Fünf Jahre Hartz IV
von Gerd-Dieter Lehmann
Ganz allmählich setzt sich parteiübergreifend die Erkenntnis durch, dass die Hartz IV- Gesetze dringend zu reformieren sind. Immer wieder wird dabei darauf verwiesen, wie segensreich doch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei. Das Kriterium der Wahrheit ist die Praxis und diese sah bzw. sieht so aus: Der unbestreitbare Vorteil für die Sozialhilfeempfänger liegt darin, dass sie nun von nur einer Behörde „betreut“ werden und sich so Wege ersparen. Waren sie aber vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder wurden sie gar wie in einer TV-Sendung im Januar einer der Nürnberger Bosse Herr Alt behauptete, aus der Dunkelheit geholt? Beides trifft nicht zu.
In Potsdam hatten sich die Sozialhilfeempfänger quartalsweise im Arbeitsamt zu melden und sie konnten nach allen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs-gesetzes (von der ABM über Lohnkosten-und Eingliederungszuschüsse bis zu Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen) gefördert werden.
Die gravierendste Veränderung für die Sozialhilfeempfänger liegt in der Streichung der vor Hartz üblichen Sachkostenzuschüsse für Kleidung, Mobilar und Haushaltsgeräte wie Kühl-schränke, Waschmaschinen usw. Bis heute gibt es Meinungen, wonach der Regelsatz völlig ausreichend sei, um monatlich soviel Geld zu sparen all diese Dinge zu beschaffen.
Tatsächlich aber reicht der Regelsatz kaum zum täglichen Überleben aus wie über eine Million Nutzer der 800 Tafeln in Deutschland deutlich machen. Die Menschen kommen gerade so über den Monat und bei Ausfall des Kühlschrankes muß ein intaktes Gerät irgendwie „besorgt“ werden. Keinesfalls geschieht das aber über gespartes Geld des Regelsatzes.
Weitere Veränderungen sind:
1. Die Antragstellung
Sicher haben amtliche Formulare schon seit jeher so ihre Tücken. Die Antragsformulare für das Alg II aber sind eine Perversion jedes Dienstleistungsgedankens und ein vorsätzlicher Gesetzesbruch. Der § 17 des SGB I, „Ausführung der Sozialleistungen“ legt eindeutig fest:
(1) „Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß
3. der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst einfach gestaltet wird, insbesondere durch Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke.“ Jeder der einen solchen Antrag ausgefüllt hat weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.
Fünf Jahre nach Einführung dieses unsäglichen Vordruckes hat sich nichts daran geändert. Ganz im Gegenteil wurde der Vordruck zur Weiterbewilligung der Alg II- Leistungen von der ursprünglich noch zumutbaren Variante vor Jahresfrist weiter verkompliziert. Aber die Verbürokratisierungsorgie geht weiter. Alle sechs Monate sind die Leistungen neu zu beantragen. Das ist reine Willkür den Betroffenen gegenüber ohne jeglichen Sinn oder Nutzen.
2.Das Amt
Laut dem Brandenburger Arbeitsminister Baaske „betreut“ jeder Mitarbeiter heute 150 Ar-beitslose gegenüber 800 Arbeitslosen zuvor. Vor Hartz waren die Ämter fünf Tage in der Woche geöffnet, der Zugang zum Arbeitsvermittler oder Arbeitsberater jederzeit möglich und selbst ein telefonischen direkter Kontakt zu den Mitarbeitern nicht ausgeschlossen.
In der Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (PAGA) ist die Leistungsabteilung Montags nur nach Vereinbarung erreichbar und Mittwochs ist das gesamte Amt geschlossen.
Wenn alle Arbeitslosen halbjährlich einmal das Amt aufsuchen hat jeder Mitarbeiter 25 Gespräche monatlich, also 1,5 Gespräche pro Arbeitstag. Ein Gespräch dauert ca. 30 Minuten, die Nachbereitung auch und somit ist der Mitarbeiter täglich 90 Minuten mit den Arbeitslosen beschäftigt… Läuft Mensch durch die Flure der PAGA endeckt er zweierlei Schilder. Eines wie üblich mit Namen des Mitarbeiters und der Zimmernummer. An einigen Türen ist darüber hinaus der Hinweis, dass ohne Termin ein Gespräch nicht stattfindet. Hinter den erstgenannten Türen befinden sich die Mitarbeiter die Alg I-Empfänger vermitteln. Diese dürfen jederzeit vorsprechen.
Nicht so das Prekariat. Die haben sich einen Termin geben zu lassen. Wo kämen wir auch hin, wenn Menschen die lange Zeit arbeitslos sind und einer besonders intensiven Betreuung bedürfen jederzeit vorsprechen dürften. Einen telefonischen Direktkontakt herzustellen kommt sechs Richtigen im Lotto gleich.
Was sagt der Gesetzgeber dazu? Wieder § 17 SGB I :
(1) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß
4. ihre Verwaltungs- und Dienstgebäude frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren sind und Sozialleistungen in barrierefreien Räumen und Anlagen ausgeführt werden
3. Die Arbeitsvermittlung
Vor Hartz gab es den Arbeitsvermittler welcher den zwei wichtigsten Anforderungen an eine erfolgreiche Arbeitsvermittlung gerecht wurde. Er hatte wesentliche Kenntnisse über die Berufe in denen er vermittelte und er hatte Kontakt zu den Arbeitgebern der Region. So z.B. war es im AA Potsdam üblich, dass die Arbeitsvermittler über den ständigen Kontakt zu „ihren“ Arbeitgebern hinaus im gewerblichen Bereich an Jahresversammlungen der Handwerks-innungen oder der Fachverbände teilnahmen. Organisatorisch waren die Arbeitslosen ent-sprechend ihrer beruflichen Qualifikation zugeordnet.
