Warum Hartz IV Verfassungswidrig ist

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Begrรผndung der Verfassungswidrigkeit von Einschrรคnkungen des Existenzminimums durch das Zweite Sozialgesetzbuch (Sanktionen nach ยง 31 SGB-II) auf Basis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Dipl.-Ing. Ulrich Engelke

Vorbemerkungen: Fรผr die Richtigkeit und fรผr Folgen aus der Anwendung dieses Manuskripts wird keinerlei Gewรคhrleistung bzw. Haftung รผbernommen. Die Verwendung erfolgt ausschlieรŸlich auf eigene Verantwortung. Der Verfasser beansprucht ausdrรผcklich keine Urheberrechte.

Im ersten Leitsatz des Urteils des BVerfG wird ein Grundrecht auf ein Existenzminimum definiert. Man muss jedoch feststellen, dass diese neue Grundrechtsdefinition bisher nur sehr selten wahrgenommen wird. In der Gesellschaft ist sie lรคngst noch nicht angekommen. Von den herrschen politischen Krรคften wird sie nicht nur ignoriert, sondern gezielt hintertrieben. Vor allen Dingen wird durch die massive Verhetzung von Hilfebedรผrftigen ein breiter gesellschaftlicher Konsens gegen die Umsetzung in die Sozialgesetzgebung erzeugt. Beispiele fรผr Verhetzungskampagnen sind Westerwelles ร„uรŸerungen รผber โ€žspรคtrรถmische Dekadenzโ€œ und die perfekt unterschwellig wirkende und meisterhafte Formulierung der Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel, die immer mal wieder von โ€žArbeitsanreizenโ€œ spricht.

Das hat Methode, denn Sanktionen erzeugen Druck auf den โ€žArbeitsmarktโ€œ, machen Lohnabhรคngige gefรผgig und schwรคchen unsere Gewerkschaften. Auch deswegen ist Deutschland Lohndumpingweltmeister. Die Arbeitnehmer in Deutschland haben Angst davor selbst in Hartz-IV zu geraten und trotzdem sind viele fรผr Sanktionen. Die Verhetzung hat die Gesellschaft bereits gespalten und vernichtet das Gefรผhl fรผreinander. Man sieht nicht hin, wenn Mitbรผrger unter Zwang und Zwangsarbeit leiden mรผssen oder wenn etliche die Wohnungen verloren haben und auf der StraรŸe leben mรผssen. Dies betrifft vor allen Dingen Jugendliche.

Die Menschenverรคchter sind gnadenlos. Es geht um Profit. Vielleicht ist es aber auch die pure Lust an der Vernichtung von Existenzen – dies alles im Gegensatz zur Verpflichtung des Staates, fรผr das neu definierte Grundrecht einer materiellen Existenzsicherung aktiv und vorauseilend zu sorgen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird beschรคdigt. Das ungehemmte Aufblรผhen der Hetzkampagnen nach dem Urteil zeigt, dass Vorsatz besteht. Die Herrschenden sind sich der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen sehr wohl bewuรŸt. Sie bilden eine eingeschworene Mafia mit den Profiteuren.

Begrรผndung der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen nach SGB-II:

Mit Beschluss vom 09. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Bemessung der Regelsรคtze fรผr Hilfebedรผrftige nicht den grundgesetzlichen Ansprรผchen genรผgt.

Zitat aus dem Urteilsspruch:

1. ยง 20 Absatz 2 1. Halbsatz und Absatz 3 Satz 1, ยง 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 1. Alternative, jeweils in Verbindung mit ยง 20 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Vierten Gesetzes fรผr moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (Bundesgesetzblatt I Seite 2954), ยง 20 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Gesetzes zur ร„nderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. Mรคrz 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 558), ยง 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 1. Alternative in Verbindung mit ยง 74 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung von Beschรคftigung und Stabilitรคt in Deutschland vom 2. Mรคrz 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 416), jeweils in Verbindung mit ยง 20 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung fรผr Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 1706), sowie die Bekanntmachungen รผber die Hรถhe der Regelleistung nach ยง 20 Absatz 2 und ยง 20 Absatz 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch vom 1. September 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 2718), vom 20. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 1702), vom 18. Juni 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 1139), vom 26. Juni 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 1102) und vom 17. Juni 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 1342) sind mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar.

