Millionenschwere Erbmasse, nicht verwertbar? Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat entschieden: Wer Miterbe eines werthaltigen Nachlasses ist, muss zunächst sein Vermögen verwerten – auch ohne abgeschlossene Erbauseinandersetzung. Die Klägerin, die in einer Immobilie aus dem Erbe wohnte und staatliche Leistungen beantragte, ging leer aus.
Gericht: Erbteil reicht – auch ohne Zugriff auf das Eigentum
Im Zentrum des Verfahrens stand eine Frau, die gemeinsam mit ihrer Tochter Bürgergeld bezog. Sie lebte im Obergeschoss eines Hauses, das einst ihren Eltern gehörte. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2019 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Miterbin. Der Nachlass: mehrere Immobilien, Wertpapierdepots und Sachwerte mit einem Gesamtwert von weit über 1 Million Euro.
Die Klägerin beantragte für den Zeitraum von Oktober 2020 bis März 2021 weiterhin Leistungen nach dem SGB II – dieses Mal jedoch als Zuschuss und nicht mehr als Darlehen. Ihre Begründung: Die Erbauseinandersetzung sei noch nicht abgeschlossen, sie habe also kein verwertbares Vermögen.
Das LSG sah das anders: Die Frau habe durch ihre Miterbenstellung bereits ein rechtlich verwertbares Vermögen erhalten – unabhängig davon, ob sie faktisch über einzelne Immobilien verfügen konnte oder nicht.
Corona-Regelung hilft nicht bei „erheblichem Vermögen“
Besonders brisant: Die Klägerin berief sich auf die Corona-Sonderregelungen des § 67 SGB II. Demnach soll in bestimmten Fällen die Vermögensprüfung für sechs Monate ausgesetzt werden. Doch das Gericht stellte klar: Diese Erleichterung gilt nur, wenn kein „erhebliches“ Vermögen vorliegt.
Das war hier nicht der Fall: Der Wert des geerbten Immobilienanteils und weiterer Nachlassbestandteile überstieg den gesetzlichen Freibetrag für ihre Bedarfsgemeinschaft um ein Vielfaches – laut Gericht sei das Vermögen sogar so erheblich, dass Bürgergeld „offensichtlich nicht gerechtfertigt“ sei.
Verwertung muss möglich sein – nicht bequem
Entscheidend war aus Sicht der Richter auch, dass die Verwertung des Vermögens innerhalb des beantragten Bewilligungszeitraums realistisch möglich gewesen wäre. Die Klägerin hatte zum Zeitpunkt ihres Antrags bereits:
Gutachten über den Immobilienwert eingeholt,
Bankdarlehen zur Auszahlung an ihre Schwester arrangiert und
Schritte zur Übertragung der Eigentumswohnungen eingeleitet.
Außerdem floss ihr noch im Streitzeitraum der Erlös aus dem Verkauf einer weiteren Erbschaftswohnung zu – über 100.000 Euro, direkt auf ihr Konto.
Die Richter betonten, dass sie damit über „bereite Mittel“ verfügt habe. Der Hinweis der Klägerin, dass sie die Mittel zur Renovierung verwenden wollte, überzeugte nicht: Der Wille zur Eigenverwertung – z. B. durch Vermietung – könne den Anspruch auf Zuschussleistungen nicht begründen, wenn eine schnellere Veräußerung möglich gewesen wäre.
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Renovierungsbedarf schützt nicht vor Vermögensanrechnung
Ein zentrales Argument der Klägerin war der Zustand der geerbten Immobilie. Wasserschäden, Entrümpelungsarbeiten und fehlende Grundrisse hätten eine kurzfristige Nutzung unmöglich gemacht. Doch auch hier stellte das Gericht klar: Der Verkehrswert zählt, nicht der Zustand.
Die Wohnung sei unbewohnt, aber nicht unverkaufbar gewesen. Auch wenn die Klägerin eine Vermietung bevorzugt hätte, sei eine Verwertung durch Verkauf oder Beleihung wirtschaftlich und rechtlich möglich gewesen – und das sei entscheidend.
Mangelnde Kooperation verschärft die Lage
Auffällig im Verfahren war, wie zögerlich die Klägerin relevante Informationen einreichte. Wichtige Unterlagen wie:
das Testament,
die Verkehrswertgutachten oder
die Darlehensverträge
legte sie teils erst im Gerichtsverfahren vor – obwohl das Jobcenter mehrfach danach gefragt hatte. Das LSG sah darin keine formalen Versäumnisse, aber eine erhebliche Verzögerung, die letztlich gegen die Klägerin sprach. Denn nur wer vollständig und transparent mitwirkt, kann auf eine großzügige Prüfung hoffen.
Zuschussanspruch abgelehnt – Darlehen wäre möglich gewesen
Besonders bitter für die Klägerin: Sie hätte unter Umständen ein Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II erhalten können – unter der Voraussetzung, dass sie dem Jobcenter eine Sicherungsgrundschuld einräumt. Das lehnte sie jedoch ab.
Da sie gleichzeitig nicht als „hilfebedürftig“ im Sinne des Gesetzes galt, blieb nur ein Ergebnis: kein Anspruch auf Bürgergeld als Zuschuss.