Bundesverfassungsgericht: Diese Hartz IV Sanktionen sind teilweise verfassungswidrig! – Liveticker vor Ort | Gegen-Hartz.de

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Live vor Ort: Bundesverfassungsgericht zu den Hartz IV Sanktionen

Das Bundesverfassungsgericht urteilte heute, dass die Sanktionen bei Hartz IV in Teilen gegen das Grundgesetz verstoรŸen. Die Urteilsbegrรผndung ist nunmehr beendet. Bei Gegen-Hartz.de ist ein Liveticker geschaltet, um als erstes zu erfahren, welche Begrรผndungen angefรผhrt werden.

Hier: Aktualisieren

+++13:16+++
Eine erste Einschรคtzung zum Urteil sowie Stimmen aus Politik und Aktivisten findet ihr hier. Damit verabschieden wir uns hier aus dem Liveticker!

+++12:20+++
Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kรผndigte nun an, dass die SPD zรผgig mit der Union verhandeln wolle. “Das Grundsatzurteil erfordere eine Weiterentwicklung des Sozialstaates”.

+++11:55+++
Die Urteilsbegrรผndung ist seit 10 Minuten zuende. Kurz und Knapp: Kรผrzungen der Miete und Sanktionen รผber 30 Prozent sind nicht mit der Verfassung vereinbar. Vollsanktionen sind nicht mehr mรถglich. Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will sich in einem ersten Statement nicht dazu festlegen, wann eine รœbergangsregelung geschaffen wird.

Was bedeutet das Urteil fรผr die Zukunft?

+++11:40+++
Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert, die Gesetzeslage verfassungskonform zu gestalten. Das dauert in der Regel eine Zeit lang. Bis dahin mรผssen die Jobcenter “auรŸergewรถhnliche Hรคrten” berรผcksichtigen. Leistungskรผrzungen dรผrfen nur noch bis 30 Prozent erfolgen. Die Sanktionen gegen Leistungsberechtigte unter 25 Jahre dรผrfen weiterhin hรคrter sanktioniert werden. Die Sanktionsregeln bei U25 waren nicht Gegenstand des Verfahrens!

+++11:22+++
Kรผrzungen der Leistungen von mehr als 30 Prozent sind nicht zumutbar. Im Grundsatz bleibt es bei den Sanktionen. Nur Kรผrzungen รผber 30 Prozent verstoรŸen laut Gericht gegen die Verfassung. Sanktionen darรผber (60 und 100 Prozent) bedeuten eine gravierende Belastung der Betroffenen. Studien kรถnnen darรผberhinaus nicht belegen, dass Sanktionen ihren Sinn erfรผllen.

+++11:08+++
Nach Ansicht der Richter und nach den dargelegten Fakten fรผhren Hartz 4 Sanktionen nur selten dazu, dass sich Leistungsberechtigte einem Job nachgehen. Dargelegt wurden ausfรผhrlich negative Effekte durch Sanktionen. Positive fehlen.

+++11:03+++
Wie bereits berichtet, sind nicht Gegenstand des Urteils die Sanktionen bei Meldeversรคumnisse und verschรคrften Sanktionen gegen junge Menschen unter 25 Jahre (U25). Dabei wird mehrheitlich wegen versรคumten Terminen im Jobcenter sanktioniert. Das berichten teilweise die Medien falsch.

+++10:57 Uhr+++
In der Urteilsbegrรผndung wird wird positiv auf die eingereichten Beitrรคge der Sozialverbรคnde Bezug genommen. Die Richter stรผtzen in vielen Teilen ihr Urteil auf die Untersuchungen und Expertisen der Verbรคnde. Insbesondere wird auch auf Tacheles e.V. Bezug genommen. Die Sinnhaftigkeit steht deutlich zur Disposition!

+++10:50+++
Die Richter stellen im Grundsatz infrage, ob die Sanktionen ihr Ziel, die Integration auf den Arbeitsmarkt, รผberhaupt erreichen. Hartz IV Beziehenden mรผsse die Gelegenheit gegeben werden, ihr eigenes Verhalten selbst abzuwenden und Sanktionen dadurch zu verhindern. Es sei auch Verfassungswidrig Anforderungen an Leistungsbezieher zustellen, die nicht erfรผllt werden kรถnnen. Der vรถllige Wegfall des Regelsatzes (100 Prozent Sanktion) ist nach derzeitigem Erkenntnisstand mit den verfassungsrechtlichen MaรŸgaben nicht vereinbar.

+++ 10:38 +++

Die Sanktionen verstoรŸen zum Teil gegen die Verfassung!

Die Sanktionen verstoรŸen zum Teil gegen die Verfassung, sagt soeben der Vizeprรคsident am Bundesverfassungsgericht, Stephan Harbarth. Sanktionen bis zu 30 Prozent sollen weiterhin mรถglich sein. Abzรผge zur Strafe um 60 und 100 Prozent wรผrden gegen das Grundgesetz verstoรŸen (AZ: 1 BvL 7/16).