Das BVerfG hat weiterhin festgelegt, wie die Ansprรผche Hilfebedรผrftiger zu ermitteln sind. Zitat des dritten Leitsatzes:

Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitรคtsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlรคsslicher Zahlen und schlรผssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.

Im weitgehender gesellschaftlicher รœbereinstimmung wird das Urteil des BVerfG vorwiegend so aufgefaรŸt, als wรคre ausschlieรŸlich รผber die Hรถhe des Regelsatzes fรผr Hilfebedรผrftige entschieden worden. Dem steht jedoch gegenรผber, dass die Festlegung der Hรถhe grundsรคtzlich nur dann durch das BVerfG mรถglich ist, wenn grundgesetzliche Ansprรผche auf die Hilfe bestehen. Denn ohne eine Verpflichtung zur Existenzsicherung wรผrde es sich um eine freiwillige Leistung der Bundesrepublik Deutschland fรผr seine hilfebedรผrftigen Bรผrger handeln. Darรผber hรคtte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu befinden. Das Bundesverfassungsgericht hat den grundgesetzlichen Anspruch auf das Existenzminimum in seinem Urteil umfรคnglich begrรผndet. Er wird in den vier Leitsรคtzen des Urteils den Bemessungskriterien vorangestellt. Zuerst der Anspruch, dann die Festlegung der Hรถhe. Das ist die Konsistenz des Urteils.

Der erste Leitsatz beschreibt den allgemeinen Anspruch (auf ein menschenwรผrdiges Existenzminimum) und formuliert ein Grundrecht. Die Ausfรผhrungen des BVerfG beim ersten Leitsatz sind eindeutig und bedรผrfen keiner Kommentierung

Zitat 1. Leitsatz:

Das Grundrecht auf Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedรผrftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die fรผr seine physische Existenz und fรผr ein MindestmaรŸ an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlรคsslich sind.

Im zweiten Leitsatz werden Spezifikationen der Ausgestaltung des Existenzminimums aufgefรผhrt.

Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewรคhrleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Wรผrde jedes Einzelnen eigenstรคndige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfรผgbar und muss eingelรถst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

Die Spezifikationen des zweiten Leitsatzes zum Grundrecht sind im Einzelnen auflรถsbar:

1. Auf das Grundrecht besteht ein absoluter Anspruch. Es ist daher nicht einschrรคnkbar. Sanktionen, durch ยง 31 im SGB-II formuliert, werden durch den absoluten Anspruch ausgeschlossen und praktisch verboten.

2. Der Anspruch wird nochmals bekrรคftigt. Er ist โ€žunverfรผgbar und muss eingelรถst werdenโ€œ. Er ist daher nicht einschrรคnkbar und die Existenzsicherung muss gewรคhrleistet sein. Ausnahmen sind grundsรคtzlich ausgeschlossen.

3. Das Grundrecht wird vom Gesetzgeber konkretisiert. Er hat es gemรครŸ der im dritten Leitsatz genannten und oben bereits aufgefรผhrten Spezifikationen transparent zu bestimmen.

4. Es ist stetig zu aktualisieren. Grรผnde kรถnnten Preiserhรถhungen oder sich allgemein hรถhere Lebensstandards in der Gesellschaft auch mit neueren technischen und allgemein โ€žbreit” verwendeten Entwicklungen (bestehende Lebensbedingungen) sein. Dann wรคre der Regelsatz in der Hรถhe entsprechend anzupassen.

5. Der Gesetzgeber besitzt einen Gestaltungsspielraum. Dieser Spielraum darf aber nicht so verstanden werden, dass dadurch eine rechtliche ร–ffnung fรผr Sanktionsmรถglichkeiten erfolgt. Dagegen sprechen zwei Grรผnde. Erstens setzt der erste Leitsatz eine (absolute) Haltelinie dagegen und zweitens wird unter Randziffer 133 explizit zum Gestaltungsspielraum klargestellt, dass er sich ausschlieรŸlich auf eine allgemeine Spezifikation bezieht, vergl. Kommentierung von Randziffer 133 weiter unten. Anm.: Ohne weitere Erlรคuterungen ist die Formulierung jedoch miรŸverstรคndlich.

