Urteil: Pflegegrad darf nur bei nachgewiesener Verbesserung gesenkt werden

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Die fรผnf Pflegegrade bestimmen den Umfang der Leistungen, die die Pflegebedรผrftigen von der Pflegekasse erhalten. Die Einstufung ist immer wieder Grund fรผr Konflikte, รผber die erst Sozialgerichte entscheiden. Ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen zeigt deutlich, wie wichtig der Nachweis eines verbesserten Gesundheitszustands ist, um einen Pflegegrad zu senken. (L 12 P 62/23)

Pflegegrad wegen diverser Leiden

Die Betroffene leidet unter anderem an einer Stenose des Spinalkanals mit Taubheitsgefรผhl und Verlust der Gehfรคhigkeit, einer Arthritis der FรผรŸe, einem metabolischen Syndrom mit schwerem รœbergewicht, ร–dem an Unterschenkeln und Lymphen.

Hinzu kommen eine insulinpflichtige Diabetes Mellitus Typ 2, Neurodermitis, und eine chronische Niereninsuffizienz. AuรŸerdem gehรถrt eine depressive Verstimmung zu ihrem Krankheitsbild. Seit dem Tod ihres Ehemannes 2021 lebt sie in einem Pflegeheim.

Von Pflegegrad 3 zu Pflegegrad 4

Bis Ende 2016 erhielt sie hรคusliche Pflege in Hรถhe der damaligen Pflegestufe 2. 2017 wurde dies in den Pflegegrad 3 umgewandelt. Im Mai 2017 beantragte sie einen hรถheren Pflegegrad und bekam seit 22.6.2017 Leistungen in Hรถhe des Pflegegrades 4.

Betroffene kann mit Messer und Gabel essen

Eine Wiederholungsbegutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK) schรคtzte den Bedarf fรผr die tรคglichen Verrichtungen der Grundpflege inzwischen als geringer ein.

So hรคtte die Betroffene ein Glas sicher zum Mund fรผhren, Verschlรผsse รถffnen und Messer wie Gabel benutzen kรถnnen. Sie habe angegeben, selbststรคndig essen und trinken zu kรถnnen. Allerdings fiele ihr wegen Taubheit bisweilen das Besteck aus der linken Hand.

Geringe Hilfe beim Aufstehen

Mit Festhalten am Mobiliar oder durch Nutzung eines Hilfsmittels kรถnne sie eigenstรคndig stehen, und fรผr das Aufstehen brauche sie geringe Hilfe. Innerhalb der Wohnung bewege sie sich im Rollstuhl selbststรคndig. Antriebslosigkeit wegen depressiver Verstimmung habe zum Zeitpunkt des Gutachtens nicht bestanden. Blutzucker wรผrde sie ebenso selbststรคndig messen wie sich Injektionen zu verabreichen.

Von Pflegegrad 4 zu Pflegegrad 3

Auf Grundlage dieses Gutachten hob die Krankenversicherung den Bescheid vom 22.6.2017 auf und begrรผndete dies mit der ร„nderung der tatsรคchlichen Verhรคltnisse. Am 20.4.2019 wurde die Leistungsgewรคhrung nach Pflegegrad 4 beendet.

Die Krankenkasse bezog sich zusรคtzlich auf ein zweites Gutachten des MDK nach Aktenlage, und dieses bestรคtigte die Entscheidung. So hรคtten sich Greifkraft der Hรคnde, Armbeweglichkeit und Feinmotorik nach regelmรครŸiger Physiotherapie gegenรผber Mai 2017 deutlich verbessert.

Dies bedinge einen hรถheren Grad der Selbststรคndigkeit. Auch im Bereich der Mobilitรคt gebe es eine Verbesserung im Vergleich zur Zeit des festgestellten Pflegegrades 4. Die Krankenkasse gewรคhrte Pflegegeld jetzt nur noch entsprechend Pflegegrad 3.

Allein die Fortbewegung in der Wohnung fรผhrt zu niedrigerem Pflegegrad

Die Betroffene legte Widerspruch ein und klagte nach dessen Zurรผckweisung vor dem Sozialgericht, um ihren Anspruch auf Beibehaltung des Pflegegrades 4 durchzusetzen. Dieses wies die Klage zurรผck. Das Gericht begrรผndete dies damit, dass sich laut Gutachten eine Verbesserung in der Feinmotorik und der Armbeweglichkeit feststellen lieรŸen, und dies verringere den Hilfebedarf im Bereich der Selbstversorgung.

Da sie sich in ihrer Wohnung mit Rollstuhl selbststรคndig bewegen kรถnne, sei der Hilfebedarf bei der Fortbewegung im Wohnbereich nur noch als รผberwiegend selbststรคndig zu bewerten. Allein durch die Verรคnderung der Fortbewegung im Wohnbereich wรผrden die gewichteten Punkte unter einem Wert liegen, der einen Pflegegrad von 4 rechtfertige.

Berufung ist erfolglos

Die Betroffene legte vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Berufung ein, doch auch diese fรผhrte nicht zum Erfolg. Sie gab an, dass ihr Hausarzt vielmehr festgehalten habe, ihr Allgemeinzustand hรคtte sich verschlechtert.

Er habe von ihrer starken Vergesslichkeit und depressiven Verstimmungen berichtet und davon, dass sie sich nur noch das Gesicht selbst waschen kรถnne und ansonsten auf Fremdpflege angewiesen sei.

Zweifelsfreie Beobachtungen zeigen mรถgliche Selbstversorgung

Das Landessozialgericht verwies darauf, dass die Befunde des Hausarztes bereits in der ersten Instanz berรผcksichtigt worden seien. Sachverstรคndige und der MDK-Gutachter hรคtten auf der Basis zweifelsfreier eigener Beobachtungen dargelegt, dass sie 2021 und 2018 anders als im Mai 2017 die Hรคnde so nutzen konnte, dass Selbstversorgung weitgehend mรถglich sei.

Keine diagnostizierte Depression

Auch sei eine depressive Verstimmung nicht mehr feststellbar, und eine Depression oder Psychose seien nicht diagnostiziert worden. Eine hilfsbedรผrftige Antriebslosigkeit sei fraglich. Das Kriterium dafรผr sei ein aufwรคndiger Bedarf an Motivation fรผr die Pflegeperson. Dieser sei nicht nachzuweisen.

Fazit

Die Betroffene scheiterte am Ende vor Gericht. Das Verfahren zeigt allerdings vor allem, das eine Herabsenkung eines Pflegegrades nur gerechtfertigt ist, wenn medizinische Gutachten belegen, dass eine genau messbare Verbesserung eingetreten ist.