Bei der Expertenanhörung im Deutschen Bundestag unterbreiteten Verbände Vorschläge zur Neuberechnung der Hartz-IV Regelsätze.
(18.05.2010) Gestern fand eine Experten Anhörung zur Neuberechnung der Hartz-IV Regelsätze im Deutschen Bundestag statt. Auf Antrag der Fraktionen "Bündnis 90/Die Grünen" und SPD fand eine Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales statt. Eingeladen waren Vertreter unterschiedlicher Interessen- und Sozialverbände. Die Fragestellung lautete, wie können die ALG II-Regelleistungen entsprechend dem gefällten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bedarfsgerecht ermittelt werden. Der Regelsatz für Kinder müsste sich an "kindlichen Entwicklungsphasen und einer kindgerechten Persönlichkeitsentfaltung" ausrichten, forderten im Februar die Karlsruher Verfassungsrichter. Die, die es am Meisten betrifft, waren nicht zur "Experten-Anhörung" geladen: Erwerbsloseninitiativen waren nicht eingeladen. Zu kritisieren ist, dass die Anhörung genau 60 Minuten andauerte. In einer Stunde kann niemals ein so komplexes Thema eingehend thematisiert werden, auch wenn alle geladenen Politiker und Verbandssprecher sich bestens mit der Materie auskennen sollten. An der Anhörung nahmen 37 Ausschußmitglieder (CDU/CSU: 14, SPD: 9, FDP: 6, Die Linke: 4, Bündnis 90/Die Grünen: 4) teil. Zusätzlich waren zwölf Verbands-Vertreter geladen.
Eltern werde bei einem Gutscheinmodell die Verantwortung genommen.
Andreas Kilbitz vom Deutschen Kinderschutzbund stellte klar, dass der Kinderschutzbund ein "Gutscheinmodell" nicht unterstütze. Eltern werde damit ihre Verantwortung vorenthalten. Viele Studien hätten ergeben, dass die aller meisten Eltern lieber an ihrem eigenen Bedarf sparen, damit es den Kinder gut gehe. Unterstützung fand der Einspruch auch bei Dietrich Engels vom Institut für Sozialforschung. Denn die Ausgabe von Gutscheinen würde zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte eine Gutschein-Regelung für zusätzliche Leistungen bei Kindern angekündigt, anstatt grundsätzlich den ALG II-Regelsatz für Kinder und Jugendliche zu erhöhen. Unterstützung findet dieser Vorschlag bei den Arbeitgeberverbänden. Jürgen Wuttke von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht in dem Gutscheinmodell die Möglichkeit, Kindern aus Hartz-IV Familien einen Zugang zu "schulischen, kulturellen oder sportlichen Angeboten zu garantieren".
"Statistikmodell" keine Alternative zur "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe"?
Volkswirtin Irene Becker argumentierte, eine Berechnung der Regelsätze nach dem "Statistikmodell" sei keine Alternative zur "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe" (EVS) des Statistischen Bundesamtes. Um die ALG II Regelsätze zu ermitteln, werden bei der EVS 20 Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen aus Stichproben erhoben. Nach Ansicht Beckers gebe es keine andere Möglichkeit, denn die EVS wäre "breit angelegt". Deshalb müsse man sich an den EVS-Statistiken orientieren. Einspruch kam hingegen von der Familienrechtlerin Anna Lenze. Wenn schon, dann müssten die EVS-Berechnungen sich nicht an den niedrigsten Haushalten orientieren, sondern an denen der sog. Mittelschicht. Nur so könne den Kindern eine Chancenreiche Zukunft garantiert werden. Heinz Hilgers vom Kinderschutzbund sagte, die EVS sei nur geeignet das Existenzminimums eines Kindes zu ermitteln, aber ungeeignet, um den Bedarf der Kinder für Schule und Persönlichkeitsentwicklung zu ermitteln.
Nicht alle Leistungen können zu pauschalen Regelsätzen zusammengefasst werden, sagte Werner Hesse vom Paritätischen Gesamtverband. Wenn Eltern 2,50 Euro im Monat für Nachhilfe-Unterricht zugesprochen bekommen, könnten sie dennoch keine Nachhilfe davon finanzieren. Es gibt nämliche keine Möglichkeit eine Nachhilfe für 2,50 Euro im Monat zu organisieren.
420 Euro Regelsatz?
Einigkeit gab es in folgenden Punkten: Der im Gesetzesantrag der Grünen und der benannte neue Regelsatzbetrag von 420 Euro wird von den geladenen Experten als "sachlich durchaus begründet" angesehen. Für besondere Bedarfe, die nicht mit dem Regelsatz abgedeckt werden, dürfe es keine Darlehen mehr geben. Statt dessen solle es Zusatzbedarfe geben. Auch bei den Sanktionen gab es zumindest die Einigkeit innerhalb der Expertenrunde, dass diese nicht unter dem kulturellen Anteils des soziokulturellen Existenzminimums rechtmäßig ist. Eine pauschale ALG II-Sanktions-Kürzung um 30 Prozent bis sogar 100 Prozent ist nicht mit Verfassung vereinbar.
All diese Vorschläge sind zunächst nur Statements der einzelnen Verbände. Eine Entscheidung, wie die Regelsätze neu berechnet werden könnten, muss letztendlich die Politik fällen. Bis zum Ende des Jahres hat die Bundesregierung Zeit, eine Neustrukturierung der Regelsatz-Berechnung vorzunehmen. Dabei geht es nicht, wie weit verbreitet angenommen, nur um die Regelsätze für Kinder, sondern auch um die Erwachsenen-Regelsätze. Die Aussichten stehen allerdings schlecht. Die Bundesregierung bevorzugt Gutschein-Modelle für zusätzliche Bedarfe, anstatt tatsächliche Regelsatz-Anpassungen vorzunehmen. Auch Michael Löher vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge wies darauf hin, dass die Entscheidung über die Höhe der Regelsätze zwar durch eine gesellschaftliche Debatte oder eine Expertenkommission unterstützt werden könne. Letztendlich müssen aber die Entscheidung auf politischer Ebene gefällt werden. (sb)
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