Schwerbehinderung: Müssen Schwerbehinderte Überstunden ableisten?

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Müssen Arbeitnehmer mit einer anerkannten Schwerbehinderung Mehrarbeit bzw. Überstunden ableisten, wenn dies der Chef verlangt? Auch anders gefragt: Dürfen Schwerbehinderte Überstunden ableisten?

Freistellung von Mehrarbeit: Das Sozialgesetzbuch als Fundament

Laut § 207 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen einen einklagbaren Anspruch, auf ihr Verlangen von der Mehrarbeit freigestellt zu werden. Ein automatisches Mehrarbeitsverbot enthält das Gesetz nicht; erst wenn der Beschäftigte aktiv den Verzicht erklärt, entsteht die Befreiungspflicht des Arbeitgebers.

Damit soll verhindert werden, dass gesundheitliche Einschränkungen durch unverhältnismäßig lange Arbeitszeiten verschärft werden, ohne gleichzeitig die Selbstbestimmung der Betroffenen zu beschneiden.

Was gilt als „Mehrarbeit“?

Mehrarbeit ist kein Synonym für jede Überschreitung der individuellen Wochen- oder Monatsarbeitszeit. Gemeint ist allein die Arbeitszeit, die über den gesetzlich verankerten Acht-Stunden-Tag hinausgeht.

Das Arbeitszeitgesetz erlaubt zwar in Ausnahmefällen eine Ausdehnung auf bis zu zehn Stunden, verlangt aber einen zeitnahen Ausgleich. Entscheidend ist somit die Überschreitung der täglichen Höchstdauer, nicht die vertraglich vereinbarte Stundenzahl.

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Teilzeitbeschäftigte: Besonderheiten und Grenzen

Gerade im Dienstleistungs- und Verkehrssektor arbeiten viele schwerbehinderte Menschen in Teilzeit. Wer regulär etwa vier Stunden pro Tag fährt, überschreitet mit einer fünften Stunde bereits seine individuelle Arbeitszeit, erreicht aber noch nicht die Grenze der gesetzlichen Mehrarbeit.

Erst wenn am selben Tag die acht Stunden überschritten würden, kann sich der Teilzeitbeschäftigte auf § 207 SGB IX berufen. Ein pauschaler Anspruch, jede Zusatzschicht zu verweigern, besteht daher nicht. Gleichwohl kann im Einzelfall aus § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX ein weitergehender Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeitszeitgestaltung erwachsen, wenn die gesundheitliche Situation dies erfordert.

Das Verfahren: Rechte wirksam geltend machen

Der Gesetzgeber verlangt weder ein ärztliches Attest noch die Angabe von Gründen, um Mehrarbeit abzulehnen. Notwendig ist jedoch eine unmissverständliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber.

Empfehlenswert ist, diese schriftlich einzureichen und zu den Personalakten zu nehmen. Eine einmal ausgesprochene Ablehnung lässt sich später formlos zurücknehmen – etwa für ein freiwilliges Projekt in ruhigeren Zeiten.

Vergütung von Überstunden: Transparenz ist Pflicht

Überstunden, die rechtmäßig geleistet werden, müssen grundsätzlich vergütet oder durch Freizeit ausgeglichen werden. Allgemeine Vertragsklauseln, nach denen „sämtliche Überstunden mit dem Gehalt abgegolten“ sind, genügen dem Transparenzgebot des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht.

Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach entschieden, dass eine wirksame Abgeltung nur vorliegt, wenn der Vertrag den konkreten Umfang der pauschal vergüteten Überstunden nennt.

Eine Formulierung wie „Mit dem Gehalt sind bis zu zehn Überstunden pro Kalendermonat abgegolten“ wird als zulässig erachtet; fehlt eine solche Obergrenze, muss der Arbeitgeber jede geleistete Zusatzstunde bezahlen oder ausgleichen.

Pflichten der Arbeitgeber

Unternehmen stehen vor der Aufgabe, Dienstpläne so zu gestalten, dass der Acht-Stunden-Rahmen für schwerbehinderte Beschäftigte eingehalten wird, sofern diese die Freistellung verlangen.

Verstöße können nicht nur ein Entgelt-, sondern auch ein Diskriminierungsrisiko nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz auslösen. Sinnvoll ist es, die Schwerbehindertenvertretung oder das Integrationsamt frühzeitig einzubeziehen.

In Notsituationen – etwa bei unvorhersehbaren Verkehrsgefahren – darf der Arbeitgeber zwar kurzfristig Mehrarbeit anordnen; er muss aber spätestens nach Wegfall des Ausnahmegrundes einen zeitnahen Ausgleich schaffen.

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Fazit

§ 207 SGB IX gibt schwerbehinderten Beschäftigten ein wirkungsvolles Instrument an die Hand, um Überbeanspruchung zu verhindern. Arbeitgeber müssen dieses Recht respektieren und ihre Dienstpläne entsprechend anpassen. Teilzeitbeschäftigte können erst ab der neunten Tagesstunde in den Schutzbereich fallen; auch hier bleibt aber Raum für behinderungsgerechte Lösungen.

Für beide Seiten gilt: Je klarer die Vereinbarungen über Arbeitszeit und Überstundenvergütung formuliert sind, desto geringer ist das Konfliktpotenzial – und desto größer die Chance, dass Inklusion im Arbeitsalltag nicht als Belastung, sondern als selbstverständlicher Standard wahrgenommen wird.