrei erst mit 65. Ältere Jahrgänge profitieren früher. Entscheidend sind nur zwei Fragen: Wann sind Sie geboren? Wie hoch ist Ihre Toleranz gegenüber Rentenkürzungen?
Voraussetzung ist neben dem Ausweis ein Grad der Behinderung von mindestens 50 und eine Wartezeit von 35 Versicherungsjahren.
Gesetzliche Basics
Damit Sie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen können, muss am Tag des Rentenbeginns ein anerkannter Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegen (§ 236a SGB VI). Außerdem benötigen Sie 35 Versicherungsjahre, die sich aus Pflichtbeitragszeiten, Kindererziehungs-, Pflege- oder Ersatzzeiten zusammensetzen dürfen.
Stellen Sie den Rentenantrag spätestens drei Monate vor dem gewünschten Starttermin; wird dieser Zeitraum nicht eingehalten oder liegt der Bescheid bisher nicht vor, kann auf Antrag ein Rentenvorschuss gezahlt werden.
Warum gerade 1964 den Unterschied macht
Der Gesetzgeber koppelt die Altersrente für schwerbehinderte Menschen an die allgemeine Regelaltersgrenze. Diese verschiebt sich stufenweise nach oben: Jahrgang 1964 ist der Erste, der regulär erst mit 67 den vollen Anspruch erhält.
Ohne Abschlag: genau zwei Jahre vor der Regelaltersrente.
Mit Abschlag: bis zu drei Jahre vor der schwerbehinderten Altersgrenze (also insgesamt fünf Jahre vor der Regelaltersrente). Der Abschlag beträgt 0,3 % je Monat, maximal 10,8 %.
Altersgrenzen im Überblick (Jahrgänge 1955 – 1964)
Geburts‑jahr | Regel‑altersrente | Abschlagsfreie Schwerbehinderten‑Rente |
Frühestmöglicher Start (max. 10,8 % Abschlag)
|
1955 | 65 J + 9 Mon. | 63 J + 9 Mon. | 60 J + 9 Mon. |
1956 | 65 J + 10 Mon. | 63 J + 10 Mon. | 60 J + 10 Mon. |
1957 | 65 J + 11 Mon. | 63 J + 11 Mon. | 60 J + 11 Mon. |
1958 | 66 J | 64 J | 61 J |
1959 | 66 J + 2 Mon. | 64 J + 2 Mon. | 61 J + 2 Mon. |
1960 | 66 J + 4 Mon. | 64 J + 4 Mon. | 61 J + 4 Mon. |
1961 | 66 J + 6 Mon. | 64 J + 6 Mon. | 61 J + 6 Mon. |
1962 | 66 J + 8 Mon. | 64 J + 8 Mon. | 61 J + 8 Mon. |
1963 | 66 J + 10 Mon. | 64 J + 10 Mon. | 61 J + 10 Mon. |
1964 u. jünger | 67 J | 65 J | 62 J |
Abschlagsfrei oder früher mit Einbußen?
Der Schwerbehindertenausweis eröffnet ein seltenes Privileg: Sie müssen sich nicht endgültig zwischen früh und gekürzt oder spät und voll entscheiden, wie es Versicherte ohne Behinderung tun. Stattdessen können Sie jedes Datum dazwischen wählen. Pro vorgezogenen Monat verringert sich die Bruttorente um 0,3 %.
Beispiel:
Emma, Jahrgang 1958, dürfte regulär mit 66 Jahren in Rente gehen. Mit Ausweis kann sie ohne Abzug mit 64 starten. Frühestmöglicher Start mit Ausweis: 61 Jahre (5 J. vor ihrer Regelaltersgrenze, aber 3 J. vor der abschlagsfreien Grenze). Möchte sie schon ein halbes Jahr vor 64 aufhören, kostet das 6 × 0,3 = 1,8 % Rente – dauerhaft. Der frühestmögliche Termin liegt fünf Jahre vor ihrer Regelaltersgrenze; hier läge der Abschlag bei 10,8 %.
Befristete und unbefristete Ausweise: Was zählt?
Ob Ihr Schwerbehindertenausweis befristet ist, spielt nur an einem Tag eine Rolle: dem Rentenbeginn. Liegt an diesem Stichtag ein gültiger Bescheid vor, behalten Sie den Status bis zum Lebensende der Rente.
Läuft die Bescheinigung erst danach aus, bleibt Ihre Altersrente unangetastet. Kritisch wird es nur, wenn der Ausweis kurz vor dem geplanten Ruhestart ausläuft. Lassen Sie daher rechtzeitig verlängern oder stellen Sie ein Folgeantragsverfahren.
Flexirente Hinzuverdienst: Doppelter Spielraum
Seit 2023 existiert für vorgezogene Altersrenten keine gesetzliche Hinzuverdienstgrenze mehr: Einkünfte aus Teilzeitbeschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit werden nicht mehr auf die Rente angerechnet.
Wer daher schrittweise aus dem Berufsleben ausscheidet, kann den Rentenbeginn vorverlegen, parallel weiterarbeiten und dabei weiterhin volle Rentenpunkte sammeln; darüber hinaus besteht die Möglichkeit, durch freiwillige Beiträge künftige Abschläge ganz oder teilweise auszugleichen (sogenannte Flexirente-Aufstockung).
Auf diese Weise glätten Sie die Übergangsphase finanziell und schaffen sich sogar die Chance auf eine höhere Rente ab dem 67. Lebensjahr.
So finden Sie Ihr ideales Austrittsdatum
1. Regelaltersgrenze ermitteln: Schlagen Sie in der Tabelle oben nach oder nutzen Sie den Online‑Rechner der Deutschen Rentenversicherung.
2. Zwei Jahre abziehen: Das ist Ihr abschlagsfreies Rentenalter.
3. Drei weitere Jahre abziehen: Das ist das absolute Minimum, allerdings mit maximalem Abschlag (10,8 %).
4. Finanzen prüfen: Überschlagen Sie, ob die monatliche Kürzung durch ersparte Beiträge, weniger Stress oder längere Lebensqualität aufgewogen wird.
Mit dieser Methode planen Sie den Ruhestand individuell – ein Vorteil, den Erwerbstätige ohne Ausweis nicht haben.
Typische Stolpersteine und wie Sie sie umgehen
Verfrühte Kündigung: Reichen Sie das Kündigungsschreiben erst ein, wenn Sie den Rentenbescheid in der Hand halten, um eine Versorgungslücke zu vermeiden.
Teilzeitfallen: Reduziert sich das Gehalt vor Rentenbeginn stark, sinken später auch die Bezüge. Kalkulieren Sie Alternativen wie Gleitzonenmodelle.
Krankenversicherung: Prüfen Sie, ob Sie die Vorversicherungszeiten der Pflicht bzw. freiwilligen Krankenversicherung der Rentner erfüllen.
Drei Argumente, warum sich die genaue Planung auszahlt
- Mehr Netto trotz früherem Ausstieg: Wer Abschläge gering hält, profitiert von längerer Rentenbezugsdauer und spart Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
- Flexibilität bei Krankheit: Bei chronischen Leiden senkt ein früher Ruhestand Belastungen und Folgekosten – das kann Abschläge kompensieren.
- Verhandlungsvorteil gegenüber dem Arbeitgeber: Ein klarer Fahrplan erleichtert die Gestaltung von Altersteilzeit, Abfindungen oder Übergangsgeldern.