Sanktionen und Strafen im Bürgergeld

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Sanktionen kann das Jobcenter gegen Bürgergeld-Beziehende dann verhängen, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt. Pflichten ergeben sich überwiegend aus dem sogenannten Kooperationsplan, der seit dem 01. Juli 2023 die ehemalige Eingliederungsvereinbarung abgelöst hat. In dem Plan, den die Leistungsbeziehenden unterschreiben, werden Ziele für die Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt festgelegt. Der häufigste Grund für Sanktionen sind Meldeversäumnisse.

Was sind Bürgergeld-Sanktionen?

Sanktionen sind sogenannte Strafmaßnahmen, die das Jobcenter verhängt, wenn Bürgergeld-Leistungsbeziehende angebliche Pflichtverstöße begehen. Seit Einführung des Bürgergeldes werden Sanktionen seitens der Jobcenter “Leistungsminderungen” genannt. Die häufigsten Gründe für Sanktionen sind:

  • Meldeversäumnisse, wenn Pflichttermine beim Jobcenter nicht wahrgenommen werden.
  • Weigerung eine zumutbare Arbeit anzutreten.
  • Mangelnde Mitwirkung bei der Stellensuche.

Sanktionen werden in Form von Leistungskürzungen verhängt. Die Höhe der Kürzung ist abhängig von der Anzahl der Pflichtverletzungen innerhalb von 12 Monaten. Der Regelsatz der Person, die die Pflicht verletzt hat, wird dabei um 10 bis 30 Prozent verringert. Das Jobcenter wendet für die Sanktionen folgendes Prinzip an:

  • 1. Pflichtverletzung: Der jeweilige Bürgergeld-Regelsatz wird einen Monat lang um 10 % verringert.
  • 2. Pflichtverletzung: Der Regelsatz wird zwei Monate lang um 20 % gekürzt.
  • 3. Pflichtverletzung sowie jede weitere: Der Regelsatz wird drei Monate lang um 30 % gekürzt.
  • Kommt es 12 Monate lang zu keiner Pflichtverletzung wird die nächste Pflichtverletzung wieder so behandelt, als sei es die erste, also mit einer Leistungsminderung des Regelsatzes um 10 %.

Wann werden Bürgergeld-Sanktionen wirksam?

Eine Minderung tritt in dem Folgemonat nach der Auslieferung des Minderungsbescheids in Kraft. Wurden Sie beispielsweise am 10. August schriftlich über eine Minderung informiert, werden die Kürzungen zum 1. September wirksam.

Sanktionen bei Hartz IV

Im Gegensatz zu den Hartz-IV-Regelungen wurden die Sanktionen beim Bürgergeld deutlich abgemildert. Beim Arbeitslosengeld II konnte das Jobcenter bei mehrmaligen Verstößen noch Leistungskürzungen bis zu 100 % des Regelsatzes ansetzen. Zahlreiche Rechtswissenschaftler und Kritiker haben bezweifelt, ob die Sanktionen bei Hartz IV verfassungskonform waren. Immer wieder kam es in diesem Zusammenhang zu Verfassungsklagen. Sozialverbände, Politiker und Erwerbsloseninitiativen kritisierten die Sanktionierungspraxis der Jobcenter bereits seit Langem und forderten die Abschaffung der Leistungskürzungen.

Wann liegt eine Pflichtverletzung vor?

Wann eine Pflichtverletzung vorliegt, wird im § 31 SGB II definiert. Demnach verletzten Menschen, die Bürgergeld beziehen, ihre Pflichten unter folgenden Gegebenheiten:

  • Sie verweigern die Erfüllung der Pflichten, die in dem Kooperationsplan (früher: Eingliederungsvereinbarung) schriftlich festgehalten wurden. Dazu gehört vor allem eine aktive Mitwirkung bei der Suche nach einer angemessenen Arbeit.
  • Sie weigern sich, eine angemessene Arbeit, Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis (gemäß Abschnitt 16e) aufzunehmen, fortzusetzen oder sabotieren deren Vermittlung durch ihr Verhalten.
  • Sie nehmen eine zumutbare Maßnahme zur Integration in den Arbeitsmarkt nicht an, brechen diese ab oder sind für den Abbruch verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn die betreffenden Personen einen guten Grund für ihr Verhalten angeben und nachweisen können.
  • Sie haben nach ihrem 18. Lebensjahr ihr Einkommen oder Vermögen absichtlich verringert, um die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung von Sozialleistungen zu erfüllen.
  • Sie haben trotz Belehrung über die Folgen oder deren Kenntnis weiterhin unwirtschaftlich gehandelt.
  • Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder ist erloschen, weil die Agentur für Arbeit eine Sperre oder den Erlöschen des Anspruchs gemäß den Bestimmungen des Dritten Buches festgestellt hat.
  • Die Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit sind erfüllt, die dazu führt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erlischt, wie im Dritten Buch beschrieben.

