Falsche Zahlen und Falschinformationen bei Stern-TV zum Bürgergeld

Lesedauer 3 Minuten

In der SternTV-Sendung vom 20. November 2022 wird übers Bürgergeld berichtet und diskutiert. Dabei werden aber extrem falsche Zahlen verwendet. Wir haben uns einmal die Mühe gemacht, Einordnungen und reale Zahlen vorzurechnen.

Die Sendung gibt es hier zu sehen.

Es wird die Situation der Geringverdienerin aus 2022 mit dem Bürgergeld 2023 verglichen
1. Damit ergibt sich zwingend ein falsches Ergebnis und
2. wird auch noch falsch gerechnet.

Korrekte Berechnung Bürgergeld ohne Einkommen:

Bedarf:
502€ Regelbedarf
181€ Mehrbedarf Alleinerziehung
420€ Regelbedarf Sohn
318€ Regelbedarf Tochter
40€ Kindersofortzuschlag (2×20€)
940€ Miete und Heizkosten
——-
2401€ Bedarf

Einkommen:
500€ Kindergeld (2×250€)
214€ Unterhaltsvorschuss (nur für Tochter, Sohn zu alt)
——
714€ angerechnetes Einkommen, keine Freibeträge

2401€ Bedarf
-714€ angerechnetes Einkommen
——
1687€ Bürgergeld

Haushaltseinkommen
1697€ Bürgergeld
500€ Kindergeld
214€ Unterhaltsvorschuss
——
2401€ Haushaltseinkommen

-940€ Miete und Heizkosten
——
1461€ Geld zur Verfügung mit Bürgergeld

Korrekte Berechnung Situation mit Arbeit:

Vollzeit oder Teilzeit?

Sie soll mit Vollzeitarbeit nur 1260€ Netto verdienen. Das ist aber unmöglich.
Selbst bei Mindestlohn:

12€/Std x 40Std/Woche x 4,33 Wochen/Monat
=2080€ Brutto

Bei Steuerklasse 2 mit Kinderfreibetrag ergeben sich 1583€ Netto.

Auf Grundlage der angegebenen Zahlen ergibt sich folgender Umfang der Teilzeitstelle
Um ein Netto von 1260€ zu erhalten, verdient sie Brutto 1575€. Bei Mindestlohn ergibt sich folgender Stundenumfang: 1575€ / 4,33Wochen/Monat /12€/Std = 30Std/Woche.

Berechnung Brutto und Netto mit Brutto-Netto-Rechner.info.Bei 1575€ Brutto, Steuerklasse 2 und 1 Kinderfreibetrag ergeben sich 1260€ Netto.
Screenshot Berechnung mit Brutto-Netto-Rechner.info

Unterhaltsvorschuss ab 12 Jahren

Da sie arbeitet und über 600€ Brutto im Monat verdient hat sie nach §1 Abs1a Nr2 UhVorschG Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für ihren Sohn – 2023 in Höhe von 292€. Ergänzend kann sie entweder Bürgergeld oder Wohngeld und Kinderzuschlag beziehen.

Berechnung Bürgergeld:

Der Bedarf bleibt identisch zur Berechnung ohne Einkommen:
502€ Regelbedarf
160€ Mehrbedarf Alleinerziehung
420€ Regelbedarf Sohn
318€ Regelbedarf Tochter
40€ Kindersofortzuschlag (2×20€)
940€ Miete und Heizkosten
——-
2380€ Bedarf

Einkommen Kinder:
500€ Kindergeld
214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
——
1006€

Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)

Einkommen Mutter
1575€ Brutto
1260€ Netto

Freibeträge:
100€ (Pauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
20€ (10% v. 1000-1200)
30€ (10% v. 1200-1500)
——-
378€ Freibetrag

1260€ Netto
-378€ Freibetrag
——
882€ angerechnetes Einkommen

Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:

2380€ Bedarf
-1006€ Kindereinkomme
– 882€ anger. Einkommen Mutter
——–
492€ Bürgergeld

Die Haushaltskasse enthält folgendes:
1260€ Netto Mutter
+ 500€ Kindergeld
+ 214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
+ 292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
+ 492€ Bürgergeld
———
2758€ Haushaltseinkommen

-940€ Miete inkl. Heizung
——–
1818€ nach Mietzahlung

Wohngeld und Kinderzuschlag

Wohngeld und Kinderzuschlag sind die vorrangige Alternative zum Bürgergeld – die höhere Variante ist die, auf die dann auch Anspruch besteht

Wohngeld: 305€

Berechnung mit dem Rechner von Wohngeld-MV.de unter Annahme von Mietstufe 1 und 80€ Heizkosten (schlechteste denkbare Bedingungen)

Kinderzuschlag:
Der Elternbedarf setzt sich aus den Bedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
502€ Regelbedarf Mutter
160€ Mehrbedarf Alleinerziehung
592€ (63% von 940€ Warmmiete)
——
1254€ Elternbedarf

Wohnkostenanteile im KinderzuschlagTabelle aus der Dienstanweisung Kinderzuschlag
Tabelle aus der Dienstanweisung zum Kinderzuschlag

Da das nach den Berechnungsgrundlagen des Bürgergelds anzurechnende Einkommen (882€ – siehe Tweet 11) niedriger ist, als der Elternbedarf, wird davon nichts auf den Kinderzuschlag angerechnet. Der Unterhaltsvorschuss wird mit 45% mindernd auf den maximalen Kinderzuschlag angerechnet.

214€ UhV Tochter
292€ UhV Sohn
—–
506€

500€ Maximaler Kinderzuschlag (250€ je Kind)
-228€ (45% von 506€)
——
272€ Kinderzuschlag

Kombination Wohngeld und Kinderzuschlag

Die Haushaltskasse enthält folgendes:
1260€ Netto Mutter
+ 500€ Kindergeld
+ 214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
+ 292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
+ 305€ Wohngeld
+ 272€ Kinderzuschlag
———
2843€ Haushaltseinkommen

Da mit Wohngeld und Kinderzuschlag insgesamt höhere Leistungen fließen als mit Bürgergeld, hat sie Anspruch auf diese vorrangigen Leistungen.

2843€ Haushaltseinkommen mit Arbeit
– 940€ Miete inkl. Heizkosten
——
1903€ nach Mietzahlung

Korrektur Berechnung der Haushaltskasse mit Arbeit

Folgen der falschen Berechnung

Durch diese falschen Berechnungen kam @sterntv auf das falsche Ergebnis, dass die Differenz bei nur 189€ liegen würde und insgesamt auf viel zu geringe Beträge. Real liegt der Lohnabstand aber bei 442€.

Korrektur der Ergebnissfolie von SternTV

Durch die falschen Berechnungen und die falsche Darstellung musste die Diskussion bei #sterntv in die falsche Richtung gehen.

Schade um die vertane Chance, faktenbasiert zu sprechen.

Danke für deinen Einsatz und die Beschreibung deiner Lage an “@klein_nini”, das hast du spitze gemacht.

Von Sarah-Lee Heinrich (Bundessprecherin Grüne Jugend) hätte ich mir erwartet, dass ihr auffällt, dass die Berechnung falsch sein muss.

Für Mario Czaja (Generalsekretär CDU) war die Desinformation eine Steilvorlage.

Von SternTV hätte ich eigentlich eine korrekte Berechnung erwartet. Hat Mario Czaja eventuell die Zahlen mitgebracht? Sie passen in die Desinformationskampagne der CDU
und CSU, mehr dazu hier.

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