Schwerbehinderung: Grad der Behinderung zu niedrig – So wehren Sie sich richtig

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Viele Menschen erleben Enttรคuschung, wenn der Bescheid รผber ihren Grad der Behinderung (GdB) eintrifft und die Bewertung ihre tatsรคchlichen gesundheitlichen Einschrรคnkungen nicht angemessen widerspiegelt. Doch anstatt sich damit abzufinden, sollten Betroffene aktiv werden. Denn wer rechtzeitig handelt und die richtigen Schritte kennt, kann seine Chancen auf eine gerechtere Einstufung erheblich verbessern.

Der erste Schritt: Fristen wahren und Widerspruch einlegen

Sobald ein Bescheid zugestellt wird, beginnt eine wichtige Frist zu laufen. Betroffene haben genau einen Monat Zeit, um Widerspruch einzulegen. Diese Frist ist gesetzlich geregelt und wird streng angewandt. Wer sie versรคumt, hat nur in Ausnahmefรคllen noch eine Chance, die Entscheidung anzufechten.

Daher ist es ratsam, im Zweifel sofort einen formlosen Widerspruch einzureichen, um die Frist zu sichern. Die inhaltliche Begrรผndung kann spรคter nachgereicht werden, wenn genรผgend Informationen vorliegen.

Der Schlรผssel zur erfolgreichen Anfechtung: Akteneinsicht

Die Grundlage eines fundierten Widerspruchs ist die genaue Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen. Was auf den ersten Blick als unscheinbare Verwaltungsformalitรคt erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als zentrales Instrument zur Wahrung der eigenen Rechte.

Die Verwaltungsakte enthรคlt nicht nur die Namen der angeschriebenen ร„rztinnen und ร„rzte, sondern auch deren Einschรคtzungen und die vollstรคndige medizinische Dokumentation, auf die sich das Amt gestรผtzt hat. Aus der Akte lรคsst sich zudem ablesen, welche Einzelgrade der Behinderung fรผr die jeweiligen Erkrankungen oder Einschrรคnkungen festgestellt wurden.

Diese Informationen sind oft nicht vollstรคndig oder nicht nachvollziehbar im Bescheid dargestellt, was ohne Akteneinsicht leicht รผbersehen wird.

Oft zeigt sich, dass die Behรถrde nur unvollstรคndige รคrztliche Stellungnahmen eingeholt hat oder lediglich der Hausarzt zur Stellungnahme gebeten wurde. Dieser verfรผgt mรถglicherweise รผber keine aktuellen fachรคrztlichen Berichte, sodass die Entscheidung auf veralteten oder lรผckenhaften Grundlagen beruht.

Gerade in solchen Fรคllen lohnt sich eine รœberprรผfung besonders, denn eine aktualisierte medizinische Einschรคtzung kann die Ausgangsbasis grundlegend verรคndern.

So erfolgt die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung

Die Bewertung einer Behinderung bei mehreren Gesundheitsstรถrungen erfolgt komplexer, als es zunรคchst erscheinen mag. Zunรคchst werden fรผr jede Beeintrรคchtigung einzelne GdB-Werte vergeben. Diese Einzelgrade werden jedoch nicht einfach addiert. Stattdessen nimmt die Behรถrde eine Gesamtschau vor, die die wechselseitigen Auswirkungen der einzelnen Leiden berรผcksichtigt. Entscheidend ist hierbei, in welchem MaรŸ sich die Einschrรคnkungen gegenseitig verstรคrken oder unabhรคngig nebeneinanderstehen.

Als Ausgangspunkt dient die gesundheitliche Stรถrung mit dem hรถchsten Einzelgrad der Behinderung. AnschlieรŸend wird geprรผft, ob und inwieweit weitere Erkrankungen die Hauptbeeintrรคchtigung zusรคtzlich erschweren. In einigen Fรคllen รผberlagern sich Beschwerden, etwa bei Menschen, die sowohl an chronischen Rรผckenschmerzen als auch an einer Herzinsuffizienz leiden.

Wenn sich die Beschwerden gegenseitig verstรคrken, steigt auch der Gesamtgrad der Behinderung. Stehen die gesundheitlichen Beeintrรคchtigungen hingegen in keinem Zusammenhang und wirken unabhรคngig voneinander, bleibt der GdB nรคher am hรถchsten Einzelgrad.