Jeder Sanktion muss eine Rechtsfolgenbelehrung vorausgehen. Es reicht deshalb nicht aus, wenn der Jobcenter-Mitarbeiter in einem Schreiben mitteilt, dass bei einer Pflichtverletzung Sanktionen drohen. Vielmehr müssen die Rechtsfolgen in jedem Einzellfall verständlich, konkret und begründet dargelegt werden. Andernfalls kann der Sanktionsbescheid angefochten werden. Betroffene sollten deshalb unbedingt Widerspruch gegen derartige Bescheide einlegen. Entsprechende Urteile fällten das Landessozialgericht Hamburg (Az.: L 5 AS 78/09 vom 18.08.2010) und das Sozialgericht Gießen (Az.: S 29 AS 676/11 vom 14.01.2013).

Wozu dient der Kooperationsplan?

Ab dem 1. Juli 2023 wurde die Eingliederungsvereinbarung durch den sogenannten Kooperationsplan ersetzt. Vorhandene Eingliederungsvereinbarungen bleiben vorerst gültig. Bis zum 31. Dezember 2023 werden Bürgergeld-Beziehende auf den neuen Kooperationsplan umgestellt. Die Eingliederungsvereinbarungen verlieren dann ihre Gültigkeit.

In dem Kooperationsplan werden Ziele zur Wiederaufnahme einer Arbeit festgelegt und der Weg dorthin beschrieben. Der Plan hat jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern betont vielmehr die Zusammenarbeit zwischen den Leistungsbeziehenden und dem Jobcenter.

Werden die in dem Kooperationsplan getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten, können Sie verpflichtet werden, im nächsten Schritt aktiv am Eingliederungsprozess teilzunehmen. Das Jobcenter kann Sie dann zum Beispiel auffordern, sich auf Stellenangebote zu bewerben, Qualifizierungsangebote zu nutzen oder an Beratungsgesprächen teilzunehmen. Wenn Sie solche Vereinbarungen oder Termine ohne wichtigen Grund nicht einhalten, kann dies zu Leistungskürzungen führen. Wenn in dem Kooperationsplan keine gemeinsame Lösung gefunden werden kann, besteht die Möglichkeit, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten.

Erstmaliger Meldeverstoß

Das Jobcenter darf nur eine Meldeaufforderung versenden, wenn Sie einem der folgenden Zwecke dient:

  • Berufsberatung
  • Arbeitsvermittlung
  • Vorbereitung auf die Teilnahme an aktiven Arbeitsförderungsleistungen
  • Entscheidungsfindung im Leistungsverfahren
  • Prüfung der Voraussetzungen für den Erhalt von Bürgergeld
  • Ärztlicher oder psychologischer Untersuchungstermin

Die Einladung zum Termin muss schriftlich erfolgen und eine Rechtsfolgenbelehrung beinhalten, aus der hervorgeht, welche Konsequenzen ein unentschuldigtes Fernbleiben hat. Erscheint der Leistungsberechtigte dennoch nicht zu einem Pflichttermin, ist das Jobcenter berechtigt eine Sanktion in Form einer Leistungskürzung in Höhe von 10 % zu verhängen.

Sanktionen können nur in den folgenden Fällen abgewendet werden:

  • Der Betroffene hat sich nur in der Uhrzeit geirrt und erscheint kurze Zeit später. Dann kann die Strafmaßnahme abgewendet werden, sofern die Meldung vom Jobcenter noch berücksichtigt und ihr Zweck noch erreicht werden kann.
  • Der Erwerbslose meldet sich krank und legt darüber eine ärztliche Bescheinigung vor.Das Jobcenter kann den Termin zur Melde- oder Mitwirkungspflicht jedoch auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit nach der Krankheit legen. Wird dieser versäumt, droht ebenfalls eine zehnprozentige Leistungskürzung.

Melde- und Mitwirkungspflichten bestehen grundsätzlich während der gesamten Dauer des Bürgergeld-Bezugs.

