Die Versetzung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist rechtswidrig, wenn der Arbeitgeber die gesundheitlichen Einschrรคnkungen nicht ausreichend berรผcksichtigt. Das entschied das Arbeitsgericht Nordhausen (Urteil vom 19.โฏDezemberโฏ2023, Az. 3โฏCaโฏ511/23) zugunsten einer Hauswirtschaftskraft.
Von der ambulanten in die stationรคre Pflege โ drei Versetzungsanordnungen
Die Betroffene arbeitete als Hauswirtschaftskraft in einer Sozialstation im ambulanten Bereich. Nach einer Erkrankung wurde bei ihr ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt, womit ihr die Nachteilsausgleiche fรผr schwerbehinderte Menschen zustehen. Nach Abschluss einer betrieblichen Wiedereingliederung erhielt sie drei Versetzungsanordnungen (14.โฏ06., 31.โฏ08. und 01.โฏ09.โฏ2023) in die stationรคre Pflege.
Fahrten und frische Luft dienen der Erholung
Sie sah ihre gesundheitliche Situation mit der Versetzung als unzureichend berรผcksichtigt an, denn die Tรคtigkeit im ambulanten Bereich mit wechselnden Einsatzorten und Tรคtigkeiten ermรถgliche es ihr, den Einschrรคnkungen durch ihre Behinderung besser zu begegnen. Sie erhole sich wรคhrend der Fahrzeiten zu den Kunden und nutze die frische Luft als Therapie. Dauerhafte kรถrperliche Belastung in geschlossenen Rรคumen in der stationรคren Tรคtigkeit fรผhre hingegen zu massiven gesundheitlichen Problemen.
Berechtigte Interessen sind bei schwerbehinderten Menschen hoch
Der Arbeitgeber lehnte ihren Einwand ab, sodass sie Klage beim Arbeitsgericht Nordhausen erhob โ mit Erfolg. Die Richter erklรคrten alle drei Versetzungsanordnungen fรผr unwirksam. Zwar kann der Arbeitgeber grundsรคtzlich Versetzungen auf Grundlage des Direktionsrechts (ยงโฏ106 GewO) anordnen.
Dabei muss er dieses Recht jedoch gem. ยงโฏ315 BGB nach billigem Ermessen ausรผben und die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer angemessen berรผcksichtigen, was bei schwerbehinderten Menschen besonderes Gewicht hat.
Der Arbeitgeber muss das billige Ermessen wahren
โBilligโ bedeutet, den Lebensumstรคnden, besonderen Vorlieben, Abneigungen und Kenntnissen der Beschรคftigten Rechnung zu tragen. Der Begriff des billigen Ermessens ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der erst in der konkreten Situation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Tragen kommt und immer vom Einzelfall abhรคngt.
Gesundheitliche Einschrรคnkungen nicht verschlimmern
Bei Beschรคftigten mit Schwerbehinderung ist das billige Ermessen besonders umsichtig einzusetzen. Der Arbeitgeber ist nach ยงโฏ164โฏAbs.โฏ4 SGBโฏIX verpflichtet, die Arbeitsbedingungen nach seinen Mรถglichkeiten so zu gestalten, dass sich die gesundheitlichen Einschrรคnkungen der Betroffenen nicht verschlimmern.
Zudem muss er nach ยงโฏ167โฏAbs.โฏ2 SGBโฏIX ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchfรผhren und nach ยงโฏ178โฏAbs.โฏ2 SGBโฏIX (sowie ggf. ยงยงโฏ99โฏff.โฏBetrVG) die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat beteiligen. Diese Beteiligungen fehlten hier.
Keine ausreichenden betrieblichen Grรผnde
Der Arbeitgeber konnte keine tragfรคhigen betrieblichen Grรผnde vorbringen, die die erhebliche Beeintrรคchtigung der Klรคgerin aufgewogen hรคtten. Der bloรe Hinweis auf eine nachzubesetzende Stelle und den Fachkrรคftemangel reichten nicht aus.
Vielmehr hรคtte der Arbeitgeber auf die besonderen gesundheitlichen Einschrรคnkungen der Klรคgerin Rรผcksicht nehmen und eine gleichwertige Einsatzmรถglichkeit im ambulanten Bereich prรผfen mรผssen. Die Versetzung in den stationรคren Bereich war daher unverhรคltnismรครig und unwirksam, weil der Arbeitgeber sein billiges Ermessen verletzt hatte.