Wenn Treppen zum Nadelöhr werden, der Hauseingang ohne Rampe zur täglichen Zitterpartie gerät oder der Arbeitsweg wegen gesundheitlicher Einschränkungen zur Überforderung wird, droht am Ende oft das Gleiche: der Verlust des Jobs.
Genau hier setzt ein wenig bekannter Zuschuss an, das Betroffene selten auf dem Schirm haben – die Wohnungshilfe nach § 22 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV). Sie ermöglicht Zuschüsse, Zinszuschüsse oder Darlehen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe, um Wohnraum zu beschaffen, barrierefrei anzupassen oder einen Umzug in eine behinderungsgerechte oder deutlich arbeitsplatznähere Wohnung zu finanzieren.
Inhaltsverzeichnis
Was die Wohnungshilfe konkret leistet
Der Anspruch zielt nicht auf „schöner wohnen“, sondern auf die Sicherung der Erwerbstätigkeit. Finanziert werden können drei Dinge:
- erstens die Beschaffung geeigneten Wohnraums, wenn der bisherige Wohnort die Ausübung der Arbeit erheblich erschwert;
- zweitens Umbauten und Ausstattungen, die Behinderungsfolgen ausgleichen und den Weg zur Arbeit ermöglichen, etwa ein stufenloser oder ein sicherer Zugang zur Garage;
- drittens der Umzug in eine behinderungsgerechte oder erheblich verkehrsgünstiger zum Arbeitsplatz gelegene Wohnung.
Die Mittel werden je nach Einzelfall als Zuschuss, Zinszuschuss oder Darlehen gewährt.
Arbeitsnähe und Erreichbarkeit
Ob eine Wohnung „erheblich verkehrsgünstiger“ liegt, ist nicht Gefühlssache. Die Integrationsämter orientieren sich an objektiven Pendelzeiten. Als praxistaugliche Faustregel gilt: Eine nachhaltige Verbesserung liegt insbesondere vor, wenn sich die Pendelzeit deutlich reduziert oder die neue Wohnung die barrierefreie Anfahrt zum Arbeitsplatz überhaupt erst ermöglicht.
Zugleich sollte die neue Pendelzeit in einem Rahmen liegen, der allgemein als zumutbar gilt. Das ist ein scharfes, alltagsnahes Kriterium – und oft der Schlüssel, wenn lange Wege die Beschäftigung gefährden.
Wer zuständig ist – und was „Nachrang“ bedeutet
Die Wohnungshilfe wird im Rahmen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben durch die Integrations- bzw. Inklusionsämter organisiert und aus der Ausgleichsabgabe finanziert. Sie arbeiten dabei eng mit der Bundesagentur für Arbeit und den Reha-Trägern zusammen.
Wichtig ist der Nachrang: Wenn ein Reha-Träger (etwa Renten- oder Unfallversicherung) für denselben Zweck zuständig ist, geht dessen Leistung vor; die Ausgleichsabgabe schließt Versorgungslücken, stockt aber nicht auf. Zuständig ist in der Regel das Integrationsamt am Ort der Wohnung beziehungsweise – bei Umzugskosten – am Ort der bisherigen Wohnung.
Typische Zugangsvoraussetzungen aus der Praxis
Erforderlich ist in aller Regel eine anerkannte Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung sowie eine tatsächliche oder konkret bevorstehende Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Viele Ämter knüpfen zudem an die wöchentliche Arbeitszeit an; 15 Stunden gelten verbreitet als Untergrenze, damit die Leistung ihrem Zweck – die Erwerbstätigkeit zu sichern – tatsächlich dient. In landesweiten Informationen und Leitfäden wird dieses Kriterium häufig benannt.
Was finanziert wird – und was ausdrücklich nicht
Gefördert werden die behinderungsbedingten Mehrkosten, die für die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes erforderlich sind. Dazu zählen etwa eine Rampe am Hauseingang, ein Treppenlift im unmittelbaren Zugangsbereich oder bauliche Anpassungen im Wegeverlauf bis zur Straße.
