Zwei Jahre Hartz IV – zwei Jahre "Unabhängige Sozialberatung" – die Ombudsstelle
Im Herbst 2004 schlossen sich einige Kolleginnen und Kollegen aus IG Metall, ver.di, DPWV, SoVD, VdK, z. T. in Ortsvorstandspositionen, SozialarbeiterInnen und Weitere, darunter ein Lehrbeauftragter für Sozialrecht, zusammen. Ihr Anliegen: angesichts des zu Erwartenden Elends der Hartz IV-Gesetzgebung ein Gegengewicht zu schaffen und den Betroffenen das Rückgrat zu stärken und sie in der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen. Die Meisten davon hatten über das SOZIALFORUM zueinander gefunden. Unsere Gründung geschah in Zusammenhang mit der bundesweiten Intitiative für eine unabhängige Sozialberatung, unterstützt von „tacheles e.V.“, Wuppertal.
Das SOZIALFORUM gründete sich im August 2003 gegen die AGENDA 2010 und andere Versuche interessierter Kreise, mit der Drohgebärde der Globalisierung die Kosten des Erhalts der Bevölkerung, vor allem jener Teile, die regelwidrig (noch nicht oder nicht mehr) einer Verwertung entzogen waren, aber auch der (noch) Beschäftigten, radikal zu senken und das menschliche Leben den Erfordernissen der Wirtschaft unterzuordnen.
Die "Unabhängige Sozialberatung" hat sich in diesen zwei Jahren zu einer weit über Bochum hinaus anerkannten Einrichtung entwickelt. In Bochum spielt sie eine wichtige Rolle bei der direkten Unterstützung Betroffener und beim öffentlich machen von Missständen, greift hier aber auch auf der politischen Ebene ein, um sich Verletzungen des Sozialstaatsprinzips entgegenzustellen.
Angesichts des merkwürdigen Rechtsverständnisses der ARGE ist das mehr als nötig. Gelegentlich weckt das Verhalten der ARGE bei uns den Eindruck, es ginge vor allem darum, die Betroffenen zu beschämen und unter Druck zu setzen, damit sie auch ja das gewünschte „Unterschichtbewusstsein“ entwickeln und ihre Rechte nicht einfordern.
Darum stellen wir uns auch gerne zur Verfügung für die Aufgabe einer „Ombudsstelle“, zu der wir uns durch unsere verlässliche und unnachgiebige Arbeit entwickelt haben. Die "Unabhängige Sozialberatung" ist mittlerweile viel mehr als eine Beratungs- und Beschwerdestelle für Hartz IV-Betroffene: hier findet eigenständige Arbeit statt im Bereich der Rechts- und Sozialwissenschaften, zur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, zur Sozialökonomie und zur Sozial- und Rechtsstaatlichkeit. Dafür geniesst die "Unabhängige Sozialberatung" inzwischen Anerkennung nicht nur im lokalen Bereich, sondern ist regional, NRW-weit und bundesweit vernetzt mit den führenden einschlägigen Einrichtungen.
Dazu steht uns ein Pool von eigenen (ehrenamtlichen) Mitarbeitenden zur Verfügung: ein Ökonom, ein Sozialwissenschaftler (und Lehrbeauftragter für Sozialrecht), ein Politologe und Sozialhistoriker, zwei Sozialpädagoginnen (mit langer Erfahrung in der Sozialberatung), zwei Medienfachleute, ein Fachmann zu Hartz IV, eine Rechtsanwaltsmitarbeiterin und ein langjähriger IG-Metall-Erwerbslosenberater. Wir arbeiten zusammen mit einigen einschlägig tätigen Lehrstühlen.
Wir sind vernetzt mit anderen Beratungsstellen am Ort und mit örtlichen Betroffenenorganisationen, Gewerkschaften, Sozialverbänden und dem SOZIALFORUM. Wir vertreten offensiv parteiisch die Interessen der Betroffenen.
Erfahrungen mit der ARGE Bochum aus zwei Jahren Arbeit:
Die ARGE Bochum wird nach den Regeln der öffentlichen Verwaltung geführt. Demnach kommt es ihr v.a. darauf an, dass die Verwaltungsabläufe reibungslos vonstatten gehen. Dass Menschen und ihre Rechte dabei auf der Strecke bleiben meint sie nicht verantworten zu müssen. „Der Gesetzgeber hat das so gewollt“ ist eine oft zu hörende Antwort. Und: „Das ist unser Alltagsgeschäft“.
Die ARGE stellt sich tatsächlich als Verwaltungsmaschine dar, z.T mit Sachbearbeitungen ausgestattet, die zuvor in Ämtern "eingespart" wurden, in denen sie mit Menschen und ihren Rechten nichts zu tun hatten. Für das sensible Gebiet des Sozialen fehlen hier Qualifikation, Motivation, Selbstreflexion und Supervision. Wünschenswert wäre, dass sozialarbeiterischer und sozialpolitischer Sachverstand hier Einzug hielten.