Die Leitsรคtze stellen das Grundrecht auf ein Existenzminimum zusammenfassend an den Anfang. In der Begrรผndung des Urteils wird zum Anspruch dann rechtlich umfassender ausgefรผhrt. Die Texte der ersten beiden Leitsรคtze sind erkennbar (zusammenfassend verkรผrzter) Bestandteil der Begrรผndungen unter Randziffer 133.

Zitat Randziffer 133
Das Grundrecht auf Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 40, 121 <133>; 45, 187 <228>; 82, 60 <85>; 113, 88 <108 f.>; Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. -, juris, Rn. 259). Art. 1 Abs. 1 GG begrรผndet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwรผrdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Hรถhe des Existenzminimums verbunden sind (vgl. BVerfGE 35, 202 <236>; 45, 376 <387>; 100, 271 <284>). Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewรคhrleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Wรผrde jedes Einzelnen eigenstรคndige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfรผgbar und muss eingelรถst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

Unter Randziffer 133 wird direkt ausgefรผhrt, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sich auf die unausweichlichen Wertungen bezieht, die mit der Bestimmung der Hรถhe des Existenzminimums verbunden sind und allgemeingรผltig fรผr sรคmtliche Hilfebedรผrftige gelten.

Zitat aus Randziffer 133 zum Gestaltungsspielraum:
Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwรผrdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Hรถhe des Existenzminimums verbunden sind.

Diese Festlegung schlieรŸt damit eine willkรผrlich auf den Einzelnen bezogene Unterdeckung aus und bestรคtigt die oben vorgetragene Kommentierung der Leitsรคtze, dass der freie Gestaltungsraum fรผr Sanktionen nicht nutzbar ist. Wertungen sind beispielsweise die genaue Festlegung der Teilhabemรถglichkeiten, die Ausstattung der Wohnung, Anspruch auf รผbliche technische Gerรคte usw.. Anm.: Das Bundesverfassungsgericht hat keinen Katalog aller Mindestansprรผche aufgestellt. Auch wenn der Gesetzgeber einen freien Gestaltungsspielraum besitzt, bleibt er doch an die Gewรคhrleistung des Existenzminimums (Grundrecht) gebunden. Dies schlieรŸt beispielsweise auch eine Teilhabe am kulturellen Leben usw. ein und beschrรคnkt sich nicht auf das ausschlieรŸlich Physische.

In der vorliegenden Berechnung des Regelsatzes ist eine freiwillige Leistung jedoch nicht zu erkennen. Die Leistungen sind so niedrig angesetzt, dass man annehmen kann, dass hรถchstens das grundgesetzliche MindestmaรŸ erfรผllt ist. Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht – denn einige Sozialgerichte sind der Auffassung, die Regelsรคtze seien zu niedrig bemessen – sind anhรคngig. Im รผbrigen mรผรŸte zur Ausschรถpfung eines eventuellen Sanktionsspielraumes eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers in der Berechnung des Regelsatzes ausgewiesen sein. Ein Sanktionsspielraum ist jedoch durch das Fehlen der Definition der freiwilligen Leistung nicht bestimmt. Mit der Begrรผndung des Gestaltungspielraumes zu sanktionieren, wรคre deshalb verfassungsrechtlich nicht mรถglich. Gegebenenfalls wรคre es verfassungsrechtlich zu รผberprรผfen.

Das Bundesverfassungsgericht stellt an die Zahlung von Leistungen an Hilfebedรผrftige bestimmte Bedingungen. Sie besitzen dann unabweisliche Ansprรผche, wenn keine Mittel aus Erwerbstรคtigkeit oder Vermรถgen vorhanden sind und keine Zuwendungen Dritter erfolgen.

Zitat Randziffer 134:
a) Art. 1 Abs. 1 GG erklรคrt die Wรผrde des Menschen fรผr unantastbar und verpflichtet alle staatliche
Gewalt, sie zu achten und zu schรผtzen (vgl. BVerfGE 1, 97 <104>; 115, 118 <152>). Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwรผrde auch positiv schรผtzen (vgl. BVerfGE 107, 275 <284>; 109, 279 <310>). Wenn einem Menschen die zur Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstรคtigkeit, noch aus eigenem Vermรถgen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwรผrde und in Ausfรผllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafรผr Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafรผr dem Hilfebedรผrftigen zur Verfรผgung stehen. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtstrรคgers, da das Grundrecht die Wรผrde jedes individuellen Menschen schรผtzt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>) und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstรผtzung gesichert werden kann.

