Lebt ein Ehepartner im Pflegeheim, zรคhlt er wohngeldrechtlich nicht automatisch zum Haushalt. Maรgeblich ist, ob die Ehegatten tatsรคchlich dauerhaft rรคumlich getrennt leben und damit zwei eigenstรคndige Haushalte fรผhren. Diese Auslegung ist im Wohngeldrecht weiter als im Familienrecht oder beim Bรผrgergeld:
Fรผr die Beurteilung geht es nicht um die Qualitรคt der Ehe oder um eine umfassende Existenzsicherung, sondern um den konkreten Wohn- und Belastungszusammenhang. Das hat das Verwaltungsgericht Meiningen in einem viel beachteten Urteil klargestellt (Az. 2 K 449/17 Me).
Inhaltsverzeichnis
Worum es im Kern geht
Wohngeld ist ein Zuschuss zu Wohnkosten (fรผr Mieterinnen/Mieter und fรผr Eigentรผmer als Lastenzuschuss). Es soll die Wohnungsbelastung tragbar halten โ nicht mehr und nicht weniger. Daher werden bei der Anspruchsprรผfung Haushaltsmitglieder, Einkommen und zu berรผcksichtigende Belastungen nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) ermittelt. Entscheidend:
Wer als Haushaltsmitglied gilt, bestimmt ยง 5 WoGG โ und dort ist ausdrรผcklich geregelt, dass Ehegatten nur dann Haushaltsmitglieder sind, wenn sie nicht dauernd getrennt leben. Wer dauerhaft getrennt lebt, gehรถrt nicht dazu. Bei Heimunterbringung ist deshalb zu prรผfen, ob die Ehegatten tatsรคchlich dauerhaft getrennte Haushalte fรผhren.
Genau an dieser Stelle korrigiert das Urteil eine hรคufige Verwaltungspraxis: Behรถrden รผbertragen mitunter die โBedarfsgemeinschaftslogikโ aus anderen Sozialleistungsbereichen โ vor allem aus dem SGB II (Bรผrgergeld) โ auf das Wohngeld. Doch das geht zu weit.
Das Wohngeld ist keine existenzsichernde Leistung, sondern zweckgebunden fรผr Wohnkosten. Deshalb ist die Auslegung des Begriffs โdauerhaft getrenntโ im Wohngeldrecht eigenstรคndig und regelmรครig groรzรผgiger als in anderen Rechtsmaterien.
Die Leitlinien aus dem Urteil
Das VG Meiningen hat die Wohngeldbehรถrde zur Neubescheidung verpflichtet und dabei Leitlinien formuliert, die รผber den Einzelfall hinaus gelten:
1) Maรstab ist die reale Haushaltssituation.
Fรผhren die Ehegatten erkennbar zwei getrennte Haushalte โ etwa weil ein Ehepartner dauerhaft in einem Pflegeheim lebt โ, ist der im Heim lebende Ehegatte kein Haushaltsmitglied im Sinne des WoGG. Folge: Fรผr die Wohngeldberechnung wird nur der Haushalt am bisherigen Wohnsitz betrachtet.
2) Unterhaltsaufwendungen mindern das Wohngeld-Einkommen โ bis 6.000 โฌ jรคhrlich.
Unterhalt, den der Zuhauselebende an den im Heim lebenden Ehepartner zahlt (z. B. Beitrรคge zu Heimkosten), ist als Abzugsbetrag vom Jahreseinkommen zu berรผcksichtigen. Das WoGG nennt ausdrรผcklich bis zu 6.000 โฌ pro Jahr fรผr einen dauernd getrennt lebenden Ehegatten, der kein Haushaltsmitglied ist. Ein notarieller Unterhaltstitel ist bis zu dieser Grenze nicht erforderlich; ein Titel kann aber helfen, hรถhere tatsรคchliche Unterhaltsaufwendungen zu belegen.
3) Kein โZwangswechselโ in andere Leistungen.
Wohngeld hat einen eigenen Zweck. Ein Anspruch wird nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil theoretisch Leistungen zur Existenzsicherung (z. B. SGB XII) mรถglich wรคren. Vom Wohngeld ausgeschlossen ist nur, wer tatsรคchlich bestimmte Transferleistungen bezieht โ das regelt ยง 7 WoGG.
Was bedeutet โdauerhaft getrenntโ im Wohngeldrecht?
โDauerhaft getrenntโ meint hier keine schematische familienrechtliche Trennungserklรคrung, sondern die faktische Lebensfรผhrung: getrennte Wohnorte, getrennte Wirtschaftsgemeinschaften, keine gemeinsame Haushaltsfรผhrung. Eine Heimunterbringung, die auf Dauer angelegt ist, erfรผllt diesen Maรstab in der Regel.
Das schรผtzt Betroffene vor unbilligen Ergebnissen, wenn z. B. eine intakte Ehe fortbesteht, die Wohn- und Wirtschaftssituation aber lรคngst zweigeteilt ist. Entscheidend ist die Beleglage: Heimvertrag, Meldeadressen, Zahlungsnachweise, ggf. Schriftwechsel mit dem Trรคger.
Praxis: So stellen Sie Ihren Antrag richtig
Damit die Wohngeldstelle die Situation korrekt erfasst, sollten Antragsteller ihre Haushaltskonstellation und die Unterhaltsaufwendungen strukturiert dokumentieren:
- Haushaltssituation darlegen: Wer lebt wo? Wer fรผhrt welchen Haushalt? Seit wann besteht die rรคumliche Trennung? Nachweise: Heimvertrag bzw. Einweisungs-/Aufnahmebescheid, ggf. Pflegestufen-/Leistungsbescheide, Meldebestรคtigungen.
