Seit der großen Pflegereform misst die Pflegeversicherung Pflegebedürftigkeit nicht mehr am Zeitaufwand, sondern an der Selbstständigkeit in zentralen Lebensbereichen.
Aus den erhobenen Punkten wird ein Gesamtwert gebildet, der direkt einem Pflegegrad zugeordnet wird – von 1 (geringe Beeinträchtigung) bis 5 (schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen). Damit sollte das System gerechter werden, insbesondere für Menschen mit kognitiven oder psychischen Einschränkungen.
Ab welcher Punktzahl welcher Pflegegrad gilt
Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Gesamtpunktwert mindestens 12,5 erreicht.
Die Zuordnung ist bundesweit einheitlich geregelt: Von 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten liegt Pflegegrad 1 vor; 27 bis unter 47,5 führen zu Pflegegrad 2; 47,5 bis unter 70 zu Pflegegrad 3; 70 bis unter 90 zu Pflegegrad 4; ab 90 bis 100 Punkten zu Pflegegrad 5.
In medizinisch besonders belastenden Konstellationen kann Pflegegrad 5 ausnahmsweise auch bei weniger als 90 Punkten vergeben werden. Werte unter 12,5 bedeuten: kein Pflegegrad.
Tabelle: Welche Punkte führen zu welchem Pflegegrad
Pflegegrad | Punkte (Gesamtpunktzahl) |
---|---|
Pflegegrad 1 | 12,5 – unter 27 |
Pflegegrad 2 | 27 – unter 47,5 |
Pflegegrad 3 | 47,5 – unter 70 |
Pflegegrad 4 | 70 – unter 90 |
Pflegegrad 5 | 90 – 100 |
Hinweis: In besonderen Bedarfskonstellationen kann Pflegegrad 5 auch unterhalb von 90 Punkten vergeben werden.
So entstehen die Punkte
Die Punkte werden in einem strukturierten Verfahren über sechs Module ermittelt: Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.
Jedes Modul fließt gewichtet in die Gesamtwertung ein. Mobilität zählt mit 10 Prozent, die Module „Kognition/Kommunikation“ und „Verhaltensweisen“ werden zusammen betrachtet – es zählt jeweils nur der höhere der beiden Werte – und gehen gemeinsam mit 15 Prozent ein.
Die Selbstversorgung hat mit 40 Prozent den größten Einfluss, krankheits- und therapiebedingte Anforderungen mit 20 Prozent, Alltagsgestaltung und soziale Kontakte mit 15 Prozent.
Begutachtung in der Praxis: Wer prüft und wie läuft das ab?
Bei gesetzlich Versicherten beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst. Privat Versicherte werden von Medicproof begutachtet. Die Einschätzung erfolgt in der Regel im persönlichen Gespräch als Hausbesuch; möglich ist – je nach Fallkonstellation – auch ein strukturiertes Telefoninterview. Ziel ist festzustellen, wie selbstständig der Alltag bewältigt werden kann und wobei Hilfe nötig ist.
Für die Entscheidung der Pflegekasse gelten klare Fristen: Spätestens 25 Arbeitstage nach Antragseingang muss der Bescheid vorliegen; in akuten Situationen – etwa im Krankenhaus, in Reha, im Hospiz oder bei angekündigter Pflegezeit – gelten verkürzte Begutachtungsfristen von fünf bzw. zehn Arbeitstagen. Wird die 25-Tage-Frist oder eine verkürzte Frist überschritten, ist eine Verzögerungspauschale von 70 Euro pro begonnener Woche fällig.
Sonderregeln: Härtefall-Pflegegrad 5 und Kinder unter 18 Monaten
Neben den regulären Punktschwellen sieht das Verfahren eine besondere Bedarfskonstellation vor, bei der wegen außergewöhnlich hohen Unterstützungsbedarfs auch unterhalb von 90 Punkten direkt Pflegegrad 5 vergeben werden kann.
Für Kinder bis 18 Monate gelten abweichende Zuordnungen, weil Entwicklungsstufen die Bewertung beeinflussen; auch hier ist eine Einstufung in hohe Pflegegrade möglich, wenn der Gesamtpunktwert sehr hoch ist oder eine besondere Bedarfslage vorliegt.
Vom Punktwert zum Leistungsanspruch: Was die Einstufung auslöst
Mit dem Pflegegrad eröffnet sich der Zugang zu einem abgestuften Leistungskatalog – von Pflegegeld und Pflegesachleistungen über Entlastungsbetrag, Hilfsmittel, teilstationäre Angebote bis hin zur vollstationären Versorgung.
Die Beträge werden regelmäßig angepasst; zum 1. Januar 2025 sind sie um 4,5 Prozent gestiegen. Seit 1. Juli 2025 gibt es zudem einen gemeinsamen Jahresbetrag für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege, der die Inanspruchnahme flexibler machen soll. Welche Summen genau im Einzelfall greifen, hängt vom Pflegegrad und der Leistungsart ab.
So wird die Einschätzung treffsicher
Für eine realistische Punktebewertung ist die Alltagssituation entscheidend. Sinnvoll ist es, typische Tage über einige Zeit zu protokollieren, auf Hilfebedarfe hinzuweisen und relevante Unterlagen bereitzulegen – etwa ärztliche Befunde, Medikamentenpläne oder Reha-Berichte. Wer den Hausbesuch bevorzugt, kann ihn regelmäßig verlangen; das ermöglicht dem Gutachter, Barrieren, Hilfsmittel und Abläufe unmittelbar zu sehen.
Wenn das Ergebnis nicht passt: Rechte, Fristen, Widerspruch
Gegen den Bescheid der Pflegekasse kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch eingelegt werden. Die Monatsfrist ist gesetzlich festgelegt; fehlt im Bescheid eine korrekte Rechtsbehelfsbelehrung, verlängert sie sich. Parallel kann die Übersendung des vollständigen Gutachtens angefordert und fachlich geprüft werden; bei anhaltender Uneinigkeit ist die Klage vor dem Sozialgericht möglich.
Fazit
Das Punktesystem ordnet Pflegebedürftigkeit transparent und bundesweit einheitlich zu. Entscheidend sind nicht einzelne Diagnosen, sondern die tatsächliche Einschränkung der Selbstständigkeit im Alltag.
Wer die Logik der Module und Gewichte kennt, versteht, warum eine Einstufung so ausfällt – und kann Vorbereitung, Antrag und mögliche Rechtsmittel fundiert angehen. Für Betroffene und Angehörige bedeutet das: sorgfältig dokumentieren, Fristen kennen und die Einstufung nicht als Schicksal, sondern als überprüfbare Entscheidung verstehen.