Hartz IV-Sanktionen: ZDF, Handelsblatt, „Anne Will“ und andere verbreiten statistischen Unfug
07.12.2012
„Er hob hervor, dass die mehr als eine Million Sanktionen nur gegen 3,2 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger oder 146.000 Menschen verhängt worden seien.“ Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der „BA-Sprecher“ (ZDF) dies tatsächlich hervor hob, stellt sich die Frage: Müssen Journalisten oder Journalistinnen solch einen offensichtlichen Unfug verbreiten ohne eine solche Meldung kritisch zu hinterfragen?
Mehr als eine Million Sanktionen (innerhalb von 12 Monaten) gegen „nur“ 146.000 Menschen?
Etwa sieben Sanktionen pro Kopf (sieben Sanktionen pro Kopf … im Durchschnitt!) innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten!? Fragt man da nicht mal nach? Nein. Stattdessen Journalismus nach der Methode „stille Post“, von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) über Pressestelle(n), Nachrichtenagentur(en) u.s.w. in die (Online-)Artikel und Sendungen!?
Die Statistik der BA kann diese „gut gemeinte“ (?) Aussage jedenfalls nicht bestätigen. Auf die Frage, ob sich ermitteln ließe, gegen wie viele verschiedene Menschen sich die 1,017 Millionen neu festgestellten Sanktionen in den 12 Monaten von August 2011 bis Juli 2012 richteten, nannte die Statistik der BA erwartungsgemäß eine wesentlich höhere Zahl. Im Verlauf dieser 12 Monate waren insgesamt 555.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Alg II) mindestens einmal von einer gegen sie verhängten Sanktion betoffen.
Das heißt: es waren mehr als dreieinhalb mal so viele Menschen direkt von Sanktionen betroffen wie von ZDF, Handelsblatt, „Anne Will“ und anderen (online) berichtet. Indirekt waren noch deutlich mehr Menschen von diesen Sanktionen betroffen, denn nicht alle sanktionierten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten leben in einer sogenannten „Single-Bedarfsgemeinschaft“. Im Juli 2012 kamen im Durchschnitt auf 1.000 sanktionierte erwerbsfähige Leistungsberechtigte über 880 weitere Personen, darunter über 500 Kinder im Alter von unter 18 Jahren, die mit diesen in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft (BG) lebten.
Unterstellt man diese BG-Struktur für alle 555.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die im Verlauf der 12 Monate von August 2011 bis Juli 2012 von mindestens einer Sanktion betroffen waren, ergibt sich daraus eine Zahl von über eine Million Menschen (555.000 mal 1,88 oder 555 mal 1.880), darunter mehr als 277.000 Kinder im Alter von unter 18 Jahren (555.000 mal 0,5 oder 555 mal 500)! (Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugend berufshilfe e.V. (BIAJ)
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Bild: Heike / pixelio.de
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