In der SternTV-Sendung vom 20. November 2022 wird übers Bürgergeld berichtet und diskutiert. Dabei werden aber extrem falsche Zahlen verwendet. Wir haben uns einmal die Mühe gemacht, Einordnungen und reale Zahlen vorzurechnen.
Die Sendung gibt es hier zu sehen.
Es wird die Situation der Geringverdienerin aus 2022 mit dem Bürgergeld 2023 verglichen
1. Damit ergibt sich zwingend ein falsches Ergebnis und
2. wird auch noch falsch gerechnet.
Inhaltsverzeichnis
Korrekte Berechnung Bürgergeld ohne Einkommen:
Bedarf:
502€ Regelbedarf
181€ Mehrbedarf Alleinerziehung
420€ Regelbedarf Sohn
318€ Regelbedarf Tochter
40€ Kindersofortzuschlag (2×20€)
940€ Miete und Heizkosten
——-
2401€ Bedarf
Einkommen:
500€ Kindergeld (2×250€)
214€ Unterhaltsvorschuss (nur für Tochter, Sohn zu alt)
——
714€ angerechnetes Einkommen, keine Freibeträge
2401€ Bedarf
-714€ angerechnetes Einkommen
——
1687€ Bürgergeld
Haushaltseinkommen
1697€ Bürgergeld
500€ Kindergeld
214€ Unterhaltsvorschuss
——
2401€ Haushaltseinkommen
-940€ Miete und Heizkosten
——
1461€ Geld zur Verfügung mit Bürgergeld
Korrekte Berechnung Situation mit Arbeit:
Vollzeit oder Teilzeit?
Sie soll mit Vollzeitarbeit nur 1260€ Netto verdienen. Das ist aber unmöglich.
Selbst bei Mindestlohn:
12€/Std x 40Std/Woche x 4,33 Wochen/Monat
=2080€ Brutto
Bei Steuerklasse 2 mit Kinderfreibetrag ergeben sich 1583€ Netto.
Auf Grundlage der angegebenen Zahlen ergibt sich folgender Umfang der Teilzeitstelle
Um ein Netto von 1260€ zu erhalten, verdient sie Brutto 1575€. Bei Mindestlohn ergibt sich folgender Stundenumfang: 1575€ / 4,33Wochen/Monat /12€/Std = 30Std/Woche.
Unterhaltsvorschuss ab 12 Jahren
Da sie arbeitet und über 600€ Brutto im Monat verdient hat sie nach §1 Abs1a Nr2 UhVorschG Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für ihren Sohn – 2023 in Höhe von 292€. Ergänzend kann sie entweder Bürgergeld oder Wohngeld und Kinderzuschlag beziehen.
Berechnung Bürgergeld:
Der Bedarf bleibt identisch zur Berechnung ohne Einkommen:
502€ Regelbedarf
160€ Mehrbedarf Alleinerziehung
420€ Regelbedarf Sohn
318€ Regelbedarf Tochter
40€ Kindersofortzuschlag (2×20€)
940€ Miete und Heizkosten
——-
2380€ Bedarf
Einkommen Kinder:
500€ Kindergeld
214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
——
1006€
Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)
Einkommen Mutter
1575€ Brutto
1260€ Netto
Freibeträge:
100€ (Pauschale)
84€ (20% v. 100-520)
144€ (30% v. 520-1000)
20€ (10% v. 1000-1200)
30€ (10% v. 1200-1500)
——-
378€ Freibetrag
1260€ Netto
-378€ Freibetrag
——
882€ angerechnetes Einkommen
Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:
2380€ Bedarf
-1006€ Kindereinkomme
– 882€ anger. Einkommen Mutter
——–
492€ Bürgergeld
Die Haushaltskasse enthält folgendes:
1260€ Netto Mutter
+ 500€ Kindergeld
+ 214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
+ 292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
+ 492€ Bürgergeld
———
2758€ Haushaltseinkommen
-940€ Miete inkl. Heizung
——–
1818€ nach Mietzahlung
Wohngeld und Kinderzuschlag
Wohngeld und Kinderzuschlag sind die vorrangige Alternative zum Bürgergeld – die höhere Variante ist die, auf die dann auch Anspruch besteht
Wohngeld: 305€
Berechnung mit dem Rechner von Wohngeld-MV.de unter Annahme von Mietstufe 1 und 80€ Heizkosten (schlechteste denkbare Bedingungen)
Kinderzuschlag:
Der Elternbedarf setzt sich aus den Bedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
502€ Regelbedarf Mutter
160€ Mehrbedarf Alleinerziehung
592€ (63% von 940€ Warmmiete)
——
1254€ Elternbedarf
Da das nach den Berechnungsgrundlagen des Bürgergelds anzurechnende Einkommen (882€ – siehe Tweet 11) niedriger ist, als der Elternbedarf, wird davon nichts auf den Kinderzuschlag angerechnet. Der Unterhaltsvorschuss wird mit 45% mindernd auf den maximalen Kinderzuschlag angerechnet.
