Rente: DIW entlarvt Aktivrente – Es profitieren nur diese Rentner

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โ€žBis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienenโ€œ โ€“ so wirbt die neue Regierungskoalition fรผr ihre Aktivrente. Wer nach Erreichen der Regelaltersgrenze freiwillig weiterยญarbeitet, soll ein Viertelยญjahresยญgehalt von 24.000 Euro brutto komplett aus der Einkommensteuer herausยญhalten dรผrfen. Damit will die Bundesregierung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:

  1. ร„ltere Beschรคftigte sollen spรผrbar mehr Netto vom Brutto behalten.
  2. Unternehmen sollen erfahrene Fachkrรคfte lรคnger binden, um den Fachkrรคfteยญmangel zu entschรคrfen.

Eine aktuelle DIW-Studie prรผft, ob das Konzept hรคlt, was es verspricht โ€“ und gelangt zu einem eindeutigen Urteil: Der grรถรŸte Teil des Steuerยญvorteils landet bei wohlยญhabenden Rentnern, wรคhrend der erhoffte Beschรคftigungsยญschub รคuรŸerst ungewiss bleibt.

Wer arbeitet heute noch regulรคr mit 66 plus?

Laut den SOEP-Daten (2022) haben knapp 313 000 Menschen jenseits der Regelยญaltersยญgrenze eine sozialยญversicherungsยญpflichtige Teilzeitยญstelle โ€“ im Schnitt gut 20 Wochenยญstunden. Zรคhlt man Miniยญjobs und Selbstยญstรคndige hinzu, sind zwar fast eine Million Seniorinnen erwerbsยญtรคtig.

Doch von der Aktivrente profitieren praktisch nur jene 234 000, die regulรคr Lohnsteuer zahlen; Miniยญjobberinnen fรผhren keine ab und gehen deswegen leer aus.

Ein Blick in die Haushaltsยญbudgets zeigt eine deutliche Verzerrung: Wer im Ruhestandsยญalter einer steuerยญpflichtigen Beschรคftigung nachgeht, lebt รผberยญdurchยญschnittlich oft im obersten Einkommensยญfรผnftel. Diese Gruppe vereint nicht nur hรถhere Lรถhne, sondern hรคufig auch Betriebsยญrenten, Kapitalยญertrรคge oder Pensionen. Genau sie kรถnnte nun bis zu 24.000 Euro Einkommen steuerfrei stellen.

Verteilungswirkung: Drei Viertel der Entlastung fรผrs reichste Fรผnftel

Das DIW simuliert zwei Szenarien: die Lage ohne zusรคtzlichen Beschรคftigungsยญeffekt und eine Annahme, bei der 75 000 รคltere Menschen neu in Arbeit treten. Im Status quo entstehen zunรคchst 774 Millionen Euro Steuerยญausfall.

Davon flieรŸen 563 Millionen Euro โ€“ rund 73 Prozent โ€“ an das einkommensยญstรคrkste Fรผnftel der Haushalte. Das รคrmste Fรผnftel erhรคlt gerade einmal 4 Millionen Euro.

Mit anderen Worten: Die Aktivrente wirkt wie ein Steuerยญrabatt, der dort am stรคrksten zuschlรคgt, wo schon hohe Steuerยญsรคtze gelten โ€“ und das sind Gutยญverdiener. Fรผr รคltere Menschen mit kleiner Rente oder Miniยญjob bringt das Modell praktisch keinen Vorteil, weil ihre Steuerยญlast ohnehin gering oder null ist.

Beschรคftigungsยญeffekte: Wunsch oder Wirklichkeit?

Politisch wird die MaรŸnahme mit dem Argument verteidigt, dass mehr Netto รคltere Menschen motiviert, lรคnger zu arbeiten. Doch empirische Belege, wie stark dieser Anreiz wirklich greift, sind rar. Forschungen schwanken zwischen 15 000 und 300 000 zusรคtzlichen Arbeitsยญkrรคften โ€“ eine riesige Spannbreite.

