Rente: Früher raus, später arm – die neue Rentenfalle

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Die Zahlen wirken auf den ersten Blick beruhigend: 64 Prozent der mitbestimmten Betriebe bieten ihren Beschäf­tigten zumindest ein Modell für den vorzeitigen Ausstieg an, am häufigsten die Altersteilzeit. Doch wer genauer hin­schaut, erkennt eine soziale Spaltung, die sich quer durch die Arbeitswelt frisst.

Wo Tarifverträge fehlen, gibt es auch keinen gleitenden Ruhestand. In nicht‑tarif­gebundenen Betrieben fällt das Angebot auf unter 50 Prozent. Gerade dort, wo Löhne niedrig und die Arbeit physisch belastend ist, bleibt der frühe Ausstieg Wunschdenken.

Welche Instrumente bieten Betriebe an?

Instrument des Altersübergangs Anteil (% aller Betriebe)
Altersteilzeitregelungen 41,5
Weiterbeschäftigung bei vorgezogener Altersrente 29,2
Lebens- bzw. Langzeitkonten (für Vorruhestand) 15,7
Vorzeitiger Rentenbezug + betriebliche Leistungen 13,6
Arbeitslosengeld + betriebliche Aufstockung 5
Sonstige Wege 5,9
Mindestens ein Instrument vorhanden 64,4

 

Eine Verschleißprämie, die die Verschlissenen nicht erreichen

Altersteilzeit war einmal als Brücke gedacht: Wer jahrzehnte­lang im Schicht­dienst stand oder den Körper in der Bau­grube ließ, sollte früher gehen können, ohne in Altersarmut zu rutschen. Seit die staatliche Förderung 2010 auslief, hängt dieses Versprechen allein an der Kasse des Arbeitgebers – und an dessen Bereitschaft, Aufstockungen zu zahlen.

Ergebnis: Ein gefördertes Instrument ist zur privaten Gefälligkeit geworden. Arbeitnehmer\innen fragen, Unternehmen nicken oder schütteln den Kopf.

Hinzu kommt die ökonomische Asymmetrie: Großkonzerne mit starker Mitbestimmung polstern großzügig auf; klei­nere Dienstleistungs­betriebe, oft tariflos, winken ab. Wer im Lager hebt, wer putzt, wer pflegt, hat die geringste Chance, den eigenen Körper rechtzeitig aus der Produktion zu retten.

Gesundheitliche Erosion statt sozialer Gerechtigkeit

Fast zwei Drittel der Betriebsräte melden gesundheitliche Gründe als Haupt­motiv für den vorzeitig gewünschten Ausstieg. Die betriebliche Realität lautet also: Diejenigen, die nicht mehr können, dürfen nicht – während jene, die es sich leisten können, dürfen. Das Ergebnis sieht man Jahre später im Renten­bescheid: gekürzte Anwartschaften, Lücken im Versicherungs­verlauf, ein direkter Weg ins Bürgergeld im Alter.

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Die ehemalige Ampel-Regierung rühmte sich, die Hinzuverdienstgrenze in der Teilrente gestrichen zu haben. Gut gemeint, doch kein Ersatz für ein kollektives Übergangs­modell. Gesetzliche Initiativen für einen verbindlichen Rechts­anspruch?

Fehlanzeige. Dabei läge die Lösung auf der Hand: Ein solidarisch finanzierter Fonds, gespeist aus Bundes­mitteln und Arbeitgeberbeiträgen, könnte Betriebe verpflichten, Altersteilzeit zu fairen Konditionen anzubieten – unabhängig von Tarifbindung.

Was jetzt zu tun ist

  1. Rechtsanspruch einführen. Ohne verpflichtenden Rahmen bleibt Altersteilzeit das Privileg der Starken.
  2. Solidarfonds reaktivieren. Staatliche Kofinanzierung senkt Hürden für kleine Betriebe.
  3. Tarifbindung stärken. Nur tariflich geschützte Beschäftigte können heute systematisch verhandeln.
  4. Monitoring verpflichten. Betriebe müssen offenlegen, wer welche Übergangs­option erhält – damit soziale Selektivität sichtbar wird.

Altersteilzeit kein automatischer Schutz vor Altersarmut

Der WSI‑Report liefert klare Belege: Altersteilzeit ist längst kein automatischer Schutz vor Altersarmut mehr, sondern spiegelt die Machtverhältnisse in den Betrieben wider. Wer den Morgen nach der Arbeit sozial gerecht gestalten will, muss heute dafür sorgen, dass alle die Brücke erreichen – nicht nur die, die ohnehin auf der Sonnenseite arbeiten.