Eine besonders groรŸe Rolle spielt dabei die tatsรคchliche Auswirkung auf den Alltag. MaรŸgeblich ist, wie die gesundheitlichen Einschrรคnkungen zusammengenommen die Erwerbsfรคhigkeit, die Mobilitรคt und die Selbststรคndigkeit im tรคglichen Leben beeinflussen. Diese Einschรคtzung erfordert umfassende Kenntnisse der individuellen Lebenssituation, die aus pauschalen Gutachten oft nicht hervorgehen.

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Typische Fehlerquellen bei der Feststellung des GdB

In der Praxis kommt es hรคufig zu Fehlern bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung. Ein hรคufiger Grund ist die unzureichende oder veraltete medizinische Datenlage. Viele Hausรคrzte verfรผgen nicht รผber aktuelle Diagnosen von Fachรคrzten, besonders wenn Patientinnen und Patienten รผber einen lรคngeren Zeitraum keine spezialisierte Behandlung in Anspruch genommen haben. Zeitdruck und hohe Arbeitsbelastung im medizinischen Bereich kรถnnen dazu fรผhren, dass die Stellungnahmen manchmal unvollstรคndig ausfallen.

Ein weiterer hรคufiger Fehler ist die falsche Selbsteinschรคtzung der Antragstellenden. Viele vergleichen ihre Situation mit der von Bekannten oder Verwandten, die รคhnliche Beschwerden haben. Solche Vergleiche sind jedoch kaum belastbar, da jede Schwerbehinderung individuell zu beurteilen ist.

Zwei Menschen mit der gleichen Diagnose kรถnnen im Alltag vรถllig unterschiedlich beeintrรคchtigt sein. Daher ist eine prรคzise und objektive Darstellung der eigenen Einschrรคnkungen fรผr das Verfahren von zentraler Bedeutung.

Wie Sie Einsicht in Ihre Akten erhalten

Die Einsichtnahme in die Verwaltungsakte kรถnnen Betroffene direkt beim zustรคndigen Versorgungsamt beantragen. Auf Wunsch unterstรผtzen auch spezialisierte Beratungsstellen wie der Sozialverband BDH bei diesem Prozess. Dort stehen erfahrene Juristinnen und Juristen bereit, die nicht nur bei der Akteneinsicht helfen, sondern auch bei der Formulierung des Widerspruchs und der weiteren Vertretung unterstรผtzen.

Fรผr die Akteneinsicht genรผgt ein formloser Antrag. In der Regel wird die Akte entweder zur Einsicht vor Ort bereitgestellt oder in Kopie รผberlassen. Es empfiehlt sich, alle relevanten Unterlagen sorgfรคltig zu prรผfen und mรถgliche Unstimmigkeiten oder Lรผcken gezielt zu notieren. Diese Anhaltspunkte bilden spรคter die Basis fรผr eine starke Widerspruchsbegrรผndung.

Widerspruch richtig begrรผnden und Erfolgschancen erhรถhen

Ein erfolgreicher Widerspruch stรผtzt sich auf eine umfassende und nachvollziehbare Begrรผndung. Wichtig ist dabei, aktuelle fachรคrztliche Gutachten vorzulegen, die den aktuellen Gesundheitszustand realistisch beschreiben.

Auch eine anschauliche Darstellung, wie die gesundheitlichen Einschrรคnkungen den Alltag konkret beeintrรคchtigen, kann entscheidend sein. Dabei sollte klar herausgearbeitet werden, in welchen Bereichen des Lebens die Selbststรคndigkeit, Mobilitรคt oder Erwerbsfรคhigkeit eingeschrรคnkt ist.

Besonders wirkungsvoll ist es, wenn aufgezeigt werden kann, dass die ursprรผngliche Entscheidung auf unvollstรคndigen oder fehlerhaften Informationen beruhte. Auch Hinweise auf die Wechselwirkungen verschiedener Erkrankungen, die mรถglicherweise nicht ausreichend berรผcksichtigt wurden, kรถnnen die Argumentation stรคrken.

Warum professionelle Hilfe oft entscheidend ist

Viele Betroffene empfinden das Verfahren rund um die Anerkennung einer Schwerbehinderung als komplex und belastend. Fachkundige Unterstรผtzung durch Sozialverbรคnde oder spezialisierte Anwรคlte kann hier nicht nur entlasten, sondern auch die Erfolgschancen erheblich steigern.

Diese Experten kennen die Feinheiten des Verfahrens und wissen, wie Behรถrden auf bestimmte Argumentationen reagieren. Zudem รผbernehmen sie die Formulierung der Schriftsรคtze und vertreten Betroffene bei Bedarf auch vor dem Sozialgericht.

Wer frรผhzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, vermeidet typische Fehler, spart Zeit und kann sicherstellen, dass seine Rechte umfassend gewahrt bleiben.