Ein 62-Jähriger mit einem Grad der Behinderung von 80 und dem Merkzeichen G verlangte eine Rente wegen Erwerbsminderung. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg wies seine Berufung am 04.06.2025 zurück. (Az. L 2 R 411/25)
Nach mehreren medizinischen Gutachten könne er noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten. Der Schwerbehindertenausweis begründet keinen eigenen Rentenanspruch. Maßgeblich ist das verbliebene Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Inhaltsverzeichnis
Was für die EM-Rente rechtlich zählt
Die Rente wegen Erwerbsminderung richtet sich nach § 43 SGB VI. Voll erwerbsgemindert ist, wer auf nicht absehbare Zeit weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Teilweise erwerbsgemindert ist, wer drei bis unter sechs Stunden schafft.
Wer sechs Stunden oder mehr leistet, gilt rechtlich nicht als erwerbsgemindert. Zusätzlich müssen versicherungsrechtliche Voraussetzungen vorliegen: Wartezeit und Pflichtbeiträge. Diese Regeln gelten unabhängig von Diagnosen oder einem GdB.
GdB und Merkzeichen: andere Prüfmaßstäbe
Der GdB bewertet Beeinträchtigungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nach SGB IX. Die EM-Rente prüft die Arbeitsfähigkeit unter üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts. Ein hoher GdB oder das Merkzeichen G ersetzt daher keinen Nachweis einer Erwerbsminderung. Das Gericht betonte den Unterschied der Rechtsgebiete und verwies auf die gefestigte Rechtsprechung.
Für das Merkzeichen G gilt als Orientierungswert die ortsübliche Wegstrecke von rund zwei Kilometern in etwa 30 Minuten. Das ist jedoch eine andere Hürde als die rentenrechtliche Wegefähigkeit.
So begründete das Gericht die Ablehnung
Die Richter stützten sich auf einen Reha-Bericht und zwei unabhängige Gutachten. Diese attestierten dem Kläger ein Restleistungsvermögen von mindestens sechs Stunden für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Bestimmte Tätigkeiten sind unzumutbar, etwa schweres Heben, Überkopfarbeiten oder Nachtschichten.
Das ändert rechtlich nichts am Ergebnis, weil geeignete leichte Tätigkeiten verbleiben. Das Gericht sah keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und keine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die den Arbeitsmarkt faktisch verschließen würde.
Wegefähigkeit und Nutzung des Autos
Zur Erwerbsfähigkeit gehört, dass Betroffene ihren Arbeitsplatz erreichen können. Maßstab ist die Fähigkeit, viermal täglich 500 Meter in jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Wer ein eigenes Auto zumutbar nutzen kann, gilt in der Regel nicht als rentenrechtlich wegeunfähig. Der Kläger fuhr zu zwei Begutachtungen mit dem eigenen Pkw. Das sprach gegen eine rentenrelevante Einschränkung seiner Wegefähigkeit.
Beweismaß und Mitwirkung
Im EM-Rentenverfahren gilt der sogenannte Vollbeweis. Das Gericht benötigt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Erwerbsminderung. Gelingt dieser Nachweis nicht, trägt der Antragsteller das Risiko der Nichterweislichkeit. Subjektive Beschwerden genügen nicht.
Entscheidend sind objektive Befunde, Funktionsprüfungen und stimmige ärztliche Einschätzungen. Das LSG sah alle medizinischen Unterlagen als ausreichend und schlüssig an. Weitere Gutachten waren nicht erforderlich.
Einordnung für Betroffene
Das Urteil trennt klar zwischen Schwerbehindertenrecht und Rentenrecht. Ein GdB von 80 kann Alltag und Mobilität stark einschränken. Für die EM-Rente zählt dennoch, ob Sie unter üblichen Arbeitsmarktbedingungen noch mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig sind.
Wer das nicht ist, braucht belastbare medizinische Nachweise. Dazu gehören aktuelle Befundberichte, funktionelle Untersuchungen und konsistente Reha- bzw. Gutachtenbefunde. Ohne diese Grundlage bleibt der Antrag in der Regel erfolglos.
Wer dennoch Anspruch haben kann
Wer unter drei Stunden täglich arbeitsfähig ist, erfüllt die medizinische Voraussetzung für die volle EM-Rente. Bei drei bis unter sechs Stunden kommt eine teilweise EM-Rente in Betracht. Für vor dem 02.01.1961 geborene Versicherte existiert zudem die Sonderregelung der teilweisen EM-Rente bei Berufsunfähigkeit.
Jüngere Jahrgänge können sich hierauf nicht berufen. Zusätzlich prüft die Deutsche Rentenversicherung die versicherungsrechtlichen Kriterien.
Praktische Hinweise für Ihren Antrag
Bereiten Sie Ihren Antrag sorgfältig vor. Sammeln Sie aktuelle Befunde und Reha-Berichte. Bitten Sie Ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte um präzise Aussagen zum Leistungsbild. Beschreiben Sie, welche Tätigkeiten wie lange möglich sind und wo Grenzen liegen.
Nehmen Sie an Untersuchungen kooperativ teil und halten Sie Therapieempfehlungen ein. Weisen Sie auf Verschlechterungen mit neuen Befunden hin. Dokumentieren Sie Wege- und Belastbarkeit im Alltag. So erhöhen Sie die Chance, das geforderte Beweismaß zu erreichen.