Sanktion bei erstmaligen Verhaltenspflichtverstoß

Mit der Einführung des Bürgergeld werden Verstöße gegen Verhaltenspflichten nicht mehr härter sanktioniert als Verstöße gegen Meldepflichten. Jeder Verstoß zählt nun „pauschal“ als eine Pflichtverletzung. Zu den Verstößen gegen die Verhaltenspflicht zählen:

  • Die Weigerung, Eigenbemühungen zur Aufnahme einer Arbeit zu ergreifen und nachzuweisen.
  • Die Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme aufzunehmen oder weiterzuführen.
  • Die vorzeitige, selbstverschuldete Beendigung einer zumutbaren Bildungs- oder Weiterbildungsmaßnahme.

Verweigerung von Eigenbemühungen

Bewerben sich Leistungsbeziehende nicht nachweislich auf mindestens die in dem Kooperationsplan festgelegte Anzahl von Stellen, wertet das Jobcenter dieses Verhalten als einen Verstoß gegen die Pflicht zur Ergreifung von Eigenbemühungen zur Beendigung seiner Hilfebedürftigkeit und kann eine Sanktion in Form von einer Kürzung der Regelleistung verhängen. Die Höhe und Dauer der Sanktion hängt dabei von der Anzahl der vorausgegangenen Pflichtverletzungen ab.

Verweigerung von Arbeit oder Maßnahmen

Bürgergeld-Beziehende sind dazu verpflichtet, jede zumutbare Arbeit, Arbeitsgelegenheit oder Ausbildung anzunehmen. Eine Weigerung zieht ebenso eine Sanktion nach sich wie absichtlich unangemessenes Verhalten. Dazu können beispielsweise auch ablehnende Äußerungen im Bewerbungsgespräch zählen.

Abbruch einer Maßnahme

Das Jobcenter kann auch eine Leistungskürzung verhängen, wenn eine Bildungs- oder Weiterbildungsmaßnahme durch eigenes Verschulden vorzeitig abgebrochen wird. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Leistungsbezieher häufig zu spät zu der Maßnahme erscheint oder absichtlich den Ablauf stört.

Sonderfälle für Sanktionen

In § 31 Abs .2 SGB II sind einige Fälle für Sanktionen gesondert regelt, da ihnen eine große Bedeutung in der Praxis zukommt. Die Sonderfälle sind:

  • Der Leistungsberechtigte bezieht Bürgergeld-Leistungen, während sein Anspruch auf Arbeitslosengeld I (ALG I) wegen Verhängung einer Sperrzeit gemäß SGB III ruht oder erloschen ist.
  • Der Leistungsberechtigte erfüllt die Voraussetzungen zum Inkrafttreten einer Sperrzeit, die das Ruhen oder Erlöschen des ALG I-Anspruchs zur Folge haben.
  • Der volljährige Leistungsberechtigte verringert absichtlich sein Einkommen oder Vermögen, um eine höhere Regelleistung zu erhalten.
  • Der Leistungsberechtigte verhält sich unwirtschaftlich auch nach erfolgter Rechtsfolgenbelehrung vom Jobcenter. Dazu zählen unter anderem Fälle, in denen immer wieder sehr hohe Stromkosten produziert werden.

Keine Sanktion bei triftigem Grund

Kommt es aus einem wichtigen Grund zu einem Verstoß gegen die Melde- und Mitwirkungspflichten oder die Verhaltenspflichten, darf das Jobcenter keine Sanktion verhängen. In der Praxis kommt es leider dennoch häufig vor, dass Sanktionsbescheide ergehen, obwohl beispielsweise das Terminversäumnis unverschuldet zustande kam.

Betroffene sollten unbedingt Widerspruch beim zuständigen Jobcenter einlegen. Denn wer nachweislich keine Schuld an einem Verstoß gegen die Melde- und Mitwirkungspflichten oder die Verhaltenspflichten hat oder aus einem triftigen Grund seiner Pflicht nicht nachkommen konnte, darf nicht sanktioniert werden.

Besonders schwierig ist dies jedoch, wenn sich Leistungsbezieher weigern, eine vom Jobcenter als zumutbar eingestufte Arbeit anzunehmen. Aber auch für diesen Fall rechtfertigen wichtige Gründe die Ablehnung einer Beschäftigung. So dürfen keine Sanktionen verhängt werden, wenn die Aufnahme der Arbeit die Erziehung eines unter dreijährigen Kindes gefährden würde, der Leistungsbezieher geistig, körperlich oder seelisch nicht in der Lage ist, der Arbeit nachzugehen oder die Pflege eines Angehörigen durch die Arbeit nicht mehr gewährleistet ist.