Kommentierung von Randziffer 134:

Allgemeines

In der Begrรผndung wird ausgefรผhrt, dass der Gesetzgeber die Menschenwรผrde โ€žpositivโ€œ zu
schรผtzen hat. Er ist verpflichtet, dafรผr zu sorgen, dass Hilfebedรผrftige รผber die materiellen Existenzgrundlagen verfรผgen. Dieser Verpflichtung ist die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht nachgekommen, denn die Sanktionsmรถglichkeiten hรคtten weitestgehend aufgehoben werden mรผssen. Sanktionen sind nur in den Fรคllen mรถglich, bei denen das Existenzminimum รผberschritten ist, vergl. nachfolgende Kommentierung in den Punkten 2. bis 4..

Erwerbstรคtigkeit

Einkommen aus Erwerbstรคtigkeit werden bis auf die Freibetrรคge auf die Leistungen angerechnet. Sanktionierbar wรคren Freibetrรคge bei Erwerbstรคtigkeit, da sie รผber das Existenzminimum hinausgehen.

Vermรถgen

Vermรถgen รผber den geschรผtzten Bereich hinaus werden bereits mit Leistungszahlungen verrechnet. Es bliebe ein Zugriff auf das Restvermรถgen. Es wรคre jedoch verfassungsrechtlich zu prรผfen, ob dann Gleichheitsgrundsรคtze verletzt wรผrden. Eine bestimmte, individuell beispielsweise durch Wohneigentum noch weiter differenzierbare Menge, ist zur Sicherung persรถnlicher Lebensumstรคnde jedoch erforderlich. Es ist niemandem zumutbar, mit dem โ€žDamoklesschwertโ€œ eines finanziellen unvorhersehbaren Bedarfs zu leben. Es entspricht der Natur des Menschen, Sicherheiten aufzubauen. Die Wegnahme dieser Sicherheiten beeintrรคchtigt die grundgesetzlich geschรผtzte Wรผrde des Menschen und bedรผrfte der รœberprรผfung durch das Bundesverfassungsgericht. Im รผbrigen ist dieser Fall im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch nicht bestimmt. Eine Sanktion mit dem Verweis auf Vermรถgen wรคre wegen der Unbestimmtheit bereits daher verfassungsrechtlich bedenklich.

Zuwendungen Dritter

Zuwendungen Dritter kรถnnen nicht verfรผgt werden. Nur tatsรคchliche freiwillige Leistungen Dritter zum Lebensunterhalt kรถnnten verrechnet werden. Unter Randziffer 135 werden die Ansprรผche blockmรครŸig aufgeschlรผsselt Dies bezieht sich auf die Ermittlung der Hรถhe des Regelsatzes und nicht auf den Anspruch. Auf ein Zitat und einen Kommentar kann daher verzichtet werden.

Unter Randziffer 136 wird klargestellt, dass die Leistungen durch einen gesetzlichen Anspruch zu sichern sind. Auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter darf nicht verwiesen werden. Auch hier wird bestimmt, dass der Staat zur Sicherung des Existenzminimums verpflichtet ist.

Zitat Randziffer 136:
c) Die Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedรผrftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedรผrftigen gewรคhrleistet ist. Die verfassungsrechtliche Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Existenzminimums muss durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bรผrgers gegenรผber dem zustรคndigen Leistungstrรคger enthรคlt. Dies findet auch in weiteren verfassungsrechtlichen Grundsรคtzen seine Stรผtze. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die fรผr die Grundrechtsverwirklichung maรŸgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 108, 282 <311> m.w.N.). Dies gilt in besonderem MaรŸe, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwรผrde und der menschlichen Existenz geht (vgl. BVerfGE 33, 303 <337>; 40, 237 <249>). Zudem kann sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren (vgl. BVerfGE 59, 231 <263>). SchlieรŸlich ist die Begrรผndung von Geldleistungsansprรผchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen fรผr die รถffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen sind aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Dafรผr reicht das Haushaltsgesetz nicht aus, weil der Bรผrger aus ihm keine unmittelbaren Ansprรผche herleiten kann (vgl. BVerfGE 38, 121 <126>).

