Aufstocker: Immer mehr Selbstständige beziehen ALG II

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Immer mehr Selbstständige auf Hartz IV

14.06.2011

Selbstständigkeit und Hartz IV Bezug ist in Deutschland anscheinend kein Widerspruch mehr. Seit 2007 ist die Zahl der Selbstständigen mit aufstockenden ALG II Leistungen um mehr als das Doppelte angestiegen.

Immer mehr Menschen müssen trotz einer Selbstständigkeit zusätzliche Hartz IV Leistungen beantragen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) stieg die Zahl Selbstständigen im Hartz IV Bezug von 50.000 im Jahre 2007 auf 125.000 (2010) im Jahresdurchschnitt. Eine Sprecherin der BA bestätigte damit einen ebenso lautenden Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ).

Im Februar diesen Jahres waren laut BA-Angaben rund 118.000 Hartz IV Aufstocker trotz Selbstständigkeit. Die überwiegende Mehrheit verfügte über ein Einkommen von weniger als 400 Euro im Monat (rund 85.000). 25.000 Aufstocker hätten bis zu 800 Euro verdient und der Rest etwas mehr. Einen starken Anstieg wurde 2008 verzeichnet. Bereits zu jener Zeit stieg die Zahl der Betroffenen von 72.000 auf 96.000. Einen weiteren deutlichen Anstieg verzeichnete die BA im Jahre 2010.

Dazu der Sozialberater Norbert Herrmann: „Als “tragfähig” ist eine Unternehmung zu bezeichnen, wenn die Kosten erwirtschaftet werden. Von jedem Euro Umsatz geht etwa ein Drittel an den Staat, in Form von Umsatzsteuer, Einkommensteuer (jedenfalls bei den Lieferanten und beim Vermieter) und Sozialabgaben (ggf. für eigene Beschäftige, und ebenso bei Lieferanten und beim Vermieter). Das steigert sich noch ähnlich “Zins und Zinseszins”, weil ggf. Beschäftigte, Lieferanten, Vermieter usw. ihr Geld ja auch wieder ausgeben. Je nach Art und Umsatz des Unternehmens kann dem Staat dadurch mehr Geld zufließen, als für den Betriebsinhaber an Hartz IV – Leistungen aufzuwenden ist, selbst wenn das erwirtschaftete anrechenbare Einkommen Null ist. Mir sind Fälle bekannt, wo selbst einigermaßen florierende Geschäfte, mit Azubi und sog. Minijobber, kaputt gemacht wurden.

Daran sind auch die Gerichte beteiligt: auch sie haben keinen Schimmer davon, wie eine Selbständigkeit zu bewerten ist. Fragen sie, wovon Betroffene zwischenzeitlich gelebt haben, und erhalten die Antwort “Aus Not in die Geschäftskasse gegriffen“, so antworten sie: „Dann verfügen sie ja über genügend bare Mittel“. Dass sich dadurch die Schulden mehren bleibt ihnen verborgen.

Die gemeinsame Kommission der Justizministerkonferenz beklagt bereits im Oktober 2010: „Die SGB II-Leistungsträger müssen sich als Betriebswirte bzw. wie Finanzbeamte betätigen, ohne im Einzelnen über fundierte Kenntnisse zu verfügen.“ Dadurch seien „ die Berechnungen für die Betroffenen nicht mehr nachvollziehbar. (…) Auf die buchhalterische Aufarbeitung für und teilweise auch durch die Steuerbehörden kann mangels Relevanz der dortigen Ergebnisse nicht mehr zurückgegriffen werden.“ (sb)

Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de