Hartz IV: Jobcenter missachtet Bundessozialgericht

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Sozialgericht Dortmund: Kosten der Unterkunft (KdU) Berechnung des Jobcenter Bochum nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

10.11.2011

Wie das Sozialgericht Dortmund jetzt in einem „Hinweis“ an das Jobcenter Bochum feststellt, „dürfte die von Ihnen vorgenommene Methode der Berechnung der Betriebskosten nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG stehen. Gleiches dürfte für die Heizkosten gelten“. Es bestehen zudem „erhebliche Bedenken an der Rechtmässigkeit der Berechnung der Betriebs- und Heizkosten“. Demnach ist die Grenze der angemessenen kalten Betriebskosten bei Hartz IV abstrakt und unabhängig von der Wohnungsgrösse zu bestimmen. Auch die Heizkosten sind unabhängig von der Wohnungsgrösse zu übernehmen, sofern sie nicht die Angemessenheitsgrenze überschreiten.

Die Rechtmässigkeit der langjährigen Praxis der ARGE / Jobcenter Bochum, Betriebskosten und Heizkosten nur anteilig zu übernehmen, wenn die Wohnung zwar preiswert aber grösser als zugebilligt ist wird damit bezweifelt. Kommt es zu der angestrebten gerichtlichen Entscheidung (und hält sich das Jobcenter daran), so werden davon viele Bochumer und Bochumerinnen profitieren können, deren Kaltmiete, die kalten Betriebskosten und die Heizkosten zwar unter den Angemessenheitsgrenzen liegen, deren Wohnfläche aber über den zugebilligten 45 qm für eineN Single (+ 15 qm je weiter Person) liegen.

Zudem ist die Praxis des JC Bochum rechtswidrig, bei Neuanmietungen nur Wohnraum innerhalb der oben angegeben Grenzen zu genehmigen. In ständiger Rechtssprechung stellt das Bundessozialgericht fest, dass es bei der Bewertung der Angemessenheit allein auf die Kosten ankommt und nicht auf Ausstattungsmerkmale, auch nicht auf die tatsächliche Grösse.

Die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens ist dem Jobcenter bekannt. Sie berufen sich aber darauf, durch die Stadt Bochum zu diesem systematischen vorsätzlichen Rechtsbruch gezwungen zu werden. Der Kommune obliegt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Z. 2 SGB II die Regelungshoheit über den zugebilligten Wohnraum im Rahmen der Hartz IV-Leistungen. Das allerdings nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Fiskalische Erwägungen und durch die Hauhaltsnot bedingter Sparkrampf ermächtigen nicht zum Rechtsbruch.

Der beschriebene systematische vorsätzliche Rechtsbruch ist in den SGB II-Behörden Deutschlands weit verbreitet. Er bleibt in der Regel ungeahndet, weil die Betroffenen in ihrer Not, dringlich Wohnraum anmieten zu müssen, nicht den Rechtsweg abwarten können. De Möglichkeiten für Neuanmietungen werden durch das systematisch vorsätzlich rechtswidrige Verhalten der Behörde auch stark eingeschränkt: zwar ist in Bochum i. A. noch Wohnraum unter den beschriebenen einengenden Bedingungen zu erhalten, aber oftmals nur mit schlechter Ausstattung und/oder in Mansardenlage. Letzteres ist v.a. für Alleinerziehende und Ältere mit erhöhten gesundheitlichen Belastungen verbunden. (Norbert Hermann – Bochum-Prekär)

Mehr dazu hier:
http://www.bo-alternativ.de/Mietgrenzen.pdf

Weiteres Material dazu:
Das SG Dortmund bezieht sich in seinem Schreiben auf folgende zwei Entscheidungen des Bundessozialgerichts: BSG Urteil AZ: B 14 AS 32/09 R

Auszug:
Die angemessene Leistung für die Unterkunft ist entsprechend der soeben aufgeführten Rechtsprechung unter Zugrundelegung der sog Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu ermitteln: (1) Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. (2) Alsdann ist der maßgebliche örtliche Vergleichsraum festzulegen. (3) Im nächsten Schritt ist unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums zu zahlen ist, um die nach der Produkttheorie angemessene Nettokaltmiete zu ermitteln. (4) Zu der Nettokaltmiete sind noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen.