214€ UhV Tochter
292€ UhV Sohn
—–
506€
500€ Maximaler Kinderzuschlag (250€ je Kind)
-228€ (45% von 506€)
——
272€ Kinderzuschlag
Kombination Wohngeld und Kinderzuschlag
Die Haushaltskasse enthält folgendes:
1260€ Netto Mutter
+ 500€ Kindergeld
+ 214€ Unterhaltsvorschuss Tochter
+ 292€ Unterhaltsvorschuss Sohn
+ 305€ Wohngeld
+ 272€ Kinderzuschlag
———
2843€ Haushaltseinkommen
Da mit Wohngeld und Kinderzuschlag insgesamt höhere Leistungen fließen als mit Bürgergeld, hat sie Anspruch auf diese vorrangigen Leistungen.
2843€ Haushaltseinkommen mit Arbeit
– 940€ Miete inkl. Heizkosten
——
1903€ nach Mietzahlung
Folgen der falschen Berechnung
Durch diese falschen Berechnungen kam @sterntv auf das falsche Ergebnis, dass die Differenz bei nur 189€ liegen würde und insgesamt auf viel zu geringe Beträge. Real liegt der Lohnabstand aber bei 442€.
Durch die falschen Berechnungen und die falsche Darstellung musste die Diskussion bei #sterntv in die falsche Richtung gehen.
Schade um die vertane Chance, faktenbasiert zu sprechen.
Danke für deinen Einsatz und die Beschreibung deiner Lage an “@klein_nini”, das hast du spitze gemacht.
Von Sarah-Lee Heinrich (Bundessprecherin Grüne Jugend) hätte ich mir erwartet, dass ihr auffällt, dass die Berechnung falsch sein muss.
Für Mario Czaja (Generalsekretär CDU) war die Desinformation eine Steilvorlage.
Von SternTV hätte ich eigentlich eine korrekte Berechnung erwartet. Hat Mario Czaja eventuell die Zahlen mitgebracht? Sie passen in die Desinformationskampagne der CDU
und CSU, mehr dazu hier.
Meine hier veröffentlichten Artikel findet ihr (ähnlich) auch bei Twitter. Zum Abschluss noch der Link zum Twitter-Thread für Rückfragen, Ergänzungen oder alles was ihr sonst dazu sagen wollt – natürlich auch gerne zum Retweeten: hier
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Simon alias “Sozi Simon” ist Sozialarbeiter aus Leidenschaft. Kämpfer für mehr Gerechtigkeit und gegen das Verschweigen/Verweigern von staatlicher Unterstützung. Er ist Mitautor des SGB II & SGB XII Leitfadens von A-Z. Simon ist insbesondere bei Twitter für seine Ratgeber-Tweets bekannt und seit 2022 freier Autor bei Gegen-Hartz.de