Heute sind die Alg II- Empfänger in der PAGA alphabetisch zugeordnet und somit ist die organisatorische Voraussetzung für eine fachgerechte Arbeitsvermittlung nicht gegeben. Niemand kann die notwendigen Kenntnisse über alle Berufsgruppen und schon gar nicht den Kontakt zu allen Arbeitgebern haben.
Die verbreitete Auffassung, alle Alg II- Empfänger seien Menschen ohne beruflich verwert-bare Abschlüsse oder Qualifikation ist falsch. Richtig ist, dass viele einen beruflichen Abschluß auf Facharbeiterniveau haben, über vielfältige Berufserfahrungen verfügen und trotz aller amtlich verordneten Schikanen hoch motiviert sind. Angeblich besteht ja ein Grundsatz von Hartz darin, den Arbeitslosen zu fordern, also seine Eigenverantwortlichkeit zu fördern. Es war vor Hartz üblich, dem Arbeitslosen mitzuteilen, mit welcher Förderung der Arbeitgeber bei Einstellung des Arbeitslosen rechnen könne. Das ist natürlich bei einem Bewerbungsgespräch von unschätzbarem Vorteil.
Heute ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Wünscht der Arbeitgeber eine Förderung hat er sich an die Integrationsbeauftragten des Amtes zu wenden. In der PAGA erhält man von den Integrationsbeauftragten nicht mal einen Antragsvordruck zur Einrichtung einer MAE ohne eine Konzeption der Maßnahme vorzulegen. Da kann man sich vorstellen, was einem Arbeitgeber abverlangt wird, ehe der Arbeitslose gefördert wird.
4.Die Mitarbeiter
Man stelle sich vor, ein Verkehrsbetrieb würde Busfahrer einstellen, die nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis sind. Nicht möglich sollte man meinen und in Bezug auf die Verkehrsbetriebe trifft das sicher auch zu.
Was nun aber die Betreuung und Beratung von Langzeitarbeitslosen angeht so wird die heilige Kuh der notwendigen Qualifikation nicht nur geschlachtet sondern ihre Existenz wird praktisch geleugnet. Jeder darf mal ran und die Folgen sind verheerend. Ganz zu schweigen davon, was fachlich und sozial völlig überforderte Mitarbeiter den Ar-beitslosen antun und von den 86.000 Klagen gegen Hartz IV die allein in Berlin seit 2005 eingereicht wurden, ist der Betriebsablauf in den Ämtern ohne professionellen Schutz privater Wachdienste nicht mehr möglich. Das ist nicht nur das völlige Scheitern von Hartz II sondern die Bankrotterklärung der Arbeitsvermittlung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik. Ein Schelm der jetzt behauptet das ebend das politisch gewollt sei um der Arbeitsverwaltung den Gnadenstoß zu versetzen, das Millardenbudget der Agentur genauso zu verjubeln wie schon mit den Mitteln der Rentenversicherung geschehen und letzendlich den Verleih-und Zeitarbeitsunternehmen den fetten Happen zuzuschustern.
5.Die Sanktionen
Der § 323c des Strafgesetzbuches:
Unterlassene Hilfeleistung
„Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Wer also einem Menschen monatelang die Grundlage seiner Existenz entzieht indem er ihm alle Leistungen sperrt, was nicht nur Obdachlosigkeit und Verhungern bedeutet sondern auch jegliche ärztliche Hilfe wegen nicht gezahlter Krankenversicherung ausschließt erfüllt den Straftatbestand unterlassener Hilfeleistung im Amt. Bereits wegen „fehlender Mitwirkung“ wird den Hartz IV-Opfern eine solche vollständige Sperre angedroht.
Angesichts der Tatsache, dass heute den kriminellen Wiederholungstätern die in der Schweiz Hunderte Millionen an Steuern hinterzogen haben das Hintertürchen der straffreien Selbstanzeige geöffnet wird verbietet es sich, von der Bundesrepublik als Rechtsstaat zu sprechen. Dies ist eine kleine Bestandsaufnahme von fünf Jahren Hartz-Gesetzgebung welche keinerlei Resümee bedarf. Was sind nun die Zukunftsvisionen der Bundesagentur für Arbeit und der Politik?
Herr Alt, Bundesagentur in einer TV-Sendung im Januar erklärt voller Stolz, man gehe jetzt in Sachsen-Anhalt ganz neue Wege. In den Familien in denen beide Eltern arbeitslos sind, wird ein Elternteil in eine Maßnahme eingegliedert, damit die Kindern die Normalität in der Eltern arbeiten gehen, kennen lernen! Herr Baaske, Arbeitsminister Brandenburgs in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom ersten Feb. 2010: “Aufgabe der Arbeitsvermittlung ist es, mit den Leuten Eingliederungsvereinbarungen zu machen, die diesen Namen auch verdienen, also einen für beide Seiten verbind-
lichen Plan, wie die Chancen auf einen Job schrittweise erhöht werden können.“
Armes Deutschland. (Gerd-Dieter Lehmann, 09.02.2010)
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