Essay zu Hartz IV, Prekariat und Arbeitslosigkeit:
"Abhängiges Prekariat" Lieber unabhängig denken als auf solche Worthülsen der Politiker reinfallen
von Konstantin Wecker, Politik hinter den Schlagzeilen
Da haben sie sich wieder was ganz feines einfallen lassen, die Wortverdreher und Sprachzerstückler, in Thinktanks erarbeitet und der blöden Masse zum Fraß vorgeworfen: "abgehängtes Prekariat". Toll, das hat ja dann nichts mit uns zu tun, das betrifft irgendwelche Wesen vom anderen Stern, das ist die Sprache, die keinen interessiert, weil sie keiner versteht. Das soll so sein, natürlich, denn wenn wir mitbekommen würden dass es sich bei diesem Wortungetüm um fast 10 Prozent der Bundesbürger handelt, die Harz IV Gebeutelten (Empfänger klingt geradezu euphemistisch), die Arbeitslosen, die Armen, die im neoliberalen Wahn kaputt Gewirtschafteten, die auch und gerade von der SPD Verlassenen, ja, wenn wir das mitkriegen würden, würden wir uns vielleicht sogar mal Gedanken machen über all die Ungerechtigkeiten, die uns eine von Wirtschaftssinteressen in Geiselhaft genommene Regierung angedeihen lässt.
Prekariat ist schlicht und einfach zunehmende Arbeitslosigkeit mit ökonomischen, sozialen und psychischen Folgen, sowie einer steigenden sozialen Angst, die (noch) Arbeitende ergreift (Wikipedia). Natürlich ist nichts anders gemeint als eine zunehmend verarmende Unterschicht, abgehängt von den wenigen, die sich zunehmend an denen bereichern, denen sie Angst einjagen. Es war wohlweislich die Friedrich Ebert Stiftung, die das Wort Unterschicht in ihrer Studie vermied. (siehe Spiegel online) Und Prekariat klingt nun mal, vor allem weil es keiner versteht, viel versöhnlicher, so wie man statt von Krieg von "Interventionen" spricht, so wie Schlachten zu "Krisen-Reaktionseinsätzen" mutieren, Armeen zu "Einheiten" werden, mörderische Angriffe zu "notwendigen Operationen" und zivile Kriegstote zu "Kollateralschäden".
Man hat uns die Hoheit der Sprache gestohlen und die Medien sind willfährige Vasallen dieser unmenschlichen und abgrundtief hässlichen Sprache. Nach Jon Pilger leben wir alle nicht in einem "Informationszeitalter" sondern in einem "Medienzeitalter". Die Ideologie des neoliberalen Kapitalismus, wie er von den "Chicago Boys" Hayek und Friedman theoretisch entwickelt wurde, wurde vor allem durch angepasste Medien und Journalisten verbreitet und wie in einem totalitärem System als "alternativlos" dargestellt. Neue Technologien und riesige Medienkonzerne wie AOL-Time-Warner oder Murdoch (oder hierzulande Springer und Bertelsmann) spielten dabei eine entscheidende Rolle. Der von dieser Geldmacht erzwungene Journalismus führt zu einer systematischen Zerstörung von Geschichte, zu einer Ausblendung nicht-konformer Nachrichten und Meinungen und zu einem Meinungsmonopol, nicht anders als bei verstaatlichten Medien (Maria Mies: Krieg ohne Grenzen).
Man beraubt uns unserer eigenen Sprache und dadurch der Wahrheit. Abgehängtes Prekariat? Das sind wir alle, wir, die wir nicht mitmachen mit dem hemmungslosen Mammonismus, dieser eigentlichen Weltreligion, die sich mit Hilfe eines neoliberalen Netzwerkes von Stiftungen, Instituten, Forschungszentren und Public-Relations-Lohnschreibern auf dem ganzen Globus wie ein lebensbedrohender Virus verbreitet und schon längst die eigentlichen Weltreligionen ins Abseits gedrängt hat. Abgehängt, längst abgehängt sind wir alle, von den unermesslich Reichen. Ihre Gier und ihren Reichtum könnten sie gerne für sich behalten, aber die obszöne Macht, die sich daraus ergibt, gefährdet unser aller Dasein und Überleben. Denn diese Macht ist fast ausschließlich in den Händen grandioser Dummköpfe, die Leben mit Besitz verwechseln und alles in der Hand haben außer sich selbst. Wir abgehängtes Prekariat sollten sie so schnell wie möglich abhängen.
Michael Jäger schreibt im Webmagazin "Freitag" am Ende seines Beitrags über das abgehängte Prekariat: "Die SPD-Führung diskutierte am Wochenende nicht über Auswege, sondern legte noch einmal nach, einigte sich auf eine neue Sprachregelung: Hartz IV habe die Armut nicht geschaffen, sondern ´an die Oberfläche gebracht´(Thierse) und den ´Blick auf notwendige soziale Reformen geöffnet´. Das ist, als wenn man sagt, die kürzliche Entdeckung eines toten Kindes in der Wohnung eines Bremer drogenabhängigen Vaters habe die Augen dafür geöffnet, dass man Kinder nicht in Kühlschränke legen sollte."
Treffender kann man den neoliberalen Zynismus unserer politischen ´Elite´ kaum beschreiben!
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