- Unterhalt belegen: Regelmรครige Zahlungen (z. B. Beteiligung an Heimkosten) per Kontoauszug, Zahlungsplan oder Vereinbarung mit dem Trรคger. Wird die 6.000-โฌ-Grenze รผberschritten, kann ein Unterhaltstitel (Urteil, Vergleich, notarieller Vertrag) sinnvoll sein, um hรถhere tatsรคchliche Aufwendungen einzubringen.
Tipp: Weisen Sie in Ihrem Antrag ausdrรผcklich auf ยง 5 WoGG (Haushaltsmitglieder) und ยง 18 WoGG (Abzugsbetrรคge) hin und erlรคutern Sie kurz, warum die Heimunterbringung dauerhafte rรคumliche Trennung bedeutet. Das erspart Rรผckfragen und verkรผrzt die Bearbeitung.
Ein Beispiel
Angenommen, eine allein im Eigenheim lebende Person erzielt ein Jahreseinkommen von 22.800 โฌ (1.900 โฌ/Monat). Sie zahlt monatlich 400 โฌ an den im Heim lebenden Ehepartner, also 4.800 โฌ im Jahr. Bei der Wohngeldberechnung darf die Wohngeldstelle diese Unterhaltsaufwendungen voll als Abzugsbetrag nach ยง 18 WoGG berรผcksichtigen (innerhalb der 6.000-โฌ-Grenze).
Das maรgebliche Jahreseinkommen sinkt auf 18.000 โฌ. Auf Basis der lokalen Miethรถchstbetrรคge und der Belastung kann daraus ein Wohngeldanspruch entstehen. Wichtig: Das ist nur ein Beispiel โ die tatsรคchliche Hรถhe hรคngt von Miet-/Belastungshรถchstbetrรคgen, Haushaltsgrรถรe, Wohnort und weiteren Abzรผgen ab.
Hรคufige Fehler der Praxis โ und wie Sie reagieren
Fehler 1: Die Behรถrde rechnet trotz Heimunterbringung mit โzwei Haushaltsmitgliedernโ.
Verweisen Sie auf ยง 5 WoGG: Ehegatten sind nur dann Haushaltsmitglieder, wenn sie nicht dauernd getrennt leben. Bei dauerhafter Heimunterbringung liegt regelmรครig dauerhafte Trennung vor.
Fehler 2: Unterhalt wird nur pauschal berรผcksichtigt.
ยง 18 WoGG sieht fรผr dauernd getrennt lebende, nicht zum Haushalt rechnende Ehegatten bis 6.000 โฌ jรคhrlich als Abzugsbetrag vor. Legen Sie Zahlungsnachweise vor; ein Titel ist bis zu dieser Grenze nicht zwingend.
Fehler 3: Hinweis auf โfalsche Leistung โ bitte SGB XII beantragenโ.
Das greift zu kurz. Wohngeld hat eigenen Zweck und eigene Anspruchsvoraussetzungen. Ein Ausschluss besteht erst, wenn tatsรคchlich bestimmte Transferleistungen bezogen werden (ยง 7 WoGG).
Widerspruch und Klage: Was das Urteil Ihnen bringt
Wurde Ihr Antrag mit der Begrรผndung abgelehnt, ein im Heim lebender Ehepartner zรคhle weiterhin zum Haushalt oder Unterhalt sei nur pauschal zu berรผcksichtigen, erรถffnet das Urteil des VG Meiningen gute Angriffspunkte. Ziel ist regelmรครig die Aufhebung des Bescheids und die Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts โ also mit richtiger Haushaltszuordnung und voller Berรผcksichtigung der Unterhaltsaufwendungen bis zur gesetzlichen Hรถchstgrenze.
Beachten Sie Fristen: Widerspruch binnen eines Monats nach Bekanntgabe; bei erfolglosem Widerspruch Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Einordnung: Abgrenzung zu Bรผrgergeld
Im Bรผrgergeld (SGB II) und in Teilen des SGB XII wird typischerweise eine engere gegenseitige Bedarfsdeckung angenommen; die Bedarfsgemeinschaft kann trotz rรคumlicher Trennung in bestimmten Konstellationen fortwirken.
Diese Systematik ist auf das Wohngeld nicht รผbertragbar, weil das Wohngeld allein die Wohnkosten adressiert. Deshalb ist die wohngeldrechtliche Auslegung des โdauerhaft getrenntโ eigenstรคndig und in der Tendenz groรzรผgiger โ ein wesentlicher Unterschied, den das Urteil nochmals betont.
Das sollten Betroffene jetzt tun
- Antrag sauber begrรผnden: Rรคumliche Trennung, zwei Haushalte, Heimunterbringung โ alles kurz, prรคzise, mit Belegen.
- Unterhalt belegen: Regelmรครigkeit und Hรถhe dokumentieren; bis 6.000 โฌ jรคhrlich als Abzugsbetrag nach ยง 18 WoGG geltend machen.
- Bescheide prรผfen: Wird der im Heim lebende Ehepartner als Haushaltsmitglied gezรคhlt? Werden Unterhaltsaufwendungen zutreffend berรผcksichtigt?
- Rechtsmittel nutzen: Bei fehlerhafter Ablehnung fristgerecht Widerspruch einlegen und โ falls nรถtig โ klagen, mit Verweis auf die Rechtsprechung des VG Meiningen.