(4) Neben der Nettokaltmiete sind auch die angemessenen (kalten) Betriebskosten iS des § 556 BGB abstrakt zu bestimmen und als Faktor in die Berechnung der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft mit einzubeziehen. Dazu kann auf Betriebskostenübersichten zurückgegriffen werden, möglichst allerdings auf örtliche wegen der regionalen Unterschiede insbesondere bei Ver- und Entsorgungsdienstleistungen (vgl nur BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R – zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 33 f). Dem wird das Urteil des LSG nicht gerecht, weil es ohne weitergehende Begründung die Werte des Anhangs I zum Berliner Mietspiegel 2007 herangezogen und den oberen Wert einer 4/5-Spanne zur Berechnung der Kaltbetriebskosten zugrunde gelegt hat, was zu einem Betrag von 2,59 Euro pro Monat und Quadratmeter führt (siehe die Tabelle auf Seite 18 des Berliner Mietspiegels 2007).

BSG, Urteil AZ: B 14 AS 50/10 R
Auszug: d) Zutreffend geht das LSG davon aus, dass neben der Nettokaltmiete auch die angemessenen Betriebskosten iS des § 556 BGB – mit Ausnahme der Heizkosten – abstrakt zu bestimmen und als Faktor in das Produkt mit einzubeziehen sind. Schon der Wortlaut des § 22 Abs 1 SGB II zeigt, dass diese Kosten zu den KdU für einen Hilfebedürftigen gehören und nicht – wie die Heizkosten – getrennt erfasst werden sollen. Zur realistischen Abbildung eines abstrakt angemessenen Mietpreises ist die Einbeziehung des Faktors "kalte Betriebskosten" erforderlich. Dies entspricht den mietrechtlichen Vorgaben im Mietwohnungsbau, an denen sich der Gesetzgeber des SGB II wegen der KdU orientiert. Eine vertragliche Vereinbarung über die Umlage der Betriebskosten auf den Mieter erfolgt bei Abschluss eines Mietvertrages nahezu ausnahmslos, denn ohne eine solche Regelung können die in § 556 BGB genannten Betriebskosten vom Vermieter nicht auf den Mieter umgelegt werden (vgl nur Blank in Blank/Börstinghaus, aaO § 556 RdNr 1). Auch der Vermieter von preisgebundenem Wohnraum kann Betriebskosten nur als gesondert abzurechnende Kosten auf den Mieter abwälzen (vgl § 20 der Verordnung über die Ermittlung der zulässigen Miete für preisgebundene Wohnungen – Neubaumietenverordnung – BGBl I 1990, 2204 idF BGBl I 2003, 2346).

Das Bundessozialgericht hat zudem in ständiger Rechtssprechung, (z.B. AZ: B 7b AS 18/06 R und AZ: B 14 AS 36/08 R) entschieden, das es keinesfalls auf die Gesamtgröße oder sonstige Ausstattungsmerkmale ankommt, sondern allein auf die Miethöhe. Dann seien auch die anfallenden Heizkosten zu übernehmen. Die ARGE Bochum ist allerdings von der verantwortlichen Verwaltungsspitze des Sozialamtes aufgefordert worden, die höchste Rechtsprechung zu ignorieren und Wohnungen abzulehnen, die mehr als unwesentlich größer sind als die angegebenen Grenzen, unabhängig von den Kosten. Die Stadt Essen hingegen ist hierin vorbildlich.

Wird die Angemessenheitsgrenze („netto kalt“) überschritten, sind aber die Miet- und Nebenkosten insgesamt als günstig anzusehen (z.B. bei einem sog. „Niedrigenergiehaus“), so kann unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit trotzdem die Genehmigung verlangt werden.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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