Allein die Behauptung des Jobcenters, sie habe offenbar genügend Geldmittel, um die nicht – durch gezahlte Bürgergeld-Regelbedarfe – abgedeckten Kosten für die Pensionsunterkunft abzudecken und zu begleichen, reicht nicht aus, die Hilfebedürftigkeit auszuschließen.
Denn nach Auffassung des LSG Sachsen (AZ: L 7 AS 1277/15 B ER – rechtskräftig -) gilt:
1. Der Annahme der Hilfebedürftigkeit eines Leistungsempfängers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter Beachtung einer Folgenabwägung steht nicht entgegen, wenn dieser seine Unterkunftskosten – erbettelt – und unklar ist, welche Geldmittel dabei eingenommen werden.
2. Vermutet das Jobcenter Einkommen, muss es dieses auch beweisen und vor allem beziffern.
3. Bedarf eines Leistungsempfängerin hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung im Eilverfahren bejahend, wenn diese schon seit längerer Zeit (3 Jahre) in ständig wechselnden Hotels und Pensionen nächtigt war hier im Rahmen der Folgenabwägung zu bewilligen.
Inhaltsverzeichnis
Begründung:
Das Jobcenter versagte der Ärztin, welche vorher obdachlos war, die ALG II – Leistung für Kosten der Unterkunft und Heizung
Die Vorinstanz des SG Dresden hatte ihre Klage abgewiesen, denn sie könne nicht nachweisen, wovon sie die Kosten für die Hotels und Pensionen bezahlt habe, die Regelleistung wäre dazu nicht ausreichend gewesen
Das LSG Sachsen sah das anders: Denn Sie habe Anspruch auf die Regelleistung und die Kosten der Unterkunft.
Einnahmen aus dem Betteln wurden unberücksichtigt gelassen
Dem stand auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin nun angegeben hat, sie habe sich die hohen Kosten für die Unterkunft in den Hotels und Pensionen zusammen gebettelt.
Jobcenter darf der bedürftigen nicht unterstellen, sie habe Einkommen oder Vermögen
Denn nach Auffassung des Gerichts darf ihr nicht unterstellt werden, sie sei nicht hilfebedürftig bzw. sie habe Einkommen oder Vermögen, mit welchem sie ihren Bedarf decken könne.
Vermutet das Jobcenter Einkommen, muss es das Einkommen beweisen und vor allem beziffern
Einkünfte, die die Antragstellerin möglicherweise aus Betteln auf der Straße erzielt, sind bislang in keiner Weise bezifferbar.
Folgenabwägung
Der Senat entschied zu Gunsten der Antragstellerin, weil eine gegenwärtige Notlage zu beseitigen sei. Die spätere, nachträgliche Erbringung von existenzsichernden Leistungen verfehlt insoweit ihren Zweck.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Diese Entscheidung zeigt sehr deutlich, wie tief ein Mensch sinken kann und wie schwer es ist, aus dem Drama zu entfliehen.
In diesem Beschluss wird noch sehr gut aufgezeigt, wann Versagungsbescheide der Jobcenter aufschiebende Wirkung haben.
Hinweis:
Ein mit Widerspruch angefochtener Versagungsbescheid steht dem Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG bis zur bestandskräftigen Abweisung des Widerspruches nicht entgegen (vgl. Sächsisches LSG v. 04.04.2016 – L 7 AS 1277/15 B ER – ).
Kann das Bestehen der Hilfebedürftigkeit nicht geklärt werden, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Regelungsanordnung auf Grundlage einer Folgenabwägung möglich.
Hat das Jobcenter im Vorfeld bereits einen Versagungsbescheid erlassen, hindert dies eine Regelungsanordnung nicht, sofern der Bescheid mit Widerspruch angegriffen wurde und dieser noch nicht bestandskräftig abgewiesen wurde.
Der Widerspruch gegen den Versagungsbescheid entfaltet aufschiebende Wirkung. Die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides ist im Rahmen des Eilverfahrens dann nicht zu prüfen ( Karl in jurisPK-SGB II 4. Aufl. § 9 SGB II).
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.