Unter Randziffer 137 erfolgt ein weiterer und der letzte Bezug auf den Anspruch eines Grundrechtstrรคgers
auf die Gewรคhrleistung des Existenzminimums durch den Staat. Es wird hier betont, dass stets der gesamte existenznotwendige Bedarf gedeckt sein muss. Zeitweilige Unterschreitungen durch Hartz IV Sanktionen werden auch durch diese Formulierung nochmals ausgeschlossen.

Zitat Randziffer 137:
Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtstrรคgers deckt (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>; 91, 93 <112>; 99, 246 <261>; 120, 125 <155 und 166>). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmรครŸigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitรคren Gestaltung verfassungswidrig.

Die Begrรผndung unter Randziffer 148 fรผhrt aus, dass das Existenzminimum durch den Regelsatz und weitere Leistungen dargestellt wird. Das Grundrecht wird materiell konkretisiert. Eine Unterdeckung von Regelsatz, Kosten der Unterkunft und weiterer zum Existenzminimum gehรถrender Leistungen ist in Verbindung mit den obigen Begrรผndungen nicht zulรคssig.

Zitat Randziffer 148:
a) Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts dient nach der Definition in ยง 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. beziehungsweise in ยง 20 Abs. 1 SGB II n.F. sowohl dazu, die physische Seite des Existenzminimums sicherzustellen, als auch dazu, dessen soziale Seite abzudecken, denn die Regelleistung umfasst in vertretbarem Umfang auch die Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Anderen von der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums umfassten Bedarfslagen wird im Sozialgesetzbuch Zweites Buch durch weitere Ansprรผche und Leistungen neben der Regelleistung Rechnung getragen. Die Absicherung gegen die Risiken von Krankheit und Pflegebedรผrftigkeit wird durch die Einbeziehung von Arbeitslosengeld II- und Sozialgeldempfรคngern in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung nach ยง 5 Abs. 1 Nr. 2a und ยง 10 SGB V, ยง 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a und ยง 25 SGB XI und die Leistungen zur freiwilligen bzw. privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach ยง 26 SGB II gewรคhrleistet. Besonderer Mehrbedarf wird zum Teil nach ยง 21 SGB II gedeckt. ยง 22 Abs. 1 SGB II stellt die รœbernahme angemessener Kosten fรผr Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher.

Zusammenfassung

– Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 09.02.2010 nicht nur รผber die Hรถhe der beklagten Regelsรคtze entschieden, sondern hat darรผber hinaus als Voraussetzung der Bestimmbarkeit der Regelsatzhรถhe ein neues Grundrecht auf die Gewรคhrleistung des Existenzminimums definiert.

– Die Bundesrepublik Deutschland hat โ€žpositivโ€œ, d. h. aktiv und vorauseilend in der Gesetzgebung dafรผr zu sorgen, dass jedem Hilfebedรผrftigen die materiellen Voraussetzungen fรผr ein Leben in Wรผrde stets gegeben sind. Einschrรคnkungen sind absolut ausgeschlossen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber bisher nicht nachgekommen. Eine neue Grundrechtsdefinition erteilt dem Gesetzgeber einen Auftrag auf die gesetzliche Ausformung.

– Grundrechte dรผrfen nach Artikel 19 Grundgesetz in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden. Die Sanktionsregelungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch steht im vรถlligen Gegensatz dazu. Auch nicht ansatzweise wird dem Grundrecht im Vollzug des SGB-II entsprochen. Auf eine weitere umfassende Begrรผndung der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen von Isabel Erdem und dem Bundesgerichtshofrichter a. D. Wolfgang Neskovic vom April 2012 in der Zeitschrift โ€žDie Sozalgerichtsbarkeitโ€œ wird verwiesen.

Links:
Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 zur Gewรคhrleistung des Existenzminimums

Begrรผndung der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen nach Isabel Erdem/Wolfgang Neskovic
(Wolfgang Neskovic ist Bundesgerichtshof-Richter a. D. und Justiziar der Bundestagsfraktion DIE LINKE.)

Direkte Stellungnahme im Wortlaut von Isabel Erdem/Wolfgang Neskovic zu Sanktionen

Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. zur Abschaffung von Sanktionen