Hartz 4: Offener Brief an Berlins Bürgermeister Herrn Klaus Wowereit
Sehr geehrter Herr Wowereit!
Eigentlich waren Sie mir, trotz Ihrer Zugehörigkeit in der SPD noch recht sympathisch. Schon Ihre außergewöhnliche Art, mit Menschen zu kommunizieren erzeugte bei mir eine gewisse Art der Achtung. Es gibt wirklich sehr wenige Politiker ihrer Partei, die ich persönlich für Sozial halte. Und genau deshalb, kann ich mir es nicht verkneifen, Ihnen zu den heutigen sozialen Missständen in Deutschland (auch Berlin) einige Fragen zu stellen. Bitte versuchen Sie, diese Fragen nach Ihrer und nicht nach der parteilichen Überzeugung zu beantworten. Denn die Meinung Ihrer Partei stößt bei mir auf totale Ablehnung. Aber kommen wir zu den Fragen, die ganz bestimmt nicht nur von mir gestellt werden.
– Wie kann es sein, dass Lehrlinge trotz höherem Leistungsaufwand gegenüber Arbeitslosen, weniger Geld zum Leben erhalten als ALG II – Empfänger ? Sie leben also unter dem Existenzminimum !
Ihre Partei propagiert soziales Verhalten und begründet in Bundestagsdebatten die sozialen Einschnitte mit fehlendem Geld. Kommt man sich als Mitglied dieser Partei nicht selbst unglaubwürdig vor, wenn man im Gegensatz zum sparen, die ganzen Steuervergünstigungen an das Kapital und die eigene Steuerverschwendung rechtfertigen muss ? Ist es nicht sehr traurig, dass diese Regierung dazu beiträgt, die Lust am Arbeiten durch Senkung der notwendigen Hilfen gerade bei Lehrlingen zu senken ? Ich bin genau wie Sie davon überzeugt, dass man sparen muss und halte es auch für sehr wichtig unsere Wirtschaft zu beleben. Leider gehen aber meine Vorstellungen vom sparen in eine völlig andere Richtung. Auf keinen Fall würde ich an das Existenzminimum und an die Errungenschaften unserer Eltern kürzen, sondern versuchen, diese sozialen Errungenschaften weiter auszubauen. Und sagen Sie bitte nicht, es sei kein Geld da ! Dies ist schlicht und einfach falsch.
– Wie kann es sein, dass man das Fahrgeld bei Lehrlingen in einer Kilometerpauschale für Autos berechnet und nicht einmal die billigste Monatskarte der BVG für Azubis gewährt. (48,-€)
Auch hier möchte ich gern wissen, wie man der ständig steigenden Fahrkosten und laufenden Erhöhungen der BVG entgegenwirken kann ? Ist es nicht unvertretbar, gerade 2 Stunden Fahrkarten teurer und die Tageskarte billiger zu machen ? Dies ist zwar in der freien Marktwirtschaft durchaus verständlich, weil ja Nachfrage die Preise bestimmen ABER wenn auch Sie diese Entwicklung unterstützen, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass die Sozialleistungen, genau wie ihre Diäten, den steigenden Preisen angepasst werden. Mein Sohn (Lehrling) bekommt 34,-€ Fahrkosten erstattet und muss aber 48,-€ für seine Monatskarte bezahlen. 14,-€ mehr ! Dieses Geld fehlt natürlich an anderer Stelle. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, wie knapp das Lehrlingsgehalt ist ! Aber Ihre Partei verlangt sogar von den Eltern (welche ebenfalls am Existenzminimum leben, dass Sie ihre Kinder finanziell unterstützen sollen ! Ein Witz ? Meine EU-Rente wird auf ALG-Niveau durch Anrechnung ans ALG meiner Frau gekürzt und dann sollen wir unseren Sohn unterstützen ? Wie, bitteschön ?
– Wie können Sie sich mit der Gegebenheit abfinden, dass Kinder unter 14 Jahren (also noch im Wachstum) mit 207,-€ ALG – Regelsatz abgespeist werden und das Kindergeld auch bei Berufstätigkeit eines Elternteiles auf das ALG des Partners voll angerechnet wird ?
Eine nette Leserin im Internet hat einen sehr treffenden Satz geäußert. "Kinderarmut ist, wenn ein kleiner Riss in der Hose, einen verzweifelten Wutausbruch auslöst!" Und genau so ist es. Wenn auch Sie ganz ehrlich zu sich selbst sind, werden Sie einsehen müssen, dass diese 207,-€ keine Möglichkeit bieten, Kinder ausreichend zu ernähren und zu bekleiden. Und gerade in diesem Zusammenhang sollte eine soziale Partei Einhalt gebieten und nach Mitteln suchen, diese Unterversorgung wieder ins Lot zu bringen.
Herr Wowereit, ich könnte jetzt stundenlang weiter aufzählen aber ich möchte ja Ihre Zeit nicht unnötig strapazieren und keines Falls provozieren, dass Sie meinen Brief in den Akte – P Ordner werfen. Ich denke als Bürgermeister unserer Stadt haben auch Sie eine Verantwortung unseren Kindern gegenüber. Deshalb bin ich auch sehr optimistisch, was eine Antwort von Ihnen oder dem zuständigen Bearbeiter anbelangt.
Trotzdem es dieses Jahr zu Weihnachten, sehr viele Tränen (auch in Berlin) geben wird, die auch Sie mit ihrer Politik zu verantworten haben, wünsche ich Ihnen ein gesundes und besinnliches Weihnachtsfest in der Hoffnung, eine ehrliche Antwort zu erhalten.
Ihr Bürger Detlef Rochner (Vater von 5 Kindern)
***** in 10319 Berlin DetlefRochner@aol.com
Berlin d. 01.12.2006
Dies ist ein Leserbeitrag, 01.12.06
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