Sozialgericht: Derzeitige Hartz IV Regelsätze angeblich verfassungsgemäß

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Trotz Inflation: Hartz IV Sätze weiter verfassungsgemäß?

Das Sozialgericht Oldenburg hat (Aktenzeichen S 43 AS 1/22 ER) entschieden, dass trotz der stark gestiegenen Inflation in der 2. Jahreshälfte des Jahres 2021 die Regelsätze nach dem SGB II (Hartz IV) weiterhin als verfassungsgemäß angesehen werden können. Von Seiten der Sozialberatung wurde starke Kritik geäußert. Es sei ein “reines Durchwinken der bestehenden Rechtslage”.

Der verhandelte Fall

In dem Verfahren wandte sich die von einem Rechtsanwalt vertretene fünfköpfige Familie aus Delmenhorst, die im ergänzenden Leistungsbezug nach dem SGB II steht, an das Sozialgericht und beantragte im Wege der einstweiligen Anordnung, die Regelbedarfe ab 01.01.2022 unter Berücksichtigung einer Inflationsrate von 5 % ab 2022 anzupassen.

Das Jobcenter hatte zuvor entsprechend den geltenden gesetzlichen Regelungen den Regelbedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft zum Neujahr 2022 von 1841 auf 1857 € erhöht.

Familie kann Lebenshaltungskosten durch Inflation nicht abdecken

Diese Erhöhung hielten die Antragsteller für zu gering und verfassungswidrig und machten geltend, dass die Familie nicht mehr in der Lage sei, die aufgrund der erheblichen Inflation in den letzten 6 Monaten stark gestiegenen Lebenshaltungskosten mit den Leistungen des Jobcenters abzudecken.

Zur Begründung ihrer Auffassung, dass die Bemessung der Regelsätze ab 2022 verfassungswidrig sei, bezogen die Antragsteller sich auf ein Gutachten einer Professorin der Fachhochschule Darmstadt.

Sozialgericht lehnt Klage ab

Mit dem genannten Beschluss hat die 43. Kammer des Sozialgerichts Oldenburg es abgelehnt, die Regelbedarfe der Familie ab 2022 wegen der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfssätze anzuheben.

Nach den Ausführungen des Gerichtes seien die Regelsätze nach dem SGB II auch zum Neujahr 2022 unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Vorschriften ordnungsgemäß angepasst worden.

Diese Fortschreibung erfolge nach den gesetzlichen Vorschriften anhand eines Mischindexes, der sich zu 70 % aus der Preisentwicklung und zu 30 % aus der Nettolohnentwicklung zusammensetze. Dabei sei für die Preisentwicklung nur auf die Preisentwicklung der regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen abzustellen.

Für 2022 sei die Steigerung der Regelbedarfssätze nach den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften so zu berechnen, dass die Erhöhung der Preise und Nettolöhne in der Zeit von Juli 2020 bis Juni 2021 gegenüber dem Jahr 2019 zugrunde zu legen sei.

Die Entwicklung in der 2. Jahreshälfte 2021 bliebe aufgrund dieses Berechnungsmodus unberücksichtigt. Diese Art der Fortschreibung der Regelsätze sei vom Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit als verfassungsgemäß angesehen worden.

“Mit dieser gesetzlichen Regelung habe der Gesetzgeber einen Gestaltungs- und Bewertungsspielraum ausgenutzt, der nur beschränkt einer materiellen Kontrolle unterliege. Diese materielle Kontrolle beschränke sich darauf festzustellen, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Dieses sei gegenwärtig jedoch nicht feststellbar”, so das Gericht in seiner Entscheidung.

Zwar dürfe der Gesetzgeber bei der Bemessung der Regelsätze im Falle einer unvermittelt auftretenden, extremen Preissteigerung, die zu einer existenzgefährdenden Unterdeckung durch die Regelbedarfssätze führe, nicht auf die nächste reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten, führte das Gericht fort.

Nicht zwingend eine Bedarfsunterdeckung erkennbar

Insoweit sei aber noch nicht absehbar, ob der Gesetzgeber – wie im Jahr 2021 durch die corona-bedingten Sonderzahlungen – im Jahr 2022 auf einen erhöhten Bedarf der Leistungsbezieher reagieren werde. Zudem könne aus einer durchschnittlichen Inflationsrate in den letzten 6 Monaten von 3,9 % nicht zwingend auf eine Bedarfsunterdeckung der Antragsteller geschlossen werden.

Maßgebend für die Berücksichtigung der Preisentwicklung im Rahmen der Bemessung der Sätze nach dem SGB II seien nämlich nur die regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen, nicht aber die allgemeine Preissteigerung. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein wesentlicher Teil der Inflation auf einer Steigerung von Energiekosten beruht habe.

Höhere Energiekosten wurden nicht dargelegt

Dass gerade die Antragsteller im vorliegenden Verfahren dadurch konkret höhere Energiekosten zu tragen hätten, hätten die Antragsteller im Verfahren jedoch nicht dargelegt. Auch sonstige konkrete Bedarfsunterdeckungen hätten die Antragsteller nicht hinreichend dargelegt. Der weitere Weg zum Landessozialgericht blieb verschlossen: “Die Entscheidung des Sozialrechts Oldenburg ist rechtskräftig”.

Kritik und Einschätzung der Entscheidung

Heftige Kritik an dieser Entscheidung äußerte die Sozialberatung Tacheles in Wuppertal. “Die Entscheidung des Sozialgerichts Oldenburg sei ein reines Durchwinken der bestehenden Rechtslage. “Ansonsten hätten sich laut Ansicht des Gerichts im Wesentlichen die höheren Energiekosten preissteigernd ausgewirkt und sonstige „konkrete Bedarfsunterdeckungen“ hätten die Antragsteller nicht hinreichend dargelegt.”

Damit habe aber das Sozialgericht aber auch aufgezeigt, wie es gehen kann: man errechne die Differenz zwischen den Energiekosten im RS (36,43 € für eine Alleinstehende Person) und den tatsächlichen Kosten, d.h. den Stromkosten des letzten oder diesen Jahres. “Diese Kosten können dann als laufender, unabweisbarer Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II geltend gemacht werden.”