Abschaffung Pflegegrad 1: Rentner würden 131 Euro im Monat verlieren

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Rund 860.000 Menschen in Deutschland könnten demnächst eine wichtige Hilfe verlieren: Die Bundesregierung erwägt nach übereinstimmenden Medienberichten, den seit 2017 bestehenden Pflegegrad 1 abzuschaffen. In dieser niedrigsten Stufe erhalten Betroffene kein Pflegegeld, aber wichtige Unterstützungen – vor allem den monatlichen Entlastungsbetrag, der seit 2025 bei 131 Euro liegt, sowie Zuschüsse für kleinere, barrierefreie Umbauten.

Offiziell bestätigt ist eine Streichung nicht; die Bundesregierung prüft zunächst Optionen. Ein Beschluss könnte nach dem nächsten Reformtermin im Herbst fallen.

Was Pflegegrad 1 heute leistet

Pflegegrad 1 richtet sich an Menschen mit leichten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit – häufig infolge von Wirbelsäulen- oder Gelenkerkrankungen, beginnenden kognitiven Einschränkungen oder chronischen Leiden.

Die wichtigste Hilfe ist der Entlastungsbetrag, der seit 1. Januar 2025 nach gesetzlicher Anpassung 131 Euro pro Monat beträgt.

Er kann für anerkannte Angebote im Alltag, für niedrigschwellige Betreuungsleistungen, haushaltsnahe Hilfen oder – unter bestimmten Voraussetzungen – für Leistungen ambulanter Dienste eingesetzt werden. Das Bundesgesundheitsministerium führt den Betrag als Regelleistung ab Pflegegrad 1 auf.

Die Zahlen hinter der Debatte

Am Stichtag 31. Dezember 2024 waren laut offizieller Geschäftsstatistik der Pflegekassen 863.672 Personen in Pflegegrad 1 eingestuft. Der allergrößte Teil der Pflege findet in Deutschland zu Hause statt; 2023 lag der Anteil der häuslichen Versorgung bei rund 86 Prozent. Damit ist Pflegegrad 1 für viele Familien das einzige Ventil, um Alltagsaufgaben zu organisieren und pflegende Angehörige zu entlasten.

Warum jetzt über eine Streichung gesprochen wird

Hintergrund der Diskussion ist die angespannte Finanzlage der Pflegeversicherung. Für 2026 wird eine Lücke von rund zwei Milliarden Euro befürchtet; bis 2029 warnt der Bundesrechnungshof vor einem strukturellen Milliarden­defizit.

In diesem Zusammenhang kursiert eine Modellrechnung, wonach die Abschaffung von Pflegegrad 1 Einsparungen von etwa 1,8 Milliarden Euro pro Jahr bringen könnte. Die Zahl geht auf eine RWI-Abschätzung zurück, die in mehreren überregionalen Berichten aufgegriffen wurde.

Was als Nächstes ansteht

Bund und Länder verhandeln 2025 im Rahmen des „Zukunftspakt Pflege“ über Eckpunkte einer großen Pflegereform. Für Oktober und Dezember sind weitere Beratungs- und Beschlusstermine vorgesehen.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) lässt eine Abschaffung von Pflegegrad 1 grundsätzlich offen, betont aber, den Menschen werde „nicht über Nacht etwas weggenommen“. Eine endgültige Entscheidung steht aus.

Wer besonders betroffen wäre

Die Streichung träfe vor allem Rentnerinnen und Rentner, die noch weitgehend selbstständig leben, aber punktuell Unterstützung brauchen – vom Fahrdienst über Hilfe beim Einkauf bis zu stundenweiser Betreuung. Für viele ist der Entlastungsbetrag eine Unterstützung, um länger zu Hause bleiben zu können.

Auch pflegende Angehörige würden spürbar verlieren, wenn die Refinanzierung der Entlastungsangebote wegfiele. Dass es um eine große Gruppe geht, zeigen die amtlichen Zahlen: Allein in der sozialen Pflegeversicherung waren Ende 2024 mehr als 860.000 Personen in Pflegegrad 1 eingestuft.

Zustimmung, Widerstand und Alternativen

Aus der Koalition kommen unterschiedliche Töne: Während im Regierungsumfeld gerechnet und geprüft wird, weisen Stimmen – unter anderem aus der SPD – eine Streichung zurück.

Sozial- und Pflegeverbände warnen vor einem „fatalen Signal“ und fordern tragfähige Gegenfinanzierungen statt Leistungskürzungen.

In den Berichten wird der Paritätische Wohlfahrtsverband mit deutlicher Kritik zitiert; die öffentliche Debatte spiegelt die Sorge, dass ausgerechnet jene mit geringerem Hilfebedarf zuerst sparen müssten – mit möglichen Folgekosten an anderer Stelle.

Was eine Abschaffung praktisch bedeuten würde

Rechtlich wäre zu klären, ob es Übergangs- oder Bestandsschutzregelungen für bereits Eingestufte gäbe und wie laufende Umbau- oder Hilfsleistungen abgewickelt würden. Unabhängig davon bliebe der Zugang zu höheren Pflegegraden unangetastet; jedoch entfiele für Menschen mit leichten Einschränkungen die niedrigschwellige, unbürokratische Unterstützung.

Fachleute verweisen darauf, dass der Entlastungsbetrag – so klein er wirken mag – oft den Unterschied macht, ob Angehörige Entlastung einkaufen können oder nicht, und ob drohende stationäre Aufenthalte vermieden werden. Offiziell existieren hierzu noch keine Beschlüsse; der weitere Weg hängt von den im Herbst vorgelegten Reformvorschlägen ab.

Einordnung

Die Diskussion über Pflegegrad 1 ist ein Lackmustest, wie die Politik Lasten zwischen Beitragszahlenden, Staat und Betroffenen verteilt. Die Finanzprobleme sind real, doch Einsparungen bei niedrigschwelligen Hilfen könnten sich sozial- wie gesundheitspolitisch rächen, wenn dadurch Pflege später, teurer und belastender wird.

Aus rein fiskalischer Sicht mag eine Streichung den Haushalt kurzfristig entlasten. Aus Versorgungssicht ist sie ein Risiko: Sie träfe genau jene, die mit vergleichsweise wenig Hilfe ihren Alltag bewältigen – und damit das System an anderer Stelle entlasten.

Die Entscheidung, die nach den Bund-Länder-Runden im Herbst fallen könnte, wird deshalb weit über Zahlen hinausreichen. Sie wird zeigen, welchen Wert Politik und Gesellschaft der häuslichen Pflege beimessen.

Transparenzhinweis: Die Zahl der Betroffenen und die Einsparschätzung stammen aus offiziellen Statistiken und der aktuellen Berichterstattung. Die amtliche Geschäftsstatistik der Pflegekassen weist für den 31.12.2024 insgesamt 863.672 Personen in Pflegegrad 1 aus.

Der Entlastungsbetrag beträgt seit 2025 nach BMG-Übersicht 131 Euro pro Monat. Medienberichte von u. a. Tagesspiegel und Zeit Online dokumentieren die politische Prüfung einer Streichung sowie die genannte RWI-Abschätzung von rund 1,8 Milliarden Euro jährlich.