Bürgergeld: Jobcenter dürfen Mitwirkungspflicht bei Gutachten nicht überspannen

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Für die Prüfung der Erwerbsunfähigkeit eines Bürgergeld-Beziehers müssen Jobcenter ausreichend aktuelle ärztliche Gutachten zugrundelegen.

Lehnen Leistungsberechtigte die Weitergabe eines bereits vier Jahre alten Gutachtens an die Deutsche Rentenversicherung zur Feststellung ihrer Erwerbsunfähigkeit ab, darf das Jobcenter ihr daher nicht einfach einen Verstoß ihrer Mitwirkungspflicht vorwerfen und die Zahlung versagen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 14 AS 13/19 R).

Was aber war geschehen?

Die aus dem Raum Heilbronn stammende Frau bezieht bereits seit 2005 Arbeitslosengeld II. 2010 hatte der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit in einem Gutachten festgestellt, dass die Frau über kein Leistungsvermögen mehr verfügt.

Hintergrund waren psychische Probleme und eine „Ernährungsproblematik”. Der Gutachter hatte die Frau nicht persönlich untersucht, sondern nur nach Aktenlage entschieden.

Danach wäre dann die Sozialhilfe für den Lebensunterhalt der Frau zuständig gewesen. Der Sozialhilfeträger widersprach jedoch dem Ergebnis des Gutachtens. Über zwei Jahre später wurde die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten.

Der Rentenversicherungsträger verlangte die Einsicht in das Gutachten aus dem Jahr 2010.

Doch dies lehnte die Betroffene ab. Das damalige Gutachten sei falsch und ohne ihre Einwilligung von ihrem früheren Betreuer veranlasst worden. Werde das Gutachten weitergegeben, verletze dies ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

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Verweiherte Weitergabe des Gutachtens ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten?

Das Jobcenter wertete die verweigerte Weitergabe des Gutachtens als einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten der Betroffenen und versagte für März und April 2014 die weitere Zahlung von Hartz-IV-Leistungen (heutiges Bürgergeld).

Vor dem BSG bekam die Hartz-IV-Bezieherin nun recht. Allerdings komme es hier letztlich nicht auf die Frage einer Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts an.

Grundsätzlich seien Sozialleistungsbezieher verpflichtet, Unterlagen zur Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit bereitzustellen oder hierzu einem Gutachten zuzustimmen. Andernfalls könne eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten vorliegen. Dies könne auch die Versagung von Hartz-IV-Leistungen zur Folge haben.

Jobcenter müssen sich an geltende Regeln der Amtsermittlung halten

Andererseits müssten Behörden sich auch an die allgemein geltenden Regeln der Amtsermittlung halten. So dürften ärztliche Gutachten etwa nicht zu alt sein.

Die Vorlage des Gutachtens aus dem Jahr 2010 sei vielleicht wünschenswert gewesen, war aber nicht streitentscheidend. Regelmäßig müsse ein Betroffener bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit vielmehr vom Gutachter persönlich untersucht werden.

Dies sei hier nicht geschehen. Das Jobcenter habe daher das Arbeitslosengeld II nicht wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht verweigern dürfen, urteilte das BSG.