Fisch-an-der-Angel-Trick beim Bürgergeld oft keine gute Idee

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Der Einstieg im Bürgergeld mit dem Jobcenter beginnt inzwischen stets mit einer „Potenzialanalyse“ und dem neuen Kooperationsplan. Anders als frühere Eingliederungsvereinbarungen soll dieses Dokument die individuellen Stärken und Ziele der Leistungsberechtigten abbilden und gemeinsam fortgeschrieben werden. So jedenfalls die Theorie.

Was viele nicht wissen: Die erste Einladung zu diesem Gespräch darf keine Rechtsfolgenbelehrung enthalten. So schreibt es § 15 Absatz 4 SGB II ausdrücklich vor. Wird der Termin versäumt, fehlen der Behörde damit die rechtlichen Grundlagen, sofort zu sanktionieren.

Was sagt das Sozialgesetzbuch dazu?

Mit der Bürgergeld-Reform wurde § 15 SGB II überarbeitet. Absatz 4 formuliert unmissverständlich, dass die „erste Einladung zum Gespräch zur Erstellung der Potenzialanalyse und des Kooperationsplans ohne Belehrung über die Rechtsfolgen bei Nichtteilnahme“ erfolgt.

Diese Sonderregel soll theoretisch eine kooperative Atmosphäre schaffen: Erst wenn das persönliche Erstgespräch stattgefunden hat und die Zuständigkeiten geklärt sind, gelten wieder die üblichen Belehrungspflichten und Sanktionsandrohungen des Jobcenters. Das Gesetz will damit vermeiden, dass Leistungsberechtigte schon vor dem Kennenlernen unter Sanktionsdruck geraten.

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Wenn es denn keine Sanktionen gibt, wenn das Jobcenter das erste mal einlädt, soll man dann nicht hingehen? Viele denken, ja, dann muss ich nicht hingehen.

Wenn dann das Jobcenter sanktioniert, kann man Widerspruch einlegen. Das verschaffe „ein bis zwei Monate Luft“, sagen viele Leistungsberechtigte.

Rechtlich betrachtet ist das korrekt, weil das Versäumnis ohne Rechtsfolgenbelehrung nicht sozialrechtlich anwendbar ist.

Praktisch birgt die Strategie jedoch Risiken: Ein verspäteter Widerspruch kann die Zahlungsunterbrechung verlängern, und wer in der Anhörung schweigt, läuft Gefahr, Misstrauen aufzubauen.

Erwerbslosenberater berichten zudem, dass ein solcher Konfrontationskurs die spätere Zusammenarbeit erschweren kann und der Sachbearbeiter eine “negative Haltung” gegenüber dem Leistungsberechtigten einnimmt.

Sanktionen: gestufte Kürzungen und neue 100-Prozent-Regel

Seit der Reform 2023 gilt ein abgestuftes Sanktionssystem: Beim ersten Pflichtverstoß können bis zu zehn, beim zweiten 20 und anschließend bis zu 30 Prozent des Regelbedarfs gekürzt werden. Bei wiederholter „Totalverweigerung“ erlaubt § 31a Absatz 7 SGB II sogar eine komplette Leistungskürzung für maximal zwei Monate.

Die Bundesregierung hat für 2025 schärfere Regeln erwogen, aber bislang nicht umgesetzt; dennoch bleibt der 30-Prozent-Rahmen bestehen, ergänzt um die selten angewandte 100-Prozent-Option.

Wer einen Termin nicht wahrnehmen kann, sollte daher umgehend schriftlich um Verlegung bitten. Bei Einladungen ohne gelben Brief fehlt zudem oft ein sicherer Zugangsnachweis.

Geht ein Schreiben tatsächlich verloren, trägt das Jobcenter die Beweislast. Dies kenntlich zu machen, ohne gleich in einen Streitmodus zu verfallen, gilt unter Praktikern als elegante Lösung.

Erfahrungswerte aus der Beratungspraxis

Rechtsberatungsstellen berichten zudem, dass falsch ausgestellte Einladungen keineswegs Ausnahmefälle sind. Häufig werde die Rechtsfolgenbelehrung aus Routine eingefügt, obwohl sie beim Ersttermin unzulässig ist.

Wer das bemerkt, kann die Sanktion regelmäßig mit einem simplen Hinweis auf § 15 Abs. 4 aufheben lassen. Gleichzeitig raten Beraterinnen, den gewonnenen Spielraum konstruktiv zu nutzen – etwa zur Vorbereitung auf das Gespräch und zur Sammlung von Unterlagen, die das eigene Qualifikationsprofil stützen.

Fazit: Informiert bleiben und selbstbewusst auftreten

Kenntnis der Rechtslage schützt vor unberechtigten Kürzungen des Bürgergeldes. Doch Recht haben und Recht bekommen sind im Bürgergeld zwei verschiedene Dinge.

Ideal ist ein Mittelweg: selbstbewusst auftreten, Fehler der Verwaltung erkennen, sich zur Wehr setzen – und dennoch auf eine kooperative Kommunikation mit dem Jobcenter setzen.