+++ 10:28 +++
Die Sanktionen widerprechen zum Teil der Verfassung, sagen gerade die Richter. Noch ist die Urteilbegrรผndung nicht abgeschlossen.

+++10:21+++
Die obersten Verfasssungsrichter verlesen gerade die Begrรผndung. Die Hรถhe der Sanktionen ist derzeit Thema sowie die Verbindung zum Artikel 1 des Grundgesetzes.

+++10:07+++
Die Verhandlung beginnt. Die Richter rufen erst alle Beteiligten auf.

+++10:00+++

Verhandlung beginnt

In wenigen Minuten beginnt die Verhandlung. Im Vorfeld macht die Co-Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, deutlich, dass das Urteil den politischen Kampf gegen die Sanktionen nicht ersetzt. So sagte sie: “In der Verhandlung gab es viele kritische Fragen zu Hartz 4 Sanktionen. Wir wissen noch nicht, wie sich die kritischen Stimmen beim Bundesverfassungsgericht durchgesetzt haben. Auf jeden Fall ersetzt das Urteil nicht den Kampf fรผr politische Mehrheiten fรผr Sanktionsfreiheit.”

+++09:18 Uhr+++

Spitzenpolitiker treffen ein

Die Co-Chefin der Linken ist soeben eingetroffen. Auch die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin und Gegnerin des Hartz IV-Sanktionssystems, Inge Hannemann ist vor Ort. Einige Vertreter von Erwerbslosengruppen bauen erste Proteststรคnde auf, um auch vor dem Gebรคude dem Protest Ausdruck zu verleihen.

+++09:00 Uhr+++
Susanne Bรถhme ist die Anwรคltin des Klรคgers, der den Fall vor das Bundesverfassungsgericht mit der Vorlage des Sozialgerichts Gotha gebracht hatte. Ihr Mandant kommt aus Erfurt. “Die Betroffenen geraten in eine Abwรคrtsspirale aus Resignation und Existenzangst”, sagt sie vor Beginn der Verhandlung. Ihr Mandant hatte eine Stelle als Lagerarbeiter abgelehnt, weil er einen Arbeitsplatz im Verkauf favorisierte. Als er zur Probe arbeiten sollte, lieรŸ der Klรคger den Gutschein verfallen. Daraufhin sanktionierte das Jobcenter und kรผrzte die Leistungen. “Das ist verfassungswidrig”, so die Anwรคltin.

+++08.32 Uhr+++
Erste Medienvertreter haben vor dem Karlsruher Verfassungsgericht Stellung bezogen. Es haben sich auch verschiedene Vertreter von Erwerbslosengruppen angekรผndigt. Die Verhandlung beginnt um 10:00 Uhr. Im Morgenmagazin wird behauptet, dass bei einem Wegfall der Sanktionen ein bedingsloses Grundeinkommen entstehen wรผrde. Das ist falsch: Es wรผrde lediglich das Existenzminimum gewahrt. Aber auch die Berechnung der Hartz IV Regelsรคtze sind verfassungsrechtlich bedenklich.

Bundesverfassungsgericht
Noch ist nicht viel los vor dem Bundesverfassungsgericht..

Stรคndige Androhungen von Strafen

Im Januar diesen Jahres begannen die Verhandlung zu den Sanktionen bei Hartz IV. Leistungsbezieher sind in stรคndiger Angst, weil sie befรผrchten mรผssen, gegen die Regeln des Jobcenters zu verstoรŸen. Wer sanktioniert wird, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Es reicht, wenn ein Termin im Jobcenter nicht wahrgenommen, oder ein Arbeitsangebot nicht angenommen wird. In jedem Schreiben wird eine Kรผrzung des sowieso schon kargen Regelsatzes per Belehrung angedroht.

Sanktionen fรผhren zur Unterschreitung des Existenzminimums

Die Leistungen im SGB II sollen eigentlich dafรผr sorgen, dass Betroffene nicht unter das im Grundgesetz verbriefte Existenzminimum fallen. Doch wenn der Regelsatz “zur Strafe” mindestens 3 Monate gekรผrzt wird, kann es schnell passieren, dass eben jenes Grundrecht missachtet wird. Plรถtzlich werden Menschen, die teilweise Jahrzehntelang gearbeitet haben, wie unmรผndige Kinder behandelt, die man nach den alten Regeln der “schwarzen Pรคdagogik” bestrafen mรผsse, wenn sie dem “erzieherischen Anspruch” des Jobcenters nicht genรผgen. War man zuvor ein mรผndiger Mensch, ist es, als hรคtte man keinen Wert fรผr die Gesellschaft.

Unter 10 Prozent der Leistungsbezieher wurden sanktioniert

Weniger als 10 Prozent der Leistungsberechtigten sind oder waren von Sanktionen betroffen. Der Regelsatz kann um 10,30,60 und sogar um 100 Prozent gestrichen werden. Selbst die Miete kann laut derzeit herrschender Gesetzgebung gestrichen werden. Und dann ist es nur noch ein Fussschritt weit in die Obdachlosigkeit.

