Deutschlands langjährige Beitragsruhe nähert sich dem Ende. Ab 2027 müssen Arbeitgeber und Beschäftigte mehr Geld in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einzahlen. Der höhere Satz drückt das Nettogehalt, belastet den Bundeshaushalt und zwingt viele Menschen zu mehr Eigenvorsorge.
Sie erfahren hier, warum der Beitrag steigt, welche Puffer bald aufgebraucht sind, welche Reformideen diskutiert werden – und was Sie schon heute tun können.
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Beitragssatz dreht 2027 wieder nach oben
Der Rentenschätzerkreis – ein Expertengremium aus Arbeits- und Finanzministerium sowie Deutscher Rentenversicherung (DRV) – erwartet, dass der Satz 2027 von 18,6 Prozent auf 18,8 Prozent steigt. Eine Angestellte mit 3500 Euro brutto hat dann monatlich knapp vier Euro weniger Netto. Arbeitgeber tragen dieselbe Mehrbelastung.
Setzt sich der Trend fort, liegt der Satz 2028 bei 20 Prozent und 2031 bei rund 20,4 Prozent. 2035 könnte erstmals die Schwelle von 21 Prozent fallen. Damit endet eine fast zehnjährige Phase stabiler Beiträge.
Lange Ruhe vor dem Sturm
Seit 2012 pendelt der Beitragssatz zwischen 18,6 und 19,9 Prozent. Historisch lag er jedoch schon deutlich höher: 1998 zahlten Versicherte 20,3 Prozent, 2007 sogar 19,9 Prozent. Erst der Arbeitsmarktboom nach 2010 und mehrere Milliarden aus dem Bundeshaushalt erlaubten Senkungen. Mit dem Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand kehrt die Kurve nun zu ihrem alten Steigflug zurück.
Demografie frisst Reserven auf
Ende 2023 finanzierten laut DRV noch zwei Beitragszahler einen Altersrentner. 2035 wird das Verhältnis voraussichtlich bei 1,6 zu 1 liegen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung: Wer heute 40 Jahre alt ist, kann laut Statistischem Bundesamt mit gut 88 Lebensjahren rechnen. Mehr Rentnerinnen auf längere Zeit bedeuten höhere monatliche Ausgaben.
Die Nachhaltigkeitsrücklage – das Liquiditätspolster der GRV – lag Ende 2024 bei 44,4 Milliarden Euro (1,57 Monatsausgaben). Bis 2030 schrumpft sie nach amtlicher Projektion auf nur 0,2 Monatsausgaben – das gesetzliche Minimum. Unterschreitet sie diese Marke, muss der Bund Sofortdarlehen bereitstellen.
Reformpaket II: Haltelinie und Generationenkapital
Die Ampel-Koalition will mit dem „Rentenpaket II“ das Sicherungsniveau von 48 Prozent bis 2039 festschreiben. Parallel baut der Bund einen Kapitalstock auf: Das „Generationenkapital“ startete 2024 mit 12 Milliarden Euro Darlehen, die jedes Jahr um drei Prozent wachsen. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung legt das Geld weltweit an.
Ab 2036 sollen die Renditen – optimistisch kalkuliert mit vier Prozent – den Beitragssatz um einige Zehntelpunkt dämpfen. Fachleute bezweifeln, dass das reicht, sollte sich die Börse schwach entwickeln oder der Arbeitsmarkt einbrechen.
Belastung hängt vom Einkommen ab
Der Beitrag wird nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze (BBG) fällig. 2025 steigt sie bundesweit einheitlich auf 8050 Euro im Monat. Wer mehr verdient, zahlt für den darüberliegenden Teil kein Rentenbeitrag; die prozentuale Belastung sinkt somit mit wachsendem Gehalt. Für ein Jahresbrutto von 60.000 Euro bedeutet jeder Beitragspunkt rund 600 Euro zusätzliche Kosten – geteilt durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Selbstständige und Mini-Jobber nicht ausgenommen
Pflichtversicherte Selbstständige, etwa Handwerker oder Hebammen, tragen den Gesamtbeitrag allein. Eine Erhöhung um 1,4 Punkte verteuert ihre monatliche Belastung 2028 um knapp 110 Euro. Mini-Jobber zahlen weiterhin pauschale zwei Prozent, erhalten aber nur geminderte Rentenansprüche. Wer volle Leistung will, kann aufstocken – die Aufstockungsbeiträge steigen künftig mit.
