Sozialgericht Gotha gibt nicht auf: Erneute Verfassungsklage gegen Hartz IV Sanktionen
04.08.2016
Wir erinnern uns, das Sozialgericht Gotha hatte die Hartz IV Sanktionen als Verfassungswidrig eingestuft und das Verfahren an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet. Dieses hatte die Richtervorlage aufgrund eines Formfehlers abgelehnt. Nun will sich das Sozialgericht allerdings nicht damit zufrieden geben. Die Kammer hat nun die zweite Vorlage des gleichen Falls eingreicht.
Im konkreten Fall hat ein Hartz IV Bezieher aus Erfurt geklagt. Er wurde im Jahre 2014 gleich zwei Mal mit Leistungskürzungen bestraft. Zunächst hatte der Kläger ein Jobangebot seitens des Jobcenters abgelehnt. Daraufhin wurde dem Kläger das Arbeitslosengeld II im ersten Schritt um 30 Prozent (117,30 Euro) gekürzt. Danach sollte der Leistungsberechtigte eine Probearbeit bei einem weiteren Arbeitgeber absolvieren. Wegen dieser im SGB II verankerten erneuten „Pflichtverletzung“ wurde wieder um 30 Prozent gekürzt. Demnach kürzte die Behörde die Leistungsbezüge um insgesamt 234,60 Euro. Es blieben dem Mann dadurch gerade noch 156,40 Euro zum Überleben. Bei der Klage hatte der Mann beteuert zu wissen, worauf er sich eingelassen habe. Die Sanktionen halte er allerdings für verfassungswidrig.
Im damaligen Verfahren waren die Sozialrichter in Gotha dem Kläger gefolgt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass bei einer Sanktion aufgrund der Nichteinhaltung eines Jobcenter-Termins oder bei abgelehnten Jobangeboten die Menschenwürde verletzt wird, wenn es im Nachfolgenden zu Leistungskürzungen kommt. Das Existenzminimum ist in der Verfassung verankert. Der Staat müsse demnach dafür Sorge leisten, dass das Existenzminimum zu jeder Zeit- also auch bei verpatzten Terminen oder abgelehnten Jobs- garantiert sei. Das gehöre zur Menschenwürde, die unantastbar sei, so das Gericht. Zudem sehen die Richter einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit.
Die Richter bezweifeln, dass Hartz IV Strafen mit der im Artikel 1 festgeschriebenen Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie der im Artikel 20 festgeschriebenen Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind. „Aus diesen Artikeln ergeben sich ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das bei einer Kürzung oder kompletten Streichung des Arbeitslosengeldes II gefährdet ist“, so das Gericht. Auch die Artikel 2 und 12 des Grundgesetzes würden angetastet, weil auch die Gesundheit des Sanktionierten gefährdet werden könnte. Doch gerade das Grundgesetz soll die Unversehrtheit des Menschen gewährleisten.
Gewichtige verfassungsrechtliche Fragen
Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar die Klage aufgrund eines Fehlers abgelehnt, aber betont, dass die Richtervorlage „durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.“ Doch die Karlsruher Richter rügten, dass die Sozialrichter nicht ausreichend prüften, ob der Kläger mit Zugang der Jobzuweisungen genügend über Rechtsfolgen bei einer Ablehnung belehrt worden war. Das Sozialgericht hätte nach dem Willen der Karlsruher Richter genauer auswerten müssen, ob es die Sanktionen bereits wegen fehlerhafter Bescheide hätte aufheben können. Denn dann, so das BVerfG, »käme es auf die Verfassungsgemäßheit (…) nicht mehr an«. Es stufte die Vorlage damit als »unzulässig« ein.
Nun aber seien diese Verfahrensfehler aufgearbeitet worden und eine zweite Richtervorlage geschaffen. Das ursprüngliche Verfahren wurde nunmehr ausgesetzt, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Nunmehr könne das Verfassungsgericht nicht einfach die Eingabe abweisen, sondern muss inhaltlich begründen. Dennoch kann es sein, dass das Verfahren wieder nicht angenommen wird. (sb)
Bild: kamasigns/fotolia
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