Sanktionen bei wiederholten Pflichtverstößen

Bei wiederholten Verstößen gegen die Melde- und Mitwirkungspflicht wird die Regelleistung über die 10 % für den ersten Verstoß hinaus gekürzt. Konkret müssen Leistungsberechtigte mit einer Kürzung um weitere 10 % rechnen. Daraus ergibt sich nach dem zweiten Verstoß eine Kürzung des Regelsatzes um insgesamt 20 %. Weitere Sanktionen gehen mit Kürzung von weiteren 10 % des Regelsatzes einher bis zu einem Maximum von 30 %.

Ein wiederholter Pflichtverstoß liegt nur dann vor, wenn die vorherige Pflichtverletzung noch keine 12 Monate zurückliegt (§ 31a Abs.1 S.5 SGB II).

Wenn durch Sanktionen die Existenz gefährdet wird

Liegt eine besondere Härte vor – wenn die Leistungskürzung dazu führt, dass das Existenzminimum nicht mehr gesichert ist – können geldwerte Leistungen wie Lebensmittelgutscheine oder Sachleistungen zusätzlich gewährt werden.

Ist ein Haushalt mit minderjährigen Kindern von der Sanktion betroffen, ist das Jobcenter dazu verpflichtet, ergänzende Leistungen zu erbringen (§ 31 Abs. 3 S. 7 SGB II). Den ergänzenden Bezug von Sozialhilfe oder anderen Hilfen zum Lebensunterhalt schließt das Gesetz jedoch für Bürgergeld-Beziehende gemäß § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II aus.

Widerspruch und Klage

Jeder Sanktion muss in schriftlicher Form als Verwaltungsakt zugestellt werden. Der sogenannte Sanktionsbescheid muss zudem eine Rechtsbehelfsbelehrung beinhalten. Jedem Leistungsbezieher steht es frei, gegen die behördliche Entscheidung Widerspruch einzulegen. Dieser muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids schriftlich beim Jobcenter eingehen.

Es besteht auch die Möglichkeit, den Widerspruch beim Leistungsträger zu Protokoll zu geben. Idealerweise beinhaltet der Widerspruch eine Begründung, aus der hervorgeht, warum die Sanktion nicht gerechtfertigt ist. So kann darauf hingewiesen werden, dass der Sachbearbeiter sein Ermessen nicht oder nicht korrekt ausgeübt hat oder einen wichtigen Grund für den Pflichtverstoß übersehen hat.

Das Jobcenter muss den Vorgang dann erneut prüfen. Kommt die Behörde zu dem Ergebnis, dass die Sanktion dennoch berechtigt ist, ergeht ein schriftlicher Widerspruchsbescheid per Verwaltungsakt. Dagegen kann sich der Bürgergeld-Bezieher mit einer Klage zum Sozialgericht wehren. Auch in diesem Fall gilt die Frist von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

Bei Hartz IV wurden rund ein Drittel der Widersprüche und fast die Hälfte aller Klage gegen das Jobcenter zugunsten der Hartz-IV-Beziehenden entschieden. Kosten entstehen für die Leistungsbeziehenden dabei nicht. Kommt das Jobcenter bei der Prüfung des Widerspruchs zu dem Schluss, dass die Sanktion tatsächlich unrechtmäßig verhängt wurde, wird der Sanktionsbescheid aufgehoben.

Sind Sanktionen verfassungswidrig?

Immer wieder wird argumentiert, dass Sanktionen verfassungswidrig sind. Denn Sanktionierte rutschen unters Existenzminimum. Dazu gab es in der Vergangenheit auch schon eine Vielzahl von Klagen, von denen es jedoch keine bis vors Bundesverfassungsgericht schaffte.

Das Sozialgericht Gotha kam 2015 bis zum höchsten Gericht, wurde dort aber aus formalen Gründen abgewiesen. Die Verfassungsrichter ermutigten das Sozialgericht aber in ihrer Urteilsbegründung, es noch einmal zu versuchen, denn es werden dort “interessante rechtliche Fragen aufgeworfen.” Das SG Gotha folgte der Empfehlung und versuchte es erneut. Seit Januar 2019 wird nun die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt – ein Urteil ist noch nicht ergangen.

Quellen:
Sozialgesetzbuch II (SGB II)

Urteil des Landessozialgerichts Hamburg

Urteil des Sozialgerichts Gießen

Urteile des Sozialgerichts Gotha

Urteile des Bundesverfassungsgerichts