100 Prozent Sanktion im Bürgergeld beschlossen – Wann darf das Jobcenter sanktionieren?

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Das Gesetz, nach dem es möglich ist, Bürgergeld-Bedürftigen das Existenzminimum vollständig für zwei Monate entziehen, soll nur zwei Jahre gelten. Das sieht eine Neufassung vor.

Entzug des Regelbedarfs

Wörtlich heißt es nach einem Änderungsantrag für das Haushaltsfinanzierungsgesetz: „Die Regelungen zum Entzug des Regelbedarfs bei Arbeitsverweigerung sind auf zwei Jahre nach Inkrafttreten befristet.”

Was bedeutet das für Bürgergeld-Bedürftige?

Für Menschen, die Bürgergeld beziehen, heißt das: Wenn Sie eine Arbeit nicht annehmen, dann können Ihnen zwei Monate komplett die Leistung entogen werden – also der gesamte Regelsatz. Lediglich die Unterkunftskosten werden weiter gezahlt, um eine Obdachlosigkeit zu verhindern.

Wichtig: Die 100 Prozent Sanktionen sind immer wieder möglich – also jedes Jahr bis zu acht Monate!

Geld sparen auf Kosten der Ärmsten

Die Totalsanktionen wurden beschlossen, um den Haushalt 2024 zu sanieren. 170 Millionen Euro pro Jahr sollen gespart werden, indem die Ärmsten der Armen hungern und im Dunkeln sitzen, weil ihnen sämtliche Leistungen gestrichen werden.

“Begründet” wird dies damit “eine zumutbare Arbeit nicht anzunehmen.”

Bislang nur 30 Prozent Sanktionen möglich

Nach der bisherigen Gesetzeslage können zeitweise bis zu 30 Prozent des Regelsatzes beim Bürgergeld gestrichen werden – zehn Prozent beim Versäumen von Terminen und 30 Prozent bei unterlassenen Bewerbungen oder unentschuldigter Abwesenheit bei Kursen / Maßnahmen.

Hetze von AfD, CDU / CSU und FDP

Der direkte Auslöser war eine Lücke im Haushaltsdefizit, die erst einmal durch die Not derjenigen gefüllt werden sollte, die keine finanzkräftige Lobby haben, um sich zur Wehr zu setzen – Steuererhöhungen für Superreiche wurden hingegen nicht einmal angedacht.

Begleitet wurde dies durch eine Monate währende Kampagne gegen Bedürftige von Seiten der AfD, der CDU / CSU und auch der FDP.

Totaler Entzug der Existenz soll nach zwei Jahren geprüft werden

Nach zwei Jahren soll jetzt geprüft werden, ob Komplett-Sanktionen sich dauerhaft verankern lassen.Das Bundesarbeitsministerium soll dies mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Forschungsinstitut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung abstimmen.

Bruch des Grundgesetzes

Dass es sich hier um “Good Will” der Bundesregierung handelt, die merkt, dass dieses Zerschlagen des Sozialstaats abgemildert werden muss, ist kaum anzunehmen. Eher dürfte die Einschätzung eine Rolle spielen, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Anschlag auf das Grundgesetz einkassiert.

Der Grüne Audretsch betont: „Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil 2019 entschieden, dass das Existenzminimum in Deutschland zu jeder Zeit gesichert sein muss.“

Grüne gegen Verschärfung

Politiker der Grünen hatten sich gegen die Totalsanktionen gestemmt, und sehen deren zeitliche Begrenzung als ihren Erfolg. Der Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte gegenüber der DPA: „Wir haben dafür gesorgt, dass die Regelung automatisch wieder aus dem Gesetz verschwinden wird.”

Angriff auf die Menschenwürde

Audretsch stellte auch klar, dass es hier nicht um irgendein Gesetz geht, sondern um einen Bruch des Grundgesetzes: „Niemand darf in Deutschland das nötige Geld für Essen und Trinken genommen werden.” Audretsch zufolge betreffe dies unmittelbar Artikel 1, nach dem die Menschenwürde unatastbar ist.

CDU will Grundgesetz ändern

Dass es verfassungswidrig ist, Menschen gezielt hungern zu lassen, wissen auch die Hetzer gegen die Schwächsten wie der CDU-Politiker Jens Spahn. Der will für schärfere Sanktionen die Verfassung ändern: „Wenn hier eine generelle Streichung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt ist, sollten wir eben die Verfassung ändern.“

Audretsch sagt: „Dass die CDU sogar ins Spiel bringt das Grundgesetz zu ändern, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen, ist unverantwortlich.“

Es wird Klagen hageln

Da die Totalsanktionen verfassungswidrig sind, wird es Klagen der Betroffenen und ihrer Anwälte hageln, und diese werden vor das Verfassungsgericht gehten. Ob dieses systematische Aushungern der Ärmsten überhaupt zwei Jahre überdauert, ist ungewiss.

Keine Erleichterung für die potenziellen Opfer

Für die potenziell von diesem Entzug des täglichen Brotes Betroffenen bedeutet es aber keine Erleichterung, wenn in Zukunft diese Brutalität gemildert wird. Bis dahin leben sie mit der Angst, ohne Essen, Strom und Menschenwürde leiden zu müssen, wenn sie irgend etwas tun, das den Jobcentern nicht in den Kram passt.