Wer eine Abfindung erhält und zugleich mit Pfändungen oder sogar einem laufenden Insolvenzverfahren konfrontiert ist, riskiert ohne Gegenmaßnahmen, dass das Geld nahezu vollständig weg ist. Der Knackpunkt: Die üblichen Pfändungsfreigrenzen für Lohn (§ 850c ZPO) greifen bei der Abfindung nicht automatisch.
Dennoch gibt es einen konkreten Rechtsweg, um einen spürbaren Teil zu schützen: § 850i ZPO. Er ermöglicht auf Antrag beim Gericht einen individuellen Freibetrag „für einen angemessenen Zeitraum“, der sich an einem hypothetischen Monatslohn orientiert.
Inhaltsverzeichnis
Warum Abfindungen so leicht im Visier der Gläubiger sind
Abfindungen gelten rechtlich nicht als laufendes Arbeitseinkommen für einen fest umrissenen Zeitraum, sondern als (typisch) einmalige Vergütung. Deshalb werden sie durch einen Lohn-Pfändungs- und Überweisungsbeschluss grundsätzlich mit erfasst – aber ohne automatische Anwendung der Lohn-Pfändungstabelle. Folge: Ohne Schutzbeschluss ist die Abfindung regelmäßig voll pfändbar.
Der Rettungsanker: § 850i ZPO im Überblick
§ 850i ZPO verpflichtet das Vollstreckungsgericht, dem Schuldner auf Antrag aus einmaligen Vergütungen (und sonstigen, nicht als Arbeitseinkommen geltenden Einkünften) so viel zu belassen, wie ihm bei fiktiv fortlaufendem Monatslohn nach freier richterlicher Schätzung zustünde – und zwar für einen angemessenen Zeitraum.
Praktisch wird die Abfindung rechnerisch „in Monate geschnitten“ und mit den Maßstäben des Lohnschutzes abgeglichen. Dieser Schutz entsteht nicht automatisch, sondern erst durch gerichtlichen Beschluss.
Wie viel bleibt realistisch? Die „Sechs-Monate-Linie“ aus der Praxis
Mehrere Entscheidungen der Amts- und Landgerichte setzen für Abfindungen häufig einen Schutzzeitraum von rund sechs Monaten an. Leitlinien: Es ist regelmäßig das Sechsfache des letzten Netto-Monatsentgelts zu belassen, wobei z. B. in dieser Phase zufließendes Arbeitslosengeld gegenzurechnen ist.
Der Zeitraum kann – gut begründet – auch kürzer oder länger ausfallen, etwa bei längerer absehbarer Jobsuche oder gesundheitlichen Gründen. Wichtig: Der Schuldner trägt die Darlegungslast; pauschale Behauptungen reichen nicht.
Der richtige Weg: Antrag, Nachweise, Timing
Ansprechpartner ist das Vollstreckungsgericht am Wohnsitz (Amtsgericht). Läuft bereits ein Verbraucher-/Regelinsolvenzverfahren, entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 InsO unter Heranziehung der Grundsätze des § 850i ZPO.
Dem Antrag sollten u. a. beigefügt werden: Aufhebungs-/Vergleichsunterlagen, letzte Gehaltsabrechnungen, ein Haushalts- und Bedarfsplan, Nachweise über Unterhaltspflichten, Bewilligungsbescheide (etwa ALG I), ggf. eine P-Konto-Bescheinigung sowie ein Konzept zur Überbrückung des Schutzzeitraums.
Die Rechtsprechung bestätigt, dass § 850i-Schutz auch im Insolvenzkontext anwendbar ist; der Beschluss beziffert den pfandfrei zu belassenden Betrag für den festgelegten Zeitraum.
Auszahlung clever gestalten statt Einmalschock
Verhandeln Sie – wenn möglich – Zeitanteils- oder Ratenzahlungen statt eines großen Einmalbetrags. Juristisch bleibt die Abfindung zwar auch in Raten eine einmalige Vergütung, doch die monatsweise Zuführung erleichtert es, den § 850i-Schutz an realistische Monatsbedarfe anzulehnen und Liquiditätslöcher zu vermeiden.
Parallel sollte der § 850i-Antrag unverzüglich gestellt werden, damit die ersten Teilbeträge schon unter dem gerichtlichen Schutz zufließen.
Doppeltes Risiko: Kontopfändung abfedern mit P-Konto und Zusatzfreibeträgen
Selbst ein gerichtlicher § 850i-Beschluss schützt nicht automatisch vor einer Kontopfändung. Wer noch kein P-Konto (Pfändungsschutzkonto) hat, sollte sein Girokonto umstellen.
Das P-Konto sichert einen Sockelfreibetrag; zusätzliche Freibeträge sind möglich, z. B. für Kindergeld, bestimmte Pflege- oder Blindengelder und einmalige Sozialleistungen, sofern bescheinigt. So kommt die Abfindung nicht schon beim Geldeingang durch die Kontopfändung unter die Räder.
Bürgergeld im Blick: Zuflussmonat strategisch planen
Wer Bürgergeld bezieht oder kurz davor steht, muss das Zuflussprinzip beachten: Einmalige Einnahmen werden grundsätzlich in dem Monat des Zuflusses angerechnet; ist für diesen Monat bereits gezahlt worden, erfolgt die Berücksichtigung im Folgemonat.
Für Nachzahlungen aus Erwerbseinkommen kennt die Verwaltung Verteilungsregeln, die im Einzelfall relevant sein können. Daher lohnt es sich, die Fälligkeit der Abfindung mit Blick auf Bedarf und Leistungsbewilligungen sorgfältig zu terminieren.
Praxis-Tabelle: Typische Probleme und die zielführende Lösung
| Problem | Lösung/Antrag |
| Pfändung der Abfindung droht | Antrag nach § 850i ZPO beim Vollstreckungsgericht stellen; Schutzzeitraum begründen (z. B. Jobsuche, Unterhalt, Miete), Nachweise beilegen. |
| Kontopfändung parallel aktiv | P-Konto einrichten/prüfen; Zusatzfreibeträge (Kindergeld, Pflege-/Blindengeld, einmalige Sozialleistungen) bescheinigen lassen. |
| Bürgergeld-Bezug geplant | Zuflussmonat gezielt planen; Abgleich mit Bewilligungszeiträumen; Bedarfe im Schutzzeitraum dokumentieren. |
| Einmalige Großzahlung vereinbart | Zeitanteils-/Ratenzahlung mit dem Arbeitgeber verhandeln und sofort § 850i-Schutz beantragen, damit Teilbeträge geschützt zufließen. |
| Schon Insolvenz eröffnet | Antrag beim Insolvenzgericht (über § 36 InsO i. V. m. § 850i ZPO) stellen; pfandfreien Betrag für den angemessenen Zeitraum festsetzen lassen. |
Wichtigste To-dos auf einen Blick – ohne Umwege
Wer absehbar eine Abfindung erhält, sollte vor dem Zufluss handeln: Auszahlungstermin und Modalitäten mit dem Arbeitgeber abstimmen, P-Konto sichern, § 850i-Antrag mit vollständigen Belegen einreichen und den Bedarfszeitraum plausibel machen.
Rechtsprechung und Praxis zeigen, dass so regelmäßig mehrere Monatsnettolöhne geschützt werden können – oft entlang der „Sechs-Monate-Linie“.