Nicht gefördert werden hingegen allgemeine Wohnkomfort-Verbesserungen ohne konkreten Arbeitsbezug, beispielsweise eine neue Küche oder ein größerer Balkon.
Entscheidend ist der unmittelbare Zusammenhang mit der Berufsausübung: Die Maßnahme muss ermöglichen, erleichtern oder sichern, dass der Arbeitsplatz selbstständig und barrierefrei erreicht werden kann.
Zahlen, die Orientierung geben
Die Verordnung nennt keine festen Beträge, weil die Höhe immer vom Einzelfall abhängt. In Verwaltungshinweisen finden sich jedoch Orientierungen:
Für den Erwerb oder Bau behinderungsgerechten Eigentums werden teilweise Darlehen bis in den fünfstelligen Bereich genannt; bei Mietwohnungen kommen unter Umständen Darlehen für Kautionen oder Genossenschaftsanteile in Betracht, oft im niedrigen vierstelligen Bereich.
Bei Umzügen können die erforderlichen, nachgewiesenen Kosten übernommen werden, wenn der Wohnungswechsel die Beschäftigung sichert. Solche Hinweise sind keine starre „Preisliste“, zeigen aber die Größenordnung, mit der Integrationsämter in der Praxis arbeiten.
Der Weg zum Geld: Antrag, Timing, Unterlagen
Der wichtigste taktische Punkt lautet: Der Antrag muss vor Beginn der Maßnahme gestellt werden – also vor Vertragsabschluss, Umbauauftrag oder Umzug. Wer bereits umzieht oder baut und erst danach fragt, verbaut sich häufig die Förderung.
Für die Antragstellung verlangen die Ämter regelmäßig Nachweise zur Behinderung, Angaben zum Arbeitsverhältnis, eine arbeitsbezogene Begründung der Notwendigkeit, Kostenvoranschläge und – bei Umzügen – mehrere Angebote von Umzugsfirmen. Je vollständiger und arbeitsbezogener die Begründung, desto zielgerichteter die Entscheidung.
Warum dieser Hebel „heimlich“ ist – und wem er hilft
Wohnungshilfen nach § 22 SchwbAV laufen unter dem Radar, weil sie nicht im Sozialhilferecht, sondern im Schwerbehindertenrecht des Arbeitslebens verankert sind.
Sie greifen genau dann, wenn die Arbeitskraft an räumlichen Barrieren scheitert: die Stufen vor dem Haus, die fehlende Abstellmöglichkeit für ein Hilfsmittel, der zu lange, gesundheitlich nicht mehr leistbare Weg zum Betrieb.
Viele Betroffene denken zuerst an Krankenkasse oder Pflegekasse und übersehen, dass es aus der Ausgleichsabgabe passgenaue, arbeitsbezogene Leistungen gibt – zur Sicherung genau dieses Jobs.
Was Betroffene jetzt konkret tun sollten
Wer merkt, dass Wohnung oder Lage den Arbeitsplatz gefährden, sollte den Hebel gezielt ansetzen. Zunächst wird der Bedarf arbeitsbezogen dokumentiert, etwa durch ärztliche Stellungnahmen zu Belastungsgrenzen, eine Beschreibung des täglichen Weges, Fotos unüberwindbarer Barrieren oder eine nachvollziehbare Gegenüberstellung der Pendelzeiten zwischen alter und neuer Wohnung.
Sinnvoll ist der frühe Kontakt zum Integrations- bzw. Inklusionsamt. Der Technische Beratungsdienst hilft, passende Lösungen zu definieren und die nötigen Kostenvoranschläge einzuholen. Der formale Antrag folgt, wenn die Unterlagen vollständig sind – aber unbedingt bevor Verträge unterschrieben werden.
Wer schon mit einem Reha-Träger im Gespräch ist, sollte das offenlegen; die Integrationsämter klären die Zuständigkeit und springen nachrangig ein, wenn andere Träger nicht leisten. So wird aus einem unbekannten Paragrafen ein sehr konkreter Schutzschirm für den Arbeitsplatz.