Das DIW dreht die Rechnung um: Wie viele neue Jobs mรผssten entstehen, um das 774 Millionen Euro Steuerยญloch zu stopfen? Ergebnis: mindestens 75.000 zusรคtzliche Beschรคftigte (etwa 41.000 Vollzeitยญรคquivalente) wรคren nรถtig โ€“ ein ambitioniertes Ziel.

Selbst wenn es erreicht wรผrde, wรคchst das BIP nur um 0,07 Prozent. Bleibt der Beschรคftigungsยญeffekt kleiner, zahlt der Staat jรคhrlich dreistellige Millionenยญbetrรคge drauf.

Selbststรคndige: Die heikle Gleichbehandlungsยญfrage

Im Koalitionsยญvertrag ist der Freibetrag ausschlieรŸlich fรผr Lohnยญeinkommen vorgesehen. Freiberufler\innen oder Gewerbetreibende, die oft bis ins hohe Alter weiterยญarbeiten, bekรคmen also nichts.

Das fรผhrt zu einer verfassungsยญrechtlich fragwรผrdigen Ungleichยญbehandlung: Eine 68-jรคhrige angestellte Ingenieurin dรผrfte bis 24 000 Euro steuerfrei dazuverdienen, ihre freiberufliche Kollegin mรผsste jeden Euro versteuern.

Zieht man Selbstยญstรคndige nachtrรคglich doch noch ein, steigen die Steuerยญausfรคlle laut DIW auf mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr โ€“ Tendenz steigend, weil hohe Gewinnยญeinkรผnfte in den Daten eher unterยญerfasst sind. Gleichยญzeitig wรคre der Beschรคftigungsยญimpuls gering, denn Selbststรคndige arbeiten ohnehin hรคufig weiter.

Sozialpolitische Einordnung aus Bรผrgergeld-Sicht

Fรผr viele Seniorinnen mit niedriger Rente, gesundheitlichen Einschrรคnkungen oder Pflegeยญverantwortung bleibt die Aktivrente auรŸer Reichยญweite. Statt die

Altersยญarmut zu lindern, verschรคrft das Modell die Einkommensยญkluft: Wohlhabende Rentnerinnen werden noch stรคrker entlastet, wรคhrend Menschen mit kleinem Budget leer ausgehen.

Hinzu kommt ein mรถgliches Spannungsยญfeld im Betrieb: Wenn รคltere Kollegen dank Steuerยญrabatt kaum noch Abzรผge zahlen, jรผngere jedoch voll belastet bleiben, droht das Lohnยญgefรผge aus der Balance zu geraten โ€“ kontraproduktiv fรผr das anvisierte Miteinander der Generationen.

Teures Steuergeschenk statt echte Fachkrรคfteยญstrategie

Die Aktivrente klingt griffig, erweist sich laut DIW-Studie jedoch als teurer Bonus fรผr Besserยญverdiener mit ungewisser Arbeitsยญmarktยญwirkung. Die neue Regierungsยญkoalition steht deshalb vor einer klaren Wahl: Entweder sie justiert das Vorhaben nach โ€“ etwa durch eine bessere Zielยญgruppenยญabgrenzung und eine Einbindung alternativer Arbeitsยญmarktยญinstrumente โ€“ oder sie investiert die Mittel dort, wo sie messbar mehr bewirken: in Weiterยญbildung, Pflege und Kita Infrastruktur, eine Reform des Ehegattenยญsplitยญtings und die Stรคrkung gesundheitsยญfรถrderlicher Arbeitsยญbedingungen.

Solange diese grundยญlegenden Fragen offen sind, bleibt die Aktivrente ein Projekt mit Schlagยญseite โ€“ und ein weiteres Beispiel dafรผr, wie staatliche Entlastungen schnell ganz oben ankommen, wรคhrend unten kaum etwas hรคngenยญbleibt.