Unter dieser Prämisse ist die ARGE beispielsweise in der zur Klärung anstehenden Frage der Heizkostenerstattung nicht bemüht, in Zusammenarbeit mit Betroffenenorganisationen, Mieterbund, Stadtwerke und weiteren Fachleuten zu einer sachbezogenen Bewertung zu kommen. Ihr Bestreben ist allein das „gerichtsfest machen“ ihrer Vorgehensweise, was ihr so nicht gelingen kann. In Wuppertal hingegen, wo „tacheles e.v.“ eine sozialwissenschaftlich geleitete Studie zur Erhebung der Heizumstände durchführt, ist die dortige ARGE aktiv an der Diskussion beteiligt.
Dass Sozialverwaltung auch die Aufgabe hat, das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes und des SGB I ins Leben umzusetzen, darin auch ein tragendes Element für Stadtplanung und Unterstützung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist wird hier nicht einmal gedacht. Die Umsetzung von Hartz IV ist im eigentlichen Sinne keine Aufgabe einer Behörde im althergebrachten Sinne, sondern eine gesellschaftliche. Zudem ist moderne Verwaltung heute zu verstehen als ein Dienstleister im Auftrag der Bevölkerung, v.a. der Leistungsnachfrager.
Tausende von Widersprüchen und Klagen
Immer noch gibt es Monat für Monat hunderte von falschen Bescheiden. Eine Vielzahl davon wird – entsprechend unserer Empfehlung – bereits auf dem Wege der Beschwerde berichtigt. Bleiben monatlich ca. 250 Widersprüche, fast die Hälfte davon wird positiv beschieden. Von den übrigen gelangt ein Teil vor das Sozialgericht, die Zahl aus Bochum alleine dürfte sich bereits auf 2.000 zu bewegen. Etwa ein Drittel davon endet erfolgreich für die Betroffenen. Immer noch eine unerträglich hohe Fehlerquote also.
Das wollen wir der ARGE nur zum Teil vorwerfen. Zwar ist die ARGE immer noch personell weit unterbesetzt, auch die Schulung lässt zu wünschen übrig. Die Gesetzgebung ist aber nicht nur politisch unzumutbar, auch handwerklich ist sie miserabel. Das Fürsorgerecht ist heute bereits so kompliziert wie die Steuergesetzgebung.
Dankbare ARGE?
Darum sollte die ARGE eigentlich dankbar sein, dass Sozialgerichte, Anwälte und Anwältinnen, Beratungs- und Betroffeneneinrichtungen helfend einspringen. Statt dessen herrscht aber Argwohn vor: die Gerichte seien zu behördenkritisch, die RechtsanwältInnen würden „einseitig“ die Interessen der Mandantschaft vertreten, und die „Unterstützerszene“ und die Presse seien überhaupt an allem Schuld.
Hier zeigt sich ein bemerkenswerter Umgang mit Rechtsgütern der Demokratie und dem Prinzip der Gewaltenteilung. Aufgabe der Justiz ist hier gerade die Kontrolle der Exekutive, Aufgabe der Anwaltschaft und der Betroffenenorganisationen die Stärkung der Einzelnen gegen den Apparat.
So müssen wir denn befürchten, dass wir noch lange einen Teil unseres Privatlebens und unserer Freizeit dem ehrenamtlichen Einsatz widmen müssen. Zur Zeit arbeiten wir intensiv an einer Vorlage zum Thema Heizkostenerstattung für die Sitzung des Sozialausschuss am 23. Januar. Aber auch die „Zwangsumzüge“ müssen wieder thematisiert werden –hier erschwert die ARGE praktikable Lösungen, in dem (angemessen grosse) Sozialwohnungen nicht per se als angemessen anerkannt werden, sie entgegen den „Richtlinien …“ in der Grundmiete ggf. enthaltene Betriebskosten nicht herausrechnet und bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung eventuell günstige Gesamtkosten unberücksichtigt lässt. Ist eine neu zu mietende Wohnung im Mietpreis angemessen und sogar günstig, aber zu gross, will sie eine Erklärung des Vermieters, dass für alle Zeiten auf die „überschüssigen“ Nebenkosten verzichtet wird – ein Unding! Im Herbst standen 2.000 Studierende auf den Wartelisten für Wohnheimplätze – das verschlechtert die Chancen für Singles unter den Hartz IV-Opfern.
Weiter erscheint uns dringlich das Problem, dass die ARGE entgegen der Praxis anderer Städte und der Empfehlung des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ Schwangeren und Alleinerziehenden, die unter 25 Jahre alt sind und per Gesetz nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern gehören, verbietet, eine eigene Wohnung zu beziehen.
Wir befürchten, dass unser Einsatz so bald nicht überflüssig wird.
Bochum, 1. Januar 2007; i.A. Norbert Hermann
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