Wie beeinflussen höhere Beiträge die Rentner?
Steigende Beiträge finanzieren laufende Renten und sichern das Niveau. Mehr Geld in der Kasse bedeutet jedoch nicht automatisch höhere Renten. Das Rentenplus berechnet sich nach der Lohnentwicklung, dem Nachhaltigkeits- und dem Demografiefaktor.
Wächst die Beitragslast schneller als die Löhne, kann der Nachhaltigkeitsfaktor die jährliche Anpassung sogar bremsen. Rentner spüren die Entlastung der Kasse also erst verzögert und nur, wenn die Wirtschaft gut läuft.
Internationaler Blick: So sichern andere Länder das System
Schweden: Seit 2001 passt ein automatischer Balancierungsmechanismus die Rentenformel an die Beitragslage an. Sinkt die Kassenbilanz, werden Renten gekürzt, bis wieder Gleichgewicht herrscht.
Niederlande: Gesetzliche Grundrente plus kapitalgedeckte Betriebsrenten mit hohem Deckungsgrad. Die Fonds besaßen 2024 Vermögen von 170 Prozent des BIP.
Beide Modelle zeigen, dass Kapitaldeckung und automatische Dämpfer die Beitragssätze stabilisieren können – allerdings um den Preis volatiler Rentenhöhen.
Politische Fronten verhärten sich
Die Union fordert eine verpflichtende „Generationenvorsorge“ nach schwedischem Vorbild. Die Linke setzt auf höhere Steuerzuschüsse und eine Erwerbstätigenversicherung, in die Beamte einzahlen. Wirtschaftsverbände warnen vor Lohnnebenkosten über 40 Prozent und drängen auf längere Lebensarbeitszeit.
Die Ampel will den Beitragssatz gesetzlich bei maximal 22 Prozent bis 2030 deckeln, doch dieser Deckel greift erst, wenn der Bundeshaushalt zusätzliche Milliarden beisteuert.
Zeitplan: Wann fällt die Entscheidung?
Das Bundeskabinett will den Entwurf zum Rentenpaket II im Oktober 2025 beschließen. Spätestens im Dezember stimmt der Bundestag ab. Da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, kann der Bundesrat es Anfang 2026 passieren lassen.
Greift die Opposition zum Vermittlungsausschuss, verlängert sich das Verfahren bis Frühjahr. Ohne Gesetz drohen schnellere Beitragserhöhungen, weil die Finanzierungsbasis fehlt.
Fünf Schritte, mit denen Sie vorsorgen können
- Nettolohn checken: Rechner der DRV zeigen, wie sich Beitragssprünge auswirken.
- Betriebliche Altersvorsorge (bAV) nutzen: Viele Firmen verdoppeln Einzahlungen bis vier Prozent der BBG.
- Riester-Altverträge prüfen: Eltern erhalten 300 Euro Zulage pro Kind und Jahr.
- Rürup für Selbstständige: Beiträge sind 2025 bis zu 29 250 Euro steuerlich absetzbar.
- Renteneintritt planen: Ein Jahr längeres Arbeiten erhöht die Monatsrente um etwa sechs Prozent und vermeidet Abschläge.
Ausblick
Der Beitragssatz der Rentenversicherung wird bald wieder zweistellig steigen. Das ist kein temporärer Ausrutscher, sondern die Folge einer älter werdenden Gesellschaft. Die geplante Kapitalreserve kann den Trend dämpfen, aber nicht stoppen. Wer berufstätig ist, sollte höhere Abzüge einkalkulieren und private Vorsorge stärken.
Wer bereits Rentner ist, muss mit schwankenden Anpassungen leben. Die Politik muss rasch entscheiden, ob sie das System über Steuern, längere Lebensarbeitszeit oder mehr Kapitaldeckung stabilisieren will – sonst droht 2030 eine Finanzierungslücke.