Etwa 3,8 Millionen Menschen beziehen derzeit Leistungen nach dem SGB II. Lรคngst nicht alle sind voll erwerbslos. Entweder befinden sich die Menschen in sogenannten MaรŸnahmen, die oftmals sinnlos sind, oder die Arbeit beispielsweise in der Leiharbeit wird so schlecht bezahlt, dass sie sich und ihre Familie nicht ernรคhren kรถnnen.

Oftmals wird vergessen, wie schmerzvoll es ist, wenn der karge Hartz IV-Regelsatz gekรผrzt wird. Alleinstehenden steht derzeit ein Regelbedarf von genau 424 Euro im Monat zu. ย Kinder zwischen 6 und 12 Jahren bekommen gerade einmal 302 Euro. Erwerbslosengruppe, Sozialverbรคnde, Sozialrechtsexperten, Parteien im Bundestag und Kirchen fordern schon lange deutliche Erhรถhungen. So forderte der paritรคtische Wohlfahrtsverband einen Anstieg von mindestens 37 Prozent.

Wie kam es zu der Verhandlung?

Oft haben Hartz IV Beziehende um die Sanktionen gestritten. Endlich dann im Jahre 2015 bestรคtigte das Sozialgericht Gotha verfassungsrechtliche Bedenken und reichte eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht ein. Diese wurde wegen formalen Grรผnden abgelehnt. Doch die obersten Verfassungshรผter ermutigten das Sozialgericht es erneut zu versuchen. In der Urteilsbegrรผndung lieรŸ das Verfassungsgericht verlautbaren, dass das Urteil aus Gotha โ€œinteressante rechtliche Fragen aufwarf.โ€ Danach versuchte es das Sozialgericht erneut und die Klage wurde angenommen. Seit Januar 2019 geht das Gericht in Karlsruhe nun der Frage nach, ob ein Teil der Sanktionen gegen Grundrechte der Bรผrger verstรถรŸt. Dabei wurden auch Sozialberatungsstellen wie Tacheles angehรถrt.

Anders als in allen anderen Medien berichtet, steht jedoch nicht gesamte Sanktionssystem zur Disposition. Demnach ist auch keine grundsรคtzliche Entscheidung zu den Leistungskรผrzungen zu erwarten.

Welche Sanktionen stehen zur Disposition

Insbesondere beschรคftigt sich das Verfassungsgericht mit den Sanktionen bei sogenannten Pflichtverletzungen nach ยง31 im SGB II. Pflichtverletzungen entstehen bei VerstรถรŸen des Leistungsberechtigten, die in den sog. Eingliederungsvereinbarungen fixiert wurden. Zum Beispiel, wenn sich Leistungsempfรคnger weigern eine Arbeit, Ausbildung oder eine MaรŸnahme anzutreten oder abbrechen. Zudem gilt als Pflichtverletzung ein unwirtschaftliches Verhalten oder ein absichtlich herbeigefรผhrtes Verhalten, dass eine Hilfebedรผrftigkeit bedingt.

Keine Entscheidung bei MeldeverstรถรŸen

Damit steht nicht das gesamte Hartz-IV Sanktionssystem in Frage, denn Strafen bei Meldeversรคumnissen werden nicht verhandelt. Diese aber machen rund drei Viertel aller Sanktionen aus. Es kommt allerdings darauf an, wie das Bundesverfassungsgericht urteilen wird. Demnach kann das Urteil auch Auswirkungen auf das Strafen bei anderen “Pflichtverletzungen” haben.

Besonders harte Sanktionen gegen unter 25jรคhrige

Auch soll รผber die Sanktionen gegen unter 25jรคhrige Leistungsbezieher (U25) verhandelt werden. Hier gelten besonders scharfe Regeln. Jungen Leistungsbeziehern kann der ALG II-Regelsatz gleich nach der ersten Pflichtverletzung um 100 Prozent gekรผrzt werden. Bei รผber 25jรคhrigen werden โ€œerstโ€ nach dem 3 Vergehen die Leistungen auf Null gekรผrzt. Lediglich die Unterkunftskosten werden weiterhin vom Jobcenter รผbernommen (ยง 31 Abs. 3 S.3 SGB II).

Junge Menschen werden schneller und hรคrter bestraft

Auswertungen der Bundesagentur fรผr Arbeit zeigten, dass Betroffene unter 25 nicht nur sehr viel stรคrker, sondern auch wesentlich hรคufiger sanktioniert werden. Im Mai 2019 lag die Sanktionsquote bei โ€œU25โ€ bei etwa 9 Prozent. Bei รผber 25jรคhrigen lag hingegen die Quote bei 4,2 Prozent. Somit zeigt sich, dass junge Menschen faktisch doppelt so hรคufig von Sanktionen betroffen sind. Die Kรผrzungen bei U25 lagen durchschnittlich bei monatlich bei 132 EUR, bei รœ25 bei rund 